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"Wir sind Dienstleister für die Gesellschaft"

Vor knapp 25 Jahren ist die Mauer gefallen, wenig später war die DDR Geschichte. Und diese Geschichte wird seitdem aufgearbeitet, auch durch die Stasi-Unterlagenbehörden. Heute kommen die Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Dresden zusammen. Sie wollen Bilanz ziehen und auch die aktuelle Diskussion über die Zukunft ihrer Behörden aufgreifen. So hat der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, erst vor kurzem gesagt: Die Stasi-Unterlagenbehörde könne komplett geschlossen werden. Ihre Aufgaben könnten andere Institute übernehmen.

Herr Jahn, brauchen wir die Stasi-Unterlagenbehörden noch?

Jahn: Wir brauchten staatliche Institutionen, die Aufarbeitung der SED-Diktatur unterstützen. Wir brauchen Institutionen, die dafür sorgen, dass Aufklärung über die SED-Diktatur stattfindet. Und dazu ist es wichtig, dass auch die Stasi-Unterlagen genutzt werden.

Ist denn die Behörde in ihrer jetzigen Form noch zeitgemäß oder könnten die Aufgaben auch zum Beispiel ans Bundesarchiv übertragen, was ja aktuell auch diskutiert wird?

Jahn: Darüber wird eine Expertenkommission des Deutschen Bundestages befinden, die jetzt eingesetzt wird in den nächsten Monaten, um genau zu analysieren: Was ist zeitgemäß? Wie können wir zukunftsfähige Strukturen schaffen, die weit in die nächsten Jahrzehnte hinaus Aufklärung über die Diktatur möglich machen?

Wie weit wird sich denn vielleicht auch die Aufgabe der Stasi-Unterlagenbehörde verschieben, um künftig aufzuklären und weniger den einzelnen Menschen, die ja irgendwann auch sterben werden, Zugang zu ihren einzelnen Stasi-Akten zu geben?

Jahn: Also, erst mal muss man klar und deutlich feststellen: Wir haben momentan noch genug zu tun. Jeden Monat kommen über 5.000 Anträge auf Akteneinsicht, das ist eine Menge an Arbeit. Wir haben sehr viele Forschungsanträge und wir haben auch noch Anfragen öffentlicher Stellen, wie zum Beispiel auch die Überprüfung des öffentlichen Dienstes. Was zusätzlich geschieht, ist ja jetzt, zu überlegen: Wie können wir langfristig, gerade auch im Dialog mit den nächsten Generationen, die diese Zeit nicht mehr erlebt haben, die SED-Diktatur vermitteln? Wir haben gerade in Dresden den Ausbau der Gedenkstätte Bautzener Straße, wo die Möglichkeit ist, gerade dass auch junge Menschen hinkommen und sich informieren, wo ein Nachrichtendienst so gearbeitet hat, dass er gleichzeitig auch Polizei war. Dass er die Menschen einerseits bespitzelt hat, aber auch eingesperrt hat. Das ist etwas, was wir natürlich an authentischen Orten am allerbesten vermitteln können und auch mit Hilfe der Stasi-Akten.

Der sächsische Landesbeauftragte Lutz Rathenow sagt, man brauche, eben weil mittlerweile auch viele Anfragen kommen aus dem Westen, vielleicht auch Landesbeauftragte für die westlichen Bundesländer. Wie sehen Sie das denn?

Jahn: Lutz Rathenow hat natürlich an einem Punkt recht: Die Aufarbeitung der SED-Diktatur ist eine gesamtdeutsche Angelegenheit. Erst mal gibt es viele Menschen aus der DDR, die ausgereist sind in den Westen oder geflüchtet sind, damals, als die Mauer noch stand. Das Zweite ist: Auch im Westen gab es Stasi-Mitarbeiter. Auch im Westen gab es Menschen, die gewirkt haben im Interesse der SED-Diktatur. All das muss ja auch aufgearbeitet werden, Verantwortung übernommen werden für das, was man damals gedacht hat.

Was glauben Sie: Wie lange wird es den Bundes- und die Landesbeauftragten noch geben?

Jahn: Wichtig ist, dass Bundes- und Landesbeauftragte Dienstleister für die Gesellschaft sind. Und die Gesellschaft bestimmt, wie lange man sie braucht. Gesellschaftliche Aufarbeitung ist natürlich gut und wichtig. Aber eine Unterstützung durch staatliche Institutionen ist immer hilfreich. Gerade die Landesbeauftragten als Ansprechpartner für Menschen, die bis heute darunter leiden, wie Staatssicherheit, wie SED, wie Funktionäre in ihr Leben eingegriffen haben, gerade die Menschen brauchen Ansprechpartner, brauchen Hilfe, so dass ganz wichtig ist, dass vor Ort in den Bundesländern diese Ansprechpartner da sind.

Das Interview führte Andreas Herrler