Direkt zum Seiteninhalt springen
Ein Araber gibt dem Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht (links) Erläuterungen im Tal der Könige.

Dreieck Bundesrepublik – DDR – Israel

Im Mai 1965 nahmen Israel und die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen auf. Dies sorgte für Verstimmungen in der arabischen Welt. Die Auslandsspionage der Stasi verfolgte bereits im Vorfeld die Entwicklung dieser diplomatischen Gemengelage.

Zum Inhalt springen

Am 12. Mai 1965 vereinbarten Bundeskanzler Ludwig Erhard und der israelische Premierminister Levi Eschkol die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Dem Datum war eine jahrelange offizielle und geheime Annäherung zwischen Israel und der Bundesrepublik vorausgegangen.

Die DDR dagegen unterhielt – anders als die übrigen Staaten des Ostblocks – zu keinem Zeitpunkt diplomatische Beziehungen zu Israel. Mit ihrer offen antizionistischen Haltung fand die DDR zunehmend Anerkennung in der arabischen Welt. Im Gegensatz dazu verlor die Bundesrepublik wegen ihrer Unterstützung Israels bei den arabischen Ländern an Ansehen und musste befürchten, dass diese die DDR als souveränen Staat anerkennen könnten.

Die westdeutsche Außenpolitik war zu dieser Zeit von der "Hallstein-Doktrin" geprägt. Nahm ein Land diplomatische Beziehungen zur DDR auf, wertete die Bundesrepublik dies als "unfreundlichen Akt", der zum Abbruch der diplomatischen Kontakte führen konnte.

Dreieck Bundesrepublik – DDR – Israel im Spiegel der Ausgangsinformationen der HV A

Stasi-Unterlagen dokumentieren die Informationssammlung des MfS auch zu diesem vielschichtigen Thema. Dabei weist die Überlieferung gerade der Auslandsspionage des MfS, der HV A, riesige Lücken auf, weil sich die Abteilung ab Februar 1990 selbst auflösen durfte. Das Verzeichnis der Ausgangsinformationen der Hauptverwaltung A des Ministeriums für Staatssicherheit wurde aus den überlieferten elektronischen Informationsträgern der HV A und Nachweisen der ZAIG des MfS erstellt. Es liefert eine Übersicht über die thematische Vielfalt der von der HV A für die SED- und Staatsführung zusammengestellten Informationen. In vielen Fällen verweist es auf die heute noch im Stasi-Unterlagen-Archiv befindlichen Dokumente.

In diesen konzentrierten Informationen der HV A lassen sich auch einige Dokumente zum Komplex Israel und Deutschland in den 60er Jahren finden. Oft lassen diese Rückschlüsse auf die Quellen des MfS zu.

Vorgeschichte: Waffenlieferungen an Israel und Ulbricht in Ägypten

Rund vier Monate vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen war es zu einem  Affront gegen die Bundesrepublik gekommen. Der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser hatte den höchsten Repräsentanten der DDR, den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, als offiziellen Staatsgast eingeladen. Es war das erste Mal, dass ein Staat außerhalb des Ostblocks der DDR diese Möglichkeit bot. Vom 24. Februar bis 2. März 1965 besuchte Ulbricht Ägypten. Das Land war ein einflussreiches Mitglied der Organisation blockfreier Staaten und tonangebende Macht der Arabischen Liga.

Die Einladung Nassers an Ulbricht erfolgte auch als Antwort auf die jahrelangen, geheim gehaltenen Lieferungen von Waffen, Panzern und militärtauglichen Flugzeugen der Bundesrepublik an Israel gelten. Bereits Ende 1957 hatte es Sondierungen dazu gegeben, zwischen dem bundesdeutschen Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß und dem Generaldirektor des israelischen Verteidigungsministeriums Schimon Peres. In den folgenden Jahren dann lieferte die Bundesrepublik die zugesagte Militärausrüstung verschleiert über Frankreich an Israel.

Im Oktober 1964 schließlich wurde dieser  bis dahin geheime  Handel publik und sorgte für große Aufregung im arabischen Lager. Nassers Einladung an Ulbricht setzte die Bundesrepublik erneut unter Druck. Bis dahin war Ägypten ein Garant der Nicht-Anerkennung der DDR als Staat im Sinne der "Hallstein-Doktrin".

Ein Araber gibt dem Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht (links) Erläuterungen im Tal der Könige.

Einzelinformationen der Stasi zur Diskussion um Ulbrichts Ägyptenreise

Den bevorstehenden Staatsbesuch Walter Ulbrichts in Ägypten konnte die Stasi aus der Binnenperspektive "führender CDU-Kreise" beschreiben. In der vorliegenden Einzelinformation wird detailreich über Hintergründe von Ulbrichts Besuch spekuliert sowie über die Folgen auch für die Bundesrepublik. Ägypten wird hier mit der Abkürzung VAR für den Staatsnamen "Vereinigte Arabische Republik" bezeichnet. (Ergänzend dazu die kommentierte Einzelinformation 142/65 aus der Edition "Die DDR im Blick der Stasi" - Band 1965)

Dokument in der Stasi-Mediathek ansehen

Die Stasi berichtete der Partei- und Staatsführung in der DDR im Februar 1965 auch über "Äußerungen führender FDP-Politiker" zum Nahostkomplex und insbesondere Ulbrichts Staatsbesuch in Ägypten. Diese befürchteten demnach, dass die Bundesrepublik unter Handlungsdruck geraten sei und auf die Politik der DDR reagieren müsse, was bedeute, die immer noch als "Zone" bezeichnete DDR "faktisch [...] aufzuwerten".

Binnenansichten zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen

Bereits vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel verfolgte die Stasi die politische Diskussion um die Annäherung beider Staaten. Im November 1962 hatte sich Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier bei einem Besuch in Israel für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen ausgesprochen.

Eine Einzelinformation einer "Quelle aus Bonner Regierungskreisen" berichtet von den darauf folgenden diplomatischen Protesten der arabischen Staaten gegen die westdeutsche Haltung zu Israel. Bemerkenswert ist, dass die erwähnten "Verbalnoten" der arabischen Staaten an die Bundesregierung im Januar 1963 erfolgten, die HV A jedoch erst am 5. Juni 1963 die DDR-Führung darüber unterrichten konnte. Angesprochen wird hier auch die Antwort der Bundesrepublik auf die "Verbalnoten" im März 1963. Damit stellte sie klar, dass sich ihre Haltung hinsichtlich der Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel nicht verändert habe. Der Bericht lieferte also keine tagesaktuellen Informationen, sondern griff mehrere Monate zurückliegende Ereignisse auf.

Auch aus einer internen Sitzung der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses in West-Berlin gewann die Stasi Informationen über deren Einschätzung zu einer möglichen Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel. An der Sitzung nahm auch der Regierende Bürgermeister von Berlin und SPD-Bundesvorsitzende Willy Brandt teil. Der Bericht wurde am 4. Dezember 1964 verfasst. Zu diesem Zeitpunkt waren die geheimen Waffenlieferungen der Bundesrepublik an Israel schon gut einen Monat publik.

Von einer Reihe weiterer Ausgangsinformationen der HV A zum Thema sind derzeit nur die Titel bekannt, die Dokumente selbst dazu sind bislang nicht aufgefunden worden:

  • EI_1964/0456 - Die Haltung führender SPD-Politiker zu den Beziehungen zwischen der westdeutschen Bundesrepublik und Israel
  • EI_1964/1009 - Haltung des DGB-Vorsitzenden Rosenberg zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel
  • EI_1964/1110 - Unterschriftensammlung des DGB für die diplomatische Anerkennung Israels durch die Bundesrepublik
  • EI_1965/0201 - Äußerungen Willy Brandts zur Frage der Waffenhilfe an Israel sowie zu anderen außen- und innenpolitischen Fragen
  • EI_1965/0528 - Fragen der Bonner Nahostpolitik im Zusammenhang mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel

Ein Jahr später, im Mai 1966, dokumentierte die Stasi in einer Einzelinformation  auf Grundlage "zuverlässiger interner Materialien" sowie "führender Bonner Regierungskreise" umfassende Einschätzungen bundesdeutscher Politiker zu Israel. Für die DDR-Führung dürfte vor allem interessant gewesen sein zu erfahren, dass man in Westdeutschland eine substanzielle Verbesserung der Beziehungen Israels zur Sowjetunion für unwahrscheinlich hielt. Positive Äußerungen der israelischen Führung über die Sowjetunion dienten ausschließlich dazu, eine Ausreise der sowjetischen Juden nach Israel zu erreichen, so die Bonner Einschätzungen.

Dokument in der Stasi-Mediathek ansehen

Der Status Jerusalems war international umstritten. Israel bemühte sich, die Stadt als seine Hauptstadt zu entwickeln. 1967 fand die Militärparade anlässlich des israelischen Nationalfeiertags am 15. Mai in Jerusalem statt und nicht mehr, wie zuvor, in Tel Aviv. Die Bundesregierung musste daher abwägen, welchen außenpolitischen Nutzen und Schaden es anrichtete, wenn der bundesdeutsche Botschafter in Israel an der Militärparade in Jerusalem teilnahm. Von diesem Abwägungsprozess handelt eine Einzelinformation der Stasi aus dem März 1967.

Mit dem Sechstagekrieg Israels gegen Ägypten, Jordanien und Syrien im Juni 1967 schließlich wurden die komplexen Beziehungen in Nahost komplett neu gemischt. Die Ostblockstaaten, außer Rumänien, brachen ihre Beziehungen zu Israel ab. Im Spannungsfeld Nahost blieb die diplomatische Geschichte beider deutschen Staaten für die Stasi ein Dauerthema. Die SED-Führung bekannte sich in Folge der Zäsur durch den Sechstagekrieg zu einer offenen Unterstützung arabischer Länder und diverser "Befreiungsorganisationen". Israel galt dabei nun als verlängerter Arm des so beschriebenen US-amerikanischen Imperialismus.

Die Stasi hatte anti-israelische und terroristische Bewegungen stets im Blick und mehr: Zu Zeiten unterstützte sie aktiv gewaltbereite und terroristische Gruppierungen. Im Wettbewerb mit dem anderen deutschen Staat blieb aber auch Israel stets im Visier der Stasi. Zum Ende der DDR gab es unter Honecker sogar den vorsichtigen Versuch einer Annäherung an Israel, um das Verhältnis zu den USA zu verbessern.

Thema

Neue Synagoge, Aktion "Kristall" und ein großer Plan

Am 10. November 1988 wurde in Ost-Berlin mit viel politischer DDR-Prominenz und ausländischen Ehrengästen die symbolische Grundsteinlegung zum Wiederaufbau der Neuen Synagoge inszeniert. Die Stasi sicherte die Veranstaltung am 50. Jahrestag der Pogromnacht in Ost-Berlin ab.

Weiterführende Literatur

Publikation

Verzeichnis der Ausgangsinformationen der Hauptverwaltung A des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR

Version 6.0 (Stand: August 2020)

Die Ausgangsinformationen der Hauptverwaltung A (HV A) des MfS sind die zentrale Überlieferung im Archiv des BStU zu den Ergebnissen der Westspionage der HV A, wie sie sich der Führungsspitze der SED darstellten.

Publikation

Die DDR im Blick der Stasi 1965

Die geheimen Berichte an die SED-Führung

Das Jahr 1965 stand im Zeichen der Wirtschaftsreformen der SED, die im Schatten der Mauer eingeleitet worden waren.

  • Lorena de Vita, Annäherung im Schatten der Hallstein-Doktrin: Das deutsch-deutsch-israelische 1965, Aus Politik und Zeitgeschichte, Januar 2015.
  • Rainer A. Blasius, "Völkerfreundschaft" am Nil: Ägypten und die DDR im Februar 1965, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 46 (1998) 4, S. 747–805.
  • Rainer A. Blasius: Geschäftsfreundschaft statt diplomatischer Beziehungen. Zur Israel-Politik 1962/63. In: Rainer A. Blasius (Hrsg.): Von Adenauer zu Erhard. Studien zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1963. München 1994, S. 145–210. (Schriftenreihe Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Bd. 68)
  • Mechthild Lindemann und Ilse Dorothee Pautsch, Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1965, 3 Bände, Wissenschaftlicher Leiter: Rainer A. Blasius, München 1996.