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Völkerschlachtdenkmal

"Napoleon" im Visier der Staatssicherheit

Preußische Traditionen erlebten in den letzten Jahren der DDR einen staatlich initiierten Aufschwung. Das international ausgerichtete Gedenken 1983 und 1988 an die Völkerschlacht bei Leipzig erregte auch die Aufmerksamkeit der Staatssicherheit.

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Preußen-Renaissance in der DDR

Das SED-Regime entdeckte das Preußentum Anfang der 80er Jahre für seine Zwecke. Daher wurden 1983 und 1988 mit staatlicher Förderung entsprechende Festveranstaltungen in Leipzig in Szene gesetzt. Die Staatssicherheit spielte dabei eine aktive Rolle.

Die Motive der regierenden SED, eine Preußen-Renaissance zuzulassen, waren vielfältig. Preußische Tugenden wie Disziplin und Fleiß ließen sich für die eigene Propaganda gewinnbringend instrumentalisieren. Zudem konnte die Parteiführung auf das preußisch-russische Bündnis als Traditionslinie verweisen. Insgesamt erhoffte sich die SED eine engere Bindung der DDR-Bürger an den Staat. Aus diesem Grund forcierte und unterstützte das Regime auch die Beschäftigung mit den preußischen Traditionen, wie z.B. Waffenkunde. Inbegriffen waren daher auch die Ereignisse der Völkerschlacht bei Leipzig 1813.

Eine der an den Jubiläumsfeiern besonders rege beteiligten Gruppen war die "Interessengemeinschaft Völkerschlacht 1813", die unter dem Dach des Kulturbundes aktiv war. Dabei handelte es sich um eine Gruppe von historischen Darstellern, die in originalgetreuen Uniformen Szenen aus dem Jahr der Völkerschlacht 1813 nachstellten und Traditionspflege betrieben. Gegen diese Art von Betätigung gab es ein großes Misstrauen innerhalb der Stasi. Erschwerend hinzu kamen die Auslandskontakte der Interessengemeinschaft (IG). Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) leitete daher Überwachungsmaßnahmen ein.

Völkerschlachtdenkmal

Verdächtige West-Kontakte

Ein Opfer dieser Maßnahmen wurde ein Mitglied der IG mit besonders guten Kontakten zu westlichen Gruppen historischer Darsteller, u.a. zum französischen "Napoleonischen Bund" oder dem "Deutschmeister Schützenkorps" aus Österreich. Innerhalb der Kreisdienststelle Leipzig-Land leiteten die zuständigen MfS-Mitarbeiter im Mai 1989 die umfassende Überprüfung dieser Person im Rahmen einer sogenannten "Operativen Personenkontrolle" (OPK) mit dem Decknamen "Napoleon" ein.

Ziel der OPK "Napoleon" war die Offenlegung aller Verbindungen und das Verhindern von eventuellen Fluchtabsichten, die nach § 213 Strafgesetzbuch der DDR strafbar gewesen wären. Spitzel im Umfeld der Interessengemeinschaft, des Kulturbundes und aus anderen Bezirken der DDR lieferten umfangreiche Informationen an die Stasi.

 

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Interessengemeinschaft im Visier der Spione

"Operativ interessante Hinweise" hatte das MfS seit 1983 zielgerichtet aus dem Teilnehmerkreis der Jubiläumsfeiern gesammelt. Die Stasi-Spitzel erfassten Besucher des Geschichts-Events aus westlichen Ländern und trugen alle Kontakte zwischen Mitgliedern der IG und ihren westlichen Pendants zusammen. Verschiedene Dokumente belegen dies sowohl für die IG als auch deren Kontaktpartner aus der Bundesrepublik, Österreich, den USA, Frankreich sowie der damaligen Sowjetunion und CSSR.

Feierlichkeiten gewannen an Bedeutung

Der 175. Jahrestag der Völkerschlacht im Jahr 1988 stellte einen kulturpolitischen Höhepunkt in der DDR dar. Staat und Partei finanzierten ein umfangreiches Festprogramm. Die Grundlage dazu bildete ein Beschluss des Zentralkomitees der SED aus dem Jahre 1987. Als Begleiterscheinung reisten immer mehr an der Völkerschlacht Interessierte in die DDR ein und gerieten ebenfalls ins Visier der Staatssicherheit.

Nach den Jubiläumsfeierlichkeiten beauftragte das MfS den Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) "Maik Gärtner", einzelne Personen auf Fotos einer Bilddokumentation zu identifizieren. Ziel sollte auch hier sein, die Auslandskontakte von Mitgliedern der "IG 1813" auszuspähen.

"Auf Grund prinzipieller Veränderungen in der Sicherheitspolitik" stellte die Stasi am 20. November 1989 die Bearbeitung der OPK "Napoleon" ein – nur wenige Wochen vor ihrem eigenen Ende. Am Abend des 4. Dezember 1989 endete mit der Besetzung der Bezirksverwaltung Leipzig die Tätigkeit der Staatssicherheit im Bezirk Leipzig. Und "Napoleon" betrachtete niemand mehr als Bedrohung.