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"Ja klar darf man über die Stasi lachen"

Roland Jahn Im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung, erschienen am 2. Oktober 2015

Osnabrück. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen der ehemaligen DDR-Staatssicherheit, Roland Jahn, sieht die Erfahrungen der letzten 25 Jahre - mit dem Einreißen der Mauer und der deutschen Einheit - als Ansporn bei der Bewältigung des Flüchtlingszustroms. Im Interview bekräftigt Jahn: "Wir haben aus der deutsch-deutschen Vergangenheit gelernt, das Wichtigste sind die Menschenrechte, über alles andere kann man sich streiten."

Herr Jahn, nach dem Fall der Mauer hieß es, die Menschen aus Ost und West müssten sich jetzt ihre unterschiedlichen Lebensgeschichten erzählen. Rückt das in den Hintergrund angesichts des aktuellen Flüchtlingsstroms nach Deutschland?

Jahn: Im Gegenteil: Was wir in den letzten 25 Jahren in Deutschland geschafft haben - mit dem Einreißen der Mauer und der Deutschen Einheit - kann uns ein Ansporn sein bei dem, was uns bevorsteht bei der Bewältigung des Flüchtlingszustroms. Wir haben aus der deutsch-deutschen Vergangenheit gelernt, das Wichtigste sind die Menschenrechte, über alles andere kann man sich streiten.

Deutsch-deutsche Geschichte als Lehrstück?

Jahn: Unsere Erfahrungen der letzten 25 Jahre geben uns die Kraft, mit den neuen Herausforderungen umzugehen.

Am Tag der Einheit 2010 hat Ex-Präsident Christian Wulff gesagt, der Islam gehört zu Deutschland. Erwarten Sie beim Festakt morgen eine ähnliche Aussage vom Staatsoberhaupt?

Jahn: Die Religionsfreiheit gehört zu Deutschland, das steht im Grundgesetz. Das sollten wir auch leben.

Es gibt nach schlimmen Schlägereien Forderungen, christliche und muslimische Asylbewerber getrennt unterzubringen. Ist das richtig?

Jahn: Ich will keine pauschalen Urteile abgeben. Es muss vor Ort geschaut werden, wie sich Probleme am besten lösen lassen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass für alle, auch für Neuankömmlinge, rechtsstaatliche Regeln gelten. Und die müssen beachtet werden. Respekt ist keine Einbahnstraße.

Verkommt der Tag der Einheit zu einem Ritual?

Jahn: Ich finde es gut, wenn wir den Tag der Deutschen Einheit feiern. Es ist jedes Mal ein anderes Bundesland, das den zentralen Festakt gestaltet, so bleibt es neu. Jetzt sind es die nach 1990 Geborenen, die fragen: Woher kommt meine Familie? Wie hat sie sich damals verhalten? Sie stellen wunderbar frische und freche Fragen, weil sie unbefangen sind. Solange es noch Zeitzeugen der Teilung und der friedlichen Revolution gibt, sollten wir sie nutzen für einen Dialog der Generationen.

Wer fragt mehr: die Enkelgeneration aus dem Osten oder die aus dem Westen?

Jahn: Die Betrachtung der Geschichte ist eine gesamtdeutsche Angelegenheit - und keine, die man in Ost und West teilen kann. In Bezug auf unser Thema Stasi hat das auch etwas Grundsätzliches: Warum verraten Menschen andere Menschen? Diese Frage treibt die Jugend insgesamt um, aber auch die Fragen nach dem Unterschied zwischen der DDR-Staatssicherheit und dem US-Geheimdienst NSA.

Vor einem Jahr, zum 25. Jahrestag des Mauerfalls, wurde mithilfe einer imposanten Lichtinstallation der Verlauf der Berliner Mauer markiert. Wünschen Sie sich mehr solcher Aktionen?

Jahn: Das sind emotionale Höhepunkte - die kann man nicht nach Belieben herstellen. Das war sehr beeindruckend zum Jubiläum. Aber mir geht es darum, dass sich die Menschen auch im Alltag einlassen auf unsere Vergangenheit. Da helfen authentische Orte, jene Orte, an denen die deutsche Geschichte erlebbar ist - wie Gedenkstätten, Museen und Archive an historischen Orten. Auch moderne Formate wie ein inzwischen ausgezeichnetes Twitter-Projekt zum Mauerfall können jungen Menschen die Vergangenheit digital nahebringen.

DDR ist Stasi - vor allem die staatliche organisierte Drangsalierung ist im kollektiven Gedächtnis haften geblieben. Wie kommt das?

Jahn: Die DDR war mehr als Stasi. Aber natürlich ist es nachvollziehbar, dass die Menschen nach dem Ende des Unrechtsstaates die Decke lüften und offenlegen wollten, was im Verborgenen stattgefunden hat. Es liegt in der Natur des Menschen, wissen zu wollen, wer ihn in seiner nächsten Umgebung verraten hat. Und so konzentrierte sich die DDR-Aufarbeitung schnell auf die Stasi. Doch das Wichtige hierbei ist, dass die Stasi-Akten geöffnet wurden - erstmalig auf der Welt wurden die Unterlagen einer Geheimpolizei zugänglich gemacht. Das schärft den Blick auf die Herrschaftsmechanismen der DDR insgesamt und auf die Menschen, die versucht haben, in dieser Diktatur zu leben. Mir ist es wichtig, diesen Menschen mit Respekt zu begegnen und zugleich klarzumachen, dass die DDR gegen Menschenrechte verstieß.

Als die Kanzlerin die Biografie Gerhard Schröders vorstellte, hielt sie es für berichtenswert, dass Schröder laut Stasi-Recherche gern Bier aus großen Gläsern trank. Darf man über die Stasi lachen?

Jahn: Ja klar darf man über die Stasi lachen. Nicht zuletzt haben viele von denen, die in DDR-Gefängnissen saßen, geschworen, sich das Lachen nicht austreiben zu lassen.

Besteht die Gefahr, dass die SED-Diktatur durch witzige Filme wie "Sonnenallee" verniedlicht oder verklärt wird?

Jahn: Kunst ist frei, Filme dieser Art müssen auch möglich sein. Es darf kein staatlich verordnetes Geschichtsbild geben. Aber es ist wichtig, dass sich unsere Gesellschaft mit der Frage auseinandersetzt, was Diktatur bedeutet. Die Menschen sollen befähigt werden, sich ein eigenes Urteil zu bilden - und dazu wollen wir auch mit unserer Arbeit beitragen.

Schleicht sich Trägheit bei den wiedervereinigten Bundesbürgern ein?

Jahn: Zur Freiheit gehört auch, sich für Dinge nicht zu interessieren. Umso mehr sind wir herausgefordert, Angebote zu machen, die Interesse wecken und nicht nur auf das Leid der Vergangenheit schauen.

Der Stasi-Apparat hat der DDR am Ende nichts genutzt. Warum haben wir daraus nichts gelernt?

Jahn: Ich denke schon, dass wir daraus gelernt haben. Der Blick in die Vergangenheit hat die Sinne für die Gegenwart geschärft. Das merke ich in vielen Gesprächen. Es ist auch konkret fassbar: Nachrichtendienste unterliegen parlamentarischer Kontrolle. Das hat zuletzt der Bundesnachrichtendienst sehr deutlich gespürt. Aber Demokratie ist nicht selbstverständlich, sie braucht jeden Tag das Engagement aller.

Das Gespräch führte Beate Tenfelde