Völkerschlachtdenkmal
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Bundesarchiv / Bild 183-1983-0906-407 / Friedrich Gahlbeck
"Napoleon" im Visier der Staatssicherheit
Wie das MfS auf preußische Traditionspflege reagierte
Preußische Traditionen erlebten in den letzten Jahren der DDR einen staatlich initiierten Aufschwung. Das international ausgerichtete Gedenken 1983 und 1988 an die Völkerschlacht bei Leipzig erregte auch die Aufmerksamkeit der Staatssicherheit.
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Preußen-Renaissance in der DDR
Das SED-RegimeRegime Auch Regimeverhältnisse. Gesamtheit der Verhältnisse und Lebensbedingungen eines Landes oder... entdeckte das Preußentum Anfang der 80er Jahre für seine Zwecke. Daher wurden 1983 und 1988 mit staatlicher Förderung entsprechende Festveranstaltungen in Leipzig in Szene gesetzt. Die Staatssicherheit spielte dabei eine aktive Rolle.
Die Motive der regierenden SED, eine Preußen-Renaissance zuzulassen, waren vielfältig. Preußische Tugenden wie Disziplin und Fleiß ließen sich für die eigene Propaganda gewinnbringend instrumentalisieren. Zudem konnte die Parteiführung auf das preußisch-russische Bündnis als Traditionslinie verweisen. Insgesamt erhoffte sich die SED eine engere Bindung der DDR-Bürger an den Staat. Aus diesem Grund forcierte und unterstützte das Regime auch die Beschäftigung mit den preußischen Traditionen, wie z.B. Waffenkunde. Inbegriffen waren daher auch die Ereignisse der Völkerschlacht bei Leipzig 1813.
Eine der an den Jubiläumsfeiern besonders rege beteiligten Gruppen war die "Interessengemeinschaft Völkerschlacht 1813", die unter dem Dach des Kulturbundes aktiv war. Dabei handelte es sich um eine Gruppe von historischen Darstellern, die in originalgetreuen Uniformen Szenen aus dem Jahr der Völkerschlacht 1813 nachstellten und Traditionspflege betrieben. Gegen diese Art von Betätigung gab es ein großes Misstrauen innerhalb der Stasi. Erschwerend hinzu kamen die Auslandskontakte der Interessengemeinschaft (IG). Das Ministerium für StaatssicherheitMinisterium für Staatssicherheit Das Ministerium für Staatssicherheit (umgangssprachlich oft kurz "Stasi") war politische... (MfS) leitete daher Überwachungsmaßnahmen ein.
Völkerschlachtdenkmal zur Erinnerung an die Völkerschlacht bei Leipzig 1813.
Quelle: Bundesarchiv / Bild 183-1983-0906-407 / Friedrich Gahlbeck
Verdächtige West-Kontakte
Ein Opfer dieser Maßnahmen wurde ein Mitglied der IG mit besonders guten Kontakten zu westlichen Gruppen historischer Darsteller, u.a. zum französischen "Napoleonischen Bund" oder dem "Deutschmeister Schützenkorps" aus Österreich. Innerhalb der KreisdienststelleKreisdienststelle Die KD waren neben den Objektdienststellen die territorial zuständigen Diensteinheiten. Sie waren... Leipzig-Land leiteten die zuständigen MfS-Mitarbeiter im Mai 1989 die umfassende Überprüfung dieser Person im Rahmen einer sogenannten "Operativen Personenkontrolle" (OPKOperative Personenkontrolle Die Operative Personenkontrolle (OPK) wurde 1971 in Abgrenzung zum Operativen Vorgang eingeführt.... ) mit dem Decknamen "Napoleon" ein.
Ziel der OPK "Napoleon" war die Offenlegung aller Verbindungen und das Verhindern von eventuellen Fluchtabsichten, die nach § 213 Strafgesetzbuch der DDR strafbar gewesen wären. Spitzel im Umfeld der Interessengemeinschaft, des Kulturbundes und aus anderen Bezirken der DDR lieferten umfangreiche Informationen an die Stasi.
"Operativ interessante Hinweise" hatte das MfS seit 1983 zielgerichtet aus dem Teilnehmerkreis der Jubiläumsfeiern gesammelt. Die Stasi-Spitzel erfassten Besucher des Geschichts-Events aus westlichen Ländern und trugen alle Kontakte zwischen Mitgliedern der IG und ihren westlichen Pendants zusammen. Verschiedene Dokumente belegen dies sowohl für die IG als auch deren Kontaktpartner aus der Bundesrepublik, Österreich, den USA, Frankreich sowie der damaligen Sowjetunion und CSSR.
Auftrag für den GMS "Bund" zur Aufklärung der "IG Völkerschlacht 1813"
Ein Mitarbeiter des Kulturbundes der DDR sollte die Stasi über Struktur und Mitglieder der "Interessengemeinschaft Völkerschlacht 1813" informieren.
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Bericht des IMS "Bodo" zum Abschluss der Jubiläumswoche 1983
Der Inoffizielle Mitarbeiter "Bodo" berichtete während der Jubiläumswoche zum 170. Jahrestag der Völkerschlacht von Gästen aus dem westlichen Ausland.
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Feierlichkeiten gewannen an Bedeutung
Der 175. Jahrestag der Völkerschlacht im Jahr 1988 stellte einen kulturpolitischen Höhepunkt in der DDR dar. Staat und Partei finanzierten ein umfangreiches Festprogramm. Die Grundlage dazu bildete ein Beschluss des Zentralkomitees der SED aus dem Jahre 1987. Als Begleiterscheinung reisten immer mehr an der Völkerschlacht Interessierte in die DDR ein und gerieten ebenfalls ins Visier der Staatssicherheit.
Operativinformation Nr. 73/88 der Kreisdienststelle Leipzig-Land zum 175. Jahrestag der Völkerschlacht
Nach den Jubiläumsfeierlichkeiten beauftragte das MfS den Inoffiziellen Mitarbeiter (IMInoffizieller Mitarbeiter Inoffizielle Mitarbeiter waren das wichtigste Instrument des Ministeriums für Staatssicherheit... ) "Maik Gärtner", einzelne Personen auf Fotos einer Bilddokumentation zu identifizieren. Ziel sollte auch hier sein, die Auslandskontakte von Mitgliedern der "IG 1813" auszuspähen.
Kranzniederlegung während einer Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig.
Quelle: BStU, MfS, BV Leipzig, AOPK, Nr. 664/90, Bl. 170
Teilnehmer einer Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig in historischen Uniformen.
Quelle: BStU, MfS, BV Leipzig, AOPK, Nr. 664/90, Bl. 172
"Auf Grund prinzipieller Veränderungen in der Sicherheitspolitik" stellte die Stasi am 20. November 1989 die Bearbeitung der OPK "Napoleon" ein – nur wenige Wochen vor ihrem eigenen Ende. Am Abend des 4. Dezember 1989 endete mit der Besetzung der BezirksverwaltungBezirksverwaltung Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf... Leipzig die Tätigkeit der Staatssicherheit im Bezirk Leipzig. Und "Napoleon" betrachtete niemand mehr als Bedrohung.