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Filmplakat für den Spielfilm "Ballon": Den Stoff für den Film lieferte die spektakuläre Flucht zweier Familien aus der DDR in einem selbstgebauten Heißluftballon

Flucht im Ballon

Am 16. September 1979 überwanden die Familien Strelzyk und Wetzel mit einem selbstgebauten Heißluftballon die Grenze zwischen Thüringen und Bayern. Die spektakuläre Flucht machte international Schlagzeilen und wurde zur Demütigung für die Stasi. Die Geheimpolizei setzte danach alles daran, ähnliche Fluchtversuche zu unterbinden.

Am 20. Juli 1979 fand ein Jäger im Grenzgebiet des DDR-Kreises Lobenstein einen Heißluftballon. Er meldete seinen Fund sofort den Behörden. Schnell wurde klar, dass hier jemand versucht hatte, die Republik unerlaubt in Richtung Westen zu verlassen. Die Stasi war sofort alarmiert und begann zu ermitteln.

Anfangs ging man davon aus, dass der Ballon erst nur einige Tage im Wald gelegen hatte. Bei der Befragung von Zeugen stellte sich jedoch heraus, dass der Ballon bereits am 3. Juli gesehen worden war. Auch die Grenztruppen hatten den Feuerschein am Himmel gesehen, der Beobachtung jedoch keine Bedeutung beigemessen.

In jener Nacht hatte Peter Strelzyk aus dem thüringischen Pößneck mit seiner Frau und den beiden Söhnen versucht, die Grenze zu Bayern von Norden in Richtung Süden zu überwinden. Das Fluggerät, das Strelzyk gemeinsam mit seinem Bekannten Günter Wetzel konstruiert und gebaut hatte, war jedoch zu früh gesunken und noch vor der Grenze, auf dem Gebiet der DDR, wieder gelandet. Wetzel, der ebenfalls mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern die DDR verlassen wollte, war vor dem Fluchtversuch aus der Sache ausgestiegen. Der Ballon, schon die zweite gemeinsame Konstruktion, war zu klein geraten und hätte die beiden Familien nicht tragen können. Nun, nach dem gescheiterten Fluchtversuch, entschlossen sich Strelzyk und Wetzel, einen dritten Ballon zu konstruieren – diesmal einen, der groß genug war, um acht Personen sicher in den Westen zu tragen.

Die Stasi versuchte inzwischen, aufgrund der an der Landestelle des zurückgelassenen Ballons gefundenen Hinweise, die Konstrukteure zu ermitteln. Erster Ansatzpunkt: Die Ballonhülle. Sie war aus über 1.000 Quadratmetern Taftstoff gefertigt. Die Beschaffung einer solchen Menge hätte beim Kauf auffallen müssen, so die Hoffnung der Stasi. Peter Strelzyk und Günther Wetzel hatten den Stoff jedoch in Leipzig in einem großen Warenhaus gekauft, wo sie damit nicht weiter in Erinnerung geblieben waren. Auch am Landeplatz zurückgelassene Medikamente für eine Schilddrüsenerkrankung brachten keine Erkenntnisse. Allein 800.000 Rezepte wurden im Bezirk Gera geprüft – ohne eine heiße Spur zu ergeben.

Mitte August ging die Stasi mit einer Fahndung an die Öffentlichkeit: Sie ließ in der Zeitung "Volkswacht" die am Landeplatz zurückgelassenen Gegenstände - ein Barometer, ein Taschenmesser und eine Wasserpumpenzange – abbilden und bat um zweckdienliche Hinweise. Doch auch dies blieb ohne Ergebnis. Es waren Alltagsgegenstände ohne besondere Merkmale.

In der Zwischenzeit nähten und bauten die Familien Strelzyk und Wetzel einen neuen, größeren Ballon aus über 1.200 Quadratmetern Stoff. Auch diesmal fielen sie nicht weiter mit dem Kauf der Stoffe auf. Für den dritten Ballon besorgten die Familien Strelzyk und Wenzel das Material in vielen kleinen Posten. Außerdem mussten sie zum Teil weite Wege in Kauf nehmen, um an die schwer erhältlichen Stoffe Regenschirmseide und Zeltnylon zu gelangen, die für den neuen Ballon vorgesehen waren. Die vielen Käufe, verteilt über eine größere Region, waren trotz der laufenden Ermittlung der Stasi zu unauffällig.

Am 16. September 1979 war der Ballon fertig und die Familien flogen mit ihm in die Freiheit. Nach 28 Minuten und 18 Kilometern, bei einer maximalen Höhe von 2.000 Metern, landeten sie gegen 3 Uhr im bayerischen Grenzort Naila. Mit ihrem selbstgebauten Ballon gelang den beiden Familien wohl eine der spektakulärsten Fluchten aus der DDR.

Die leere Hülle des  Ballons, mit dem die Familie Strelzyk ihren ersten, erfolglosen Fluchtversuch unternahm
Die Gondel des ersten Ballons. Darin liegen die Propangasflaschen, mit denen der Brenner des Ballons betrieben worden war

Dokument in der Stasi-Mediathek ansehen

Stasi-Dokumentation weiterer spektakulärer Fluchtversuche

Die geglückte Ballonflucht machte international Schlagzeilen. Für die Stasi war dieser "Propagandaerfolg des Gegners" eine schmerzhafte Niederlage. Auch deshalb verstärkte die Geheimpolizei in der Folge ihre Anstrengungen, solche Fluchtversuche künftig schon im Ansatz zu erkennen und zu unterbinden. Eine wichtige Rolle bei der Verhinderung des "ungesetzlichen Verlassens" der DDR kam der Zentralen Koordinierungsgruppe (ZKG) zu. Die ZKG wurde 1975 ins Leben gerufen, um die Anstrengungen des MfS auf diesem Gebiet zu koordinieren und zu bündeln. Dazu gehörte auch, Fluchtversuche zu dokumentieren und daraus effektivere Gegenmaßnahmen abzuleiten.

Die ZKG stellte unter anderem eine umfassende Dokumentation von Fluchtversuchen zusammen, bei denen Fluggeräte zum Einsatz kommen sollten. Neben einer Reihe von Heißluft- und Gasballons entdeckte die Stasi auch selbstgebaute Flugzeuge und Flugdrachen, mit denen DDR-Bürger versuchen wollten, die Grenze zu überwinden.

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Ballonflucht wurde mehrfach verfilmt

Filmplakat für den Film "Ballon"

Die abenteuerliche Flucht der Familien Strelzyk und Wetzel war mehrfach Vorlage für Spielfilme. Schon ein Jahr nach der Flucht verfilmte Hollywood den Stoff unter dem Titel "Mit dem Wind nach Westen". 2018 erzählte Michael Bully Herbig die Geschichte neu unter dem Filmtitel "Ballon", unter anderem auf der Grundlage von Stasi-Unterlagen. Mit Erlaubnis der beiden Familien konnten die Autoren 2.000 Seiten der Stasi-Akten einsehen, die nach der geglückten Flucht über die Strelzyks und Wetzels angelegt worden waren.

"Es war uns sehr wichtig, alle Details zu berücksichtigen und auch das Lebensgefühl in dieser für die Familien dramatischen Zeit richtig einzufangen", sagt Drehbuchautor Thilo Röscheisen. "Aber wir wollten auch die andere Seite, also die Stasi, möglichst authentisch zeichnen." Dafür waren die Stasi-Unterlagen eine wichtige Quelle.