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"Ein gutes Zeichen für die Geschichte"

Roland Jahn im Gespräch mit Ulrike Bieritz in der Sendung "Vis-à-vis" im InfoRadio des rbb vom 26. Februar 2016

Herr Jahn, wir sitzen jetzt hier im Haus des Rundfunks in der Masurenallee. Die Masurenallee war ja jahrelang auch ihr Arbeitsplatz. Hatten sie denn in den letzten fünf Jahren mal Sehnsucht nach dem alten Haus und dem alten Job?

Roland Jahn: Ehrlich gesagt nein, denn meine Arbeit macht mir viel Freude, obwohl es ein schweres Thema ist. Für mich ist es ja sehr wichtig, diese Arbeit zu machen - und deswegen hab ich keine Sehnsucht nach dem alten Sender gehabt.

Ist das so ein bisschen so was wie die Krönung ihres Lebens, jetzt diesen Job gehabt zu haben, zu haben oder noch zu haben?

Roland Jahn: Es schließt sich der Kreis. Es hat damit angefangen, dass ich der Stasi ausgesetzt war, ins Gefängnis geworfen wurde, außer Landes gebracht wurde. Und all das sind natürlich Erlebnisse, die einen doch ein Leben lang beschäftigen. Und wenn so am Ende des Arbeitslebens auch auf diese Art das aufgearbeitet werden kann, nicht nur für mich persönlich, sondern auch gerade im Interesse vieler, vieler Menschen, für die ich das stellvertretend mache, dann ist das schon auch etwas, was wichtig ist und das Leben abrundet.

Als sie am 14. März 2011 ihre Ernennungsurkunde im Deutschen Historischen Museum bekommen haben, da haben sie ja auch gesagt: sie wollen Fürsprecher der Opfer sein. Gab es damit dann so einen Paradigmenwechsel in der Tätigkeit? Das ja bei vielen doch für Irritationen gesorgt. Andere haben sich gefreut über ihre Aussage.

Roland Jahn: Ich denke, dafür ist auch diese Behörde gegründet worden, dafür werden die Stasi-Akten genutzt. Denn gerade auch mit der Besetzung der Stasi-Dienststellen wurde die Arbeit der Stasi beendet. Die Akten wurden gesichert und den Menschen zugänglich gemacht, in deren Leben die Stasi eingegriffen hat. Es ist ein gesetzlicher Auftrag Aufarbeitung zu gewährleisten und das heißt, für die Opfer da zu sein. Im Gedenkstättenkonzept des Bundes steht, es ist wichtig, die Opfer zu würdigen und die Ursachen und Folgen der Diktatur aufzuklären.

In jedem Monat werden immer noch 5.000 Anträge auf Akteneinsicht gestellt, trotzdem hat man ja in der Öffentlichkeit ein bisschen so das Gefühl, dass das Interesse nachlässt. Wie erleben Sie das?

Roland Jahn: Ja, es ist logisch, dass das Interesse nach 25 Jahren nicht mehr so ist wie in den Neunzigern. Aber etwa 5.000 Anträge monatlich zur persönlichen Akteneinsicht, das macht deutlich, dass die Menschen immer noch wissen wollen, wie diese Diktatur funktioniert hat, wie die Staatssicherheit - die Geheimpolizei der DDR – ganz konkret in ihr Leben oder auch das der Familie eingegriffen hat. Gerade auch Forschung und Medien zum Beispiel nutzen die Stasi-Akten. Schauen Sie nur die ARD-Serie "Weißensee": mehr als vier Millionen Zuschauer haben hier diesen Film verfolgt, diese Serie verfolgt. Und da ging es ganz konkret um Stasi, aber exemplarisch ging es um Konflikte zwischen Menschen. Da ist auch deutlich geworden, dass die Stasi-Akten uns helfen zu erkennen, wie wichtig es ist, dass Menschen Konflikte lösen und zusammenleben.

Wer sind denn die Leute die jetzt noch Anträge stellen? Sind das immer noch selbst Betroffene hauptsächlich?

Roland Jahn: Es sind Betroffene natürlich, zwei Drittel der Anträge sind Erstanträge, also Menschen die sich teilweise nicht getraut haben, schon in den neunziger Jahren Anträge zu stellen, die jetzt so weit sind, keine Angst mehr haben vor der Erkenntnis, wer sie verraten hat zum Beispiel. Aber auch diejenigen, die jetzt erst Zeit haben, weil sie Rentner sind und die jetzt ihr Schicksal ordnen. Oder auch gefragt werden von ihren Kindern oder Enkelkindern "Wie war das damals?" und dadurch das Interesse haben, in die Akten zu schauen.

Als Sie ins Amt kamen, da haben Sie sich ja eine ganze Menge vorgenommen. Ein Beispiel nur: es sollen eben keine ehemaligen Stasi-Mitarbeiter mehr in der Behörde arbeiten damit einfach die Opfer, wenn sie kommen um ihre Akten zu sehen, nicht ihren Peinigern in die Augen schauen müssen. Das hat Ihnen viel Kritik eingebracht. Ist auch nicht wirklich ganz gelungen. Wie gehen Sie denn mit so einer Kritik auch um?

Roland Jahn: Kritik ist immer wichtig, weil man sich dann immer hinterfragen kann, ob man auf dem richtigen Weg ist. Aber hier hat sich gezeigt, dass es richtig war, dass wir dieses Thema angehen. Gerade weil es um die Opfer geht, die damit auch Schwierigkeiten hatten. Und ich glaube, indem wir einen Weg gefunden haben, der rechtsstaatlich korrekt und menschlich respektvoll war, hat sich gezeigt, dass es möglich ist. Und die wichtigste Erkenntnis daraus ist, gerade für die Opfer, die glauben an den Rechtsstaat, der ihnen hilft: Es ist möglich, Konflikte in einer Art und Weise zu lösen, in der die Opfer zufrieden sind und den ehemaligen Stasi-Mitarbeitern kein Schaden entsteht. Die einfach in anderen Bundesverwaltungen ihre Arbeit tun.

Sie wollten ja auch – oder hatten die Idee, aus dem Areal der Normannenstraße einen "Campus für Demokratie" zu machen. Auch das gefällt nicht allen. Manche sagen: das ist gerade zynisch an dem Ort wo eigentlich die Diktatur geherrscht hat, da jetzt Demokratie quasi vorn auf die Flagge zu schreiben. Können Sie das verstehen?

Roland Jahn: Gerade das ist die Botschaft. Wir wollen ja nicht im Leid der Vergangenheit verhaftet sein. Wir wollen ja in die Zukunft schauen. Wir wollen der jungen Generation Angebote machen. Ein Lernort für Demokratie, ein "Campus für Demokratie" denke ich, ist ein guter Weg, um deutlich zu machen: Wir haben die Chance aus der Vergangenheit zu lernen. Das geht nicht automatisch. Aber wir können mit Hilfe des Blickes in die Vergangenheit unsere Sinne schärfen für die Gegenwart. Und gerade an diesem Ort die Dinge klar machen: Repression, Revolution und Aufklärung. Mit diesem Dreiklang soll der Campus gestaltet werden. Das ist etwas, was eine Chance bietet auch für die Gegenwart. Hier zeigt sich, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse geändert werden können, wenn Menschen es anpacken.

Ist das Gerechtigkeit der Geschichte, dass Sie jetzt auch noch ganz andere Gäste in dem Areal haben, nämlich das Deutsche Rote Kreuz hat da, wo einst Markus Wolf residierte, jetzt Flüchtlinge untergebracht. Da ist eine Notunterkunft.

Roland Jahn: Also mir gefällt das sehr, dass an dem Ort, an dem früher die Menschenrechte mit Füßen getreten wurden sind, wo Stasi-Maßnahmenpläne ausgearbeitet worden sind, um die Macht der SED zu stützen, dass genau an dem Ort, jetzt Menschen, die geflohen sind vor Menschenrechtsverletzungen, Zuflucht finden. Das ist wirklich doch auch ein gutes Zeichen für die Geschichte.

Haben sich eigentlich die Schwerpunkte Ihrer Arbeit auch so ein bisschen verschoben in den fünf Jahren? Ist heute etwas Anderes wichtiger als vor fünf Jahren als Sie angefangen haben?

Roland Jahn: Ich denke, dass wir die Brücke zwischen den Generationen gebaut haben und dass das sichtbar wird. Mit der Stasi-Mediathek im Internet zum Beispiel. Oder am historischen Ort der Stasi-Zentrale. Oder in den Dialogen innerhalb von Familien. Das ist etwas, das ganz ganz wichtig ist. Das macht deutlich: Die Beschäftigung mit der Stasi, die Beschäftigung mit der Diktatur ist keine Angelegenheit, die man nach 25 Jahren irgendwo abschließt. Sondern hier ist die Chance für die nächste Generation, sich fit zu machen für die Gestaltung der eigenen Gesellschaft.

Gucken wir mal in die Zukunft. 2019 ist ja immer so ein Datum, das genannt wird wenn es um die Zukunft der Behörde geht. Klar scheint ja, so wie sie jetzt ist, wird es sie nicht mehr geben. Ist das richtig so?

Roland Jahn: Es ist immer wichtig, Veränderungen vorzunehmen, damit man die Arbeit verbessern kann. Und deswegen ist es wichtig, dass jetzt eine Expertenkommission eine Analyse vornimmt, dass diskutiert wird: wie kann es weiter gehen? Und das Entscheidende ist doch schon als Signal gegeben worden. Der Einsetzungsbeschluss des Bundestags war klar und deutlich: Die Arbeit soll weiter gehen. Die Akten sollen weiter genutzt werden. Und Forschung und Bildung sollen Voraussetzungen bekommen, damit sie in der Qualität stattfinden können, damit sie wirken können für diese Gesellschaft.

Vorher will ja die Expertenkommission ihre Ergebnisse vorlegen aber es sickert ja schon so ein kleines bisschen durch. Also die Akten sollen ins Bundesarchiv. Da gab es ja auch früher viel Diskussion drum. Bildung und Forschung soll möglicherweise doch ausgegliedert werden. Was wäre denn mit Ihrer Erfahrung jetzt für Sie der richtige Weg für die Zukunft der Behörde?

Roland Jahn: Auf die Informationen, die durchsickern, sollte man nichts geben. Hier gibt es keine belastbaren Informationen, wie es weiter gehen soll. Die Kommission tagt und wird ihre Vorschläge im Frühjahr unterbreiten. Aber ich kann es nur immer wiederholen: Die Akten sollen offen bleiben, Forschung und Bildung weitergehen. Es soll sich nichts verschlechtern, gerade für die Menschen. Das ist das entscheidende Signal. Und das kann ich nur unterschreiben. Gerade die Symbolik, die Arbeit mit den Akten, ist etwas, das hochgehalten werden sollte. Sowohl national, aber als auch international. Wir haben in den vergangenen Jahren viele, viele Besucher aus fast 50 Nationen gehabt, die wissen wollen: Wie haben die Deutschen das gemacht? Auch das dürfen wir nicht vergessen. Und deswegen bin ich gespannt auf die Ergebnisse der Kommission. Ich bin jemand, der immer auch für Reformen steht. Reform zum Besseren. Und ich denke, das werden wir gemeinsam hinbekommen.

Haben Sie tief in sich drin ein bisschen Sorge, dass einfach viele Möglichkeiten wie eben der freie Zugang zu den Akten für Journalisten, für Bildung und Forschung, dass das eingeschränkt werden könnte, wenn es ins Bundesarchiv zum Beispiel geht?

Roland Jahn: Ach wissen Sie, ich bin ein Optimist und ich glaube, wichtig ist es zu beachten, dass die Zugangsvoraussetzungen zu den Akten gut sind. Dass wir die Herausforderungen, den Reformbedarf auch entsprechend angehen. Wir brauchen gute Standorte, gerade auch in den Außenstellen, wo es Gebäude geben soll, die archivgerechte Lagerung möglich machen. Wir brauchen zeitgerechte Nutzungsbedingungen. Ich nenne nur das Stichwort Digitalisierung. Und wir brauchen Möglichkeiten der Vermittlung in Richtung nächster Generation, die zeitgemäß sind. Und da gilt es immer auch das im Blick zu haben. Deswegen stehen immer Reformen an. Wichtig ist, dass man dann Strukturen findet, die das effizient organisieren können.

Ihr Vertrag endet am 15. März und über eine Wiederwahl oder Verlängerung wird im Augenblick in der großen Koalition gestritten. Die CDU möchte Sie gerne für weitere fünf Jahre in dem Amt belassen. Die SPD hat da so ihre Probleme, will auf die Ergebnisse der Expertenkommission warten. Wie fühlt es sich denn an, ein Spielball der Politik zu sein?

Roland Jahn: Ich denke, ich habe eine interessante Arbeit. Ich mache das gerne und ansonsten habe ich Respekt vor dem Deutschen Bundestag, dass der seine Entscheidung trifft.

Angenommen Sie bekämen noch einmal fünf Jahre die Möglichkeit dieses Amt weiter zu bekleiden. Was ist in den letzten fünf Jahren liegen geblieben und was würden Sie denn gerne noch angehen?

Roland Jahn: Wir müssen das Tempo erhöhen. Und zusehen, dass wir die Möglichkeiten, die wir haben, gerade im Dialog mit der nächsten Generation zu vermitteln, was Diktatur war. Dass wir das in einer Art und Weise weiter tun, sodass es auch angenommen wird. Es hilft nicht, mit dem pädagogischen Zeigefinger aufzutreten. Es hilft nicht, der Jugend zu sagen, dass sie was lernen soll aus der Geschichte, sondern unsere Aufgabe ist es, Angebote zu machen, dass sie zugreift. Und wenn wir das nicht schaffen haben wir verloren. Aber ich bin optimistisch, dass wir das hinkriegen, dass die Jugend die Chance nutzt, sich auch mithilfe der Stasiakten fit zu machen für die heutige Gesellschaft.

Bei Ihren Vorgängern ist immer so etwas in Erinnerung geblieben, Joachim Gauck hat die Behörde aufgebaut, bei Marianne Birthler erinnert man sich an die Auseinandersetzung mit Helmut Kohl. Was bleibt von Ihnen? Was möchten Sie, was bleibt?

Roland Jahn: Zum Beispiel der „Campus für Demokratie“. Das ist ein historischer Ort der, so hoffe ich, auch in 50 und 100 Jahren besucht werden wird.

Das Gespräch führte Ulrike Bieritz