[Intro]
Sprecherin: "111km Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Maximilian Schönherr: Das ist eine neue Folge des BStU Podcasts. Ich bin Maximilian Schönherr, Journalist.
Dagmar Hovestädt: Und ich bin Dagmar Hovestädt und verantworte die Presse- und Onlinekommunikation hier im Stasi-Unterlagen-Archiv.
Maximilian Schönherr: Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen veranstaltet immer wieder Podiumsdiskussionen mit hochkarätigen Experten und Zeitzeugen. Wir haben in einer früheren Podcast-Folge von mutigen Menschen gehört, die während der friedlichen Revolution die Stasi-Dienststellen besetzten um die Akten vor der Vernichtung zu schützen. In dieser Folge hören wir in eine Veranstaltung zu Geheimdiensten rein. Wie, Dagmar, kam es dazu?
Dagmar Hovestädt: Das ist tatsächlich eine Veranstaltung gewesen, die sich aus einem Projekt ergibt, das seit 2011 in Gange ist. Der Bundesnachrichtendienst hat nämlich am Anfang 2011 die unabhängige Historiker-Kommission zur Erforschung des Bundesnachrichtendienstes eingesetzt und das was dort erforscht wird, begrenzt auf die Zeit zwischen 1945 und 1968, kreuzt natürlich auch immer wieder den Weg mit unserem Archiv und mit dem zweiten deutschen Staat, also der DDR.
Maximilian Schönherr: DDR-Gründung 1949.
Dagmar Hovestädt: Genau DDR-Gründung 1949, aber die Feinheiten dieser gesamten Geschichte, also die OrganiStasion Gehlen, wie der BND quasi am Anfang hieß, formiert sich irgendwie unter Anleitung der Amerikaner 1946, das MfS ja erst 1950, dazwischen passieren die beiden Staaten Gründungen. Aber was sozusagen da in diesen beiden sich fortlaufend trennenden deutschen Staaten passiert, hat immer auch besonders viel mit Geheimdiensten zu tun und wir haben vor ein paar Jahren schon den Band 3 dieser UHK dieser unabhängigen Historiker Kommission vorgestellt, da hat meine Kollegin Daniela Münkel daran mitgearbeitet. Da ging es um die Konfrontation von DDR-Staatssicherheit und OrganiStasion Gehlen spezifisch im Jahr 1953 um diese Veranstaltungen, die wir heute also zum Gegenstand des Podcast gemacht haben. Die behandelt den Band 11 fand im Frühjahr 2020 statt und dieser Band 11 heißt "Die DDR-Spionage des BND".
Maximilian Schönherr: Es geht in diesem Podcast primär um den früheren Bundesnachrichtendienst eben Gehlen und BRD. Da spielt das DDR Ministerium für Staatssicherheit natürlich eine zentrale Rolle als Gegenspieler, aber spielt auch das Stasi-Unterlagen-Archiv dabei eine wichtige Rolle?
Dagmar Hovestädt: Na ja so ein Gegenspieler ist ja nicht nur eine fiktionale Figur, sondern der erst aktiv. Und alles was er tut und wie er handelt hält er in Dokumenten festen, dann spielt das Archiv natürlich immer eine Rolle, aber wir sind nicht die zentrale Quelle. Diese unabhängige Historiker-Kommission ist deshalb so besonders, weil sie erstmals im Archiv des BND, in den Unterlagen des BND, recherchieren kann und sich das ansehen kann und da ist für so eine Phase des DDR-Bildes des BND natürlich erst mal die eigenen Unterlagen des BND wichtig und das Stasi-Unterlagen-Archiv bildet was der Archivar oder was man dem Kontext die Gegenüberlieferung nennt. Also in der kann man sozusagen die andere Seite sich anschauen und überprüfen, ob das was auf der einen Seite in den Akten festgehalten wird auf der anderen Seite eine Entsprechung hat, eine Lehrstelle oder sich die Verhältnisse ganz anders darstellen. Und insofern sind wir dann auch schon eine ganz wichtige Quelle für die Forschung von Ronny Heidenreich, der ja diesen Band sozusagen geschrieben hat.
Maximilian Schönherr: Mit ihm werden wir hier im BStU-Podcast noch eine eigene Folge bestreiten. Ich freue mich schon drauf, weil es einige Überschneidungen mit meinen eigenen Recherchen hier im Stasi-Archiv gibt.
Dagmar Hovestädt: Das finde ich super, dass sozusagen diese frühe Phase noch mal eine Rolle spielt, denn ich weiß ja, dass du dir da schon etliche O-Töne auch angehörst hast, die in dieser frühen Phase hier dokumentiert wurden. Das wird bestimmt sicherlich spannend.
Maximilian Schönherr: Wir haben den Mitschnitt der Veranstaltung gekürzt, aber Sie können auch die gesamte Veranstaltung, die zwei Stunden lang ist, auf dem YouTube-Kanal des Stasi-Unterlagen-Archiv nachverfolgen. Den Link dazu finden sie auf www.bstu.de/podcast unter dieser Folge.
Dagmar Hovestädt: Und wie immer enden wir mit diesen Podcast mit einem spannenden Originalton aus unserem gar nicht mal so kleinen, du sagst doch riesigen Audio-Archiv, aber zunächst jetzt erstmal die Ronny Heidenreich. Der Forscher, der die Geschichte über das DDR-Wissen des BND erforscht hat in den 50er Jahren, mit einem kleinen Einführungsvortrag zum Abend, der die Ergebnisse seiner Forschung, ich sag mal so in einer Viertelstunde auf den Punkt Zusammenfasst.
[Ausschnitt aus der Veranstaltung]
Ronny Heidenreich: ich freue mich sehr Ihnen hier heute Abend erstmals ein paar Einblicke in mein Buch über die Anfänge der DDR-Spionage des Bundesnachrichtendienstes zu bieten. Des Bundesnachrichtendienstes und seiner Vorläuferin, der Organisation Gehlen. Wir reden also heutige über den historischen BND. 30 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur in diesem Jahr scheint manchen vieles oder auch alles über die DDR gesagt. Wie ich finde, ist dem nicht so. Auch deshalb weil die Praxis der Spionage des Westens in Ostdeutschland und vor allem aber ihre Rückwirkung auf Politik und Gesellschaft in beiden Teilen Deutschlands bislang fehlstellend waren, über die wir erst langsam zu gesicherten Erkenntnissen kommen. Warum das so ist, wo wir heute an der Geheimdienstforschung stehen, was uns das für die Zeitgeschichtsforschung allgemein sagt, darüber wird vielleicht im Anschluss noch zu reden sein. Von mir an dieser Stelle, in den nächsten hoffentlich nur 20 Minuten, vier übergreifende Punkte, die mir wichtig erscheinen:
Erstens die allgemeine Frage, warum Spionage bei der Betrachtung der Nachkriegsgeschichte, mit der wir uns hier befassen, wichtig ist.
Zweitens, und damit komme ich zu meinem engeren Thema, bedurfte es konkreter Möglichkeiten an Informationen über den Gegner, in diesem Kontext die Sowjetunion zu kommen. Dafür war der Osten Deutschlands zweifelsohne, aus westlicher Sicht, das wichtigste Einfallstor in den sowjetischen Machtbereich. Das heißt, weniger die strategische Bedeutung der DDR selbst, als vielmehr die einfachen Arbeitsmöglichkeiten erwiesen sich dafür als ausschlaggebend. Die Grenzen waren bis 1961 durchlässig, insbesondere hier in Berlin, und die alltäglichen Kontakte zunächst für keine Seite vollständig kontrollierbar. Hinzu trat eine in weiten Kreisen bzw. Teilen der Bevölkerung verbreitete und durch den kaum überwundenen Nationalsozialismus bestärkte Ablehnung des neuen kommunistischen Regimes. Und all dies, offene Grenzen, eine verflochtene Gesellschaft und die ideologische Ablehnung waren beste Voraussetzungen für westliche Geheimdienste in der DDR Mitarbeiter anzuwerben. Und sie taten dies, wie wir jetzt aus den BND-Akten wissen, überaus erfolgreich. Wenn wir über die polare DDR-Spionage zwischen Kriegsende und Mauerbau in Ostdeutschland reden, so hat das wenig mit ausgeklügelten James Bond Operation zu tun. Eben weil die skizzierten Bedingungen vergleichsweise gut waren, verfolgten, alle westlichen Dienste bis zum Mauerbau das Konzept bis Mitte der 50er Jahre. Das Konzept der Massenspionage. Das heißt praktisch jeder konnte und sollte kaum ausgebildet und abgesichert Informationen liefern. Die Effizienz dieser Praxis zeigen die Dimensionen der frühen, äußerst kurzlebigen und trotzdem ständig regenerierbaren BND-Netze. Zu Hochzeiten gab es im Sommer 1953 mehr als 1.000 registrierte Zuträger, schätzungsweise noch einmal so viele Menschen waren, ohne dass sie Vorgänge in Pullach hätten, als Unterstützer in die Operation eingebunden. Die meisten von diesen waren im Umfeld sowjetischer Militäreinrichtung zu finden, aber auch der Staats- und Wirtschaftsapparat der DDR war bis in die Funktionseliten mit V-Leuten durchsetzt. Einzig der politische Führungszirkel und die Staatssicherheit blieben, wenigstens dem BND, verschlossen. Das änderte sich Ende 1953 grundlegend. Nunmehr charakterisiert von einer offensiven Spionageabwehr, ging MfS und KGB gegen vermeintliche unterschiedliche westliche Agenten vor, verurteilten sie in Schauprozessen zu drakonischen Strafen, auch Todesurteile wurden gefällt und läuteten damit eine neue Phase im Ausbau des ostdeutschen Polizei- und Überwachungsstaates ein. Derart abgeschreckt flohen nun die meisten Zuträger des Bundesnachrichtendienstes in den Westen. Neuwerbungen, gerade in den sensibleren Bereichen, wurden nahezu unmöglich. Bereits vor dem Mauerbau war der DDR-Spionage des Bundesnachrichtendienstes der Boden entzogen. Von den zitierten 1.000 Zuträgern waren am Vorabend des 13.08.1961 noch knapp 230 übrig. Noch einmal 7 Jahre später, also 1968, als Reinhard Gehlen aus dem Bundesnachrichtendienst ausscheidet, lassen sich noch 20 V-Leute in der DDR nachweisen. Auf diesem Wege Informationen aus der DDR zu beschaffen, war dem BND schlicht und ergreifend auch schon Mitte der 50er Jahre nicht mehr hinreichend und zum Schluss praktisch überhaupt nicht mehr möglich.
Drittens: Wenn der BND bis Mitte der 50er Jahre so erfolgreich bei der Anwerbung von V-Leuten war, dann war er dann auch ein erfolgreicher Geheimdienst? Nun, damit stellt sich die Frage, ob die Informationen, die gewonnen wurden, tatsächlich geheim und exklusiv waren, also für andere nicht zugänglich und für die Leser der Berichte strategisch wichtig waren. Der BND setze nicht nur quantitativ sondern auch qualitativ in der DDR auf Massenspionage. Was also zu Hochzeiten mit seinem doch beachtlichen Agenten-Heer geleistet werden konnte, war eine kleinteilige Breitenüberwachung des sowjetischen Militärs, sowie eine phasenweise dichte Durchdringung des ostdeutschen Wirtschafts- und Verwaltungsapparates. Beides war für die bis 1956 aufsichtsführenden Amerikaner unerheblich. Ihre eigene Spionage in der DDR lieferte bessere Ergebnisse. Unter anderem auch deshalb, weil sie im Gegensatz zum BND nicht nur auf die Zusammenarbeit mit V-Leuten setzten, sondern andere Methoden, beispielsweise der technische Aufklärung, sehr früh eine entscheidende Rolle spielten. Pullach konnte vor diesem Hintergrund allenfalls Bestätigendes liefern. Außerdem und das scheint mir wichtig, bot der Flüchtlingsstrom von Ost nach West in praktisch allen Bereichen ein nahezu unerschöpfliches Wissensreservoir, das kleinteilige Operation im Feindesgebiet letztlich auch ersetzbar machte. Das der frühe BND davon aber auch nur am Rande profitieren konnte, war einerseits den Vorrechten der westlichen Schutzmächte auf dem Territorium der Bundesrepublik und hier in Berlin ebenso geschuldet, wie dem Unvermögen Pullachs funktionale Kooperationsbeziehungen aufzubauen. Letztlich entscheidend aber war, aus amerikanischer Sicht, dass die DDR an sich nicht wirklich interessierte. Das amerikanische Interesse richtete sich stets auf die Sowjetunion. Das Unvermögen des frühen Bundesnachrichtendienstes diese Erwartungshaltung zu erfüllen, führte unter anderem dazu, dass sich die US-Militärgeheimdienste ausgerechnet auf dem Höhepunkt der ersten Berlin-Krise 1948 dazu entschlossen, sich von der Organisation Gehlen zu trennen. Der neue Hausherr CIA interessierte sich für die DDR-Spionage zunächst kaum und verfügte sogar ihren Rückbau. Erst die veränderte amerikanische Bedrohungswahrnehmung nach Ausbruch des Korea-Krieges 1950, veranlasste die CIA, den BND-Vorläufer zu besseren Leistungen auf diesem Gebiet anzuspornen und legte erstmals in der Geschichte die DDR wirklich als Hauptbetätigungsfeld des Dienstes fest. Das wiederum erwies sich nur als bedingt erfolgreich, wie der Volksaufstand am 17. Juni 1953 zeigt. Weder wurden die Anzeichen für die sich zuspitzende innere Krise und der Unmut in der Bevölkerung hinreichend erfasst, noch der Aufstand in seinen Ursachen zutreffend eingeordnet. Schlimmer aber noch war Pullach nicht einmal in der Lage die militärischen Vorgänge während der Aufstandstage aus eigenen Kräften zu beobachten, denn mit Verhängung des Ausnahmezustandes ist der Kontakt selbst zu sämtlichen V-Leuten in der DDR abgebrochen.
Neben ineffizienter Nachrichtenbeschaffung trat für die Amerikaner frühzeitig ein zweites und und vielleicht sogar nach gravierenderes Problem hinzu: Bereits in den 1940er Jahren galt die Organisation mit ihrem improvisierten und mitunter dilettantisch anmutenden Arbeitsmethoden als ein großes Sicherheitsproblem. Nicht nur die Netze der Organisation im Osten, auch der westliche Führungsapparat galten in amerikanischer Wahrnehmung sehr früh im unbekannten Ausmaß als unterwandert. Hinzu kam - und auch das ist wichtig - dass die Organisation erst spät und auf massiven Druck der CIA hin, Standards für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit ihrer Quellen und Informationen entwickelte, die nach Gründung des Bundesnachrichtendienstes 1956 in Teilen sogar wieder zurückgenommen wurden. In Kenntnis dieser Zustände misstrauten die Berichtsempfänger in Washington aber auch anderen aus dem Apparat und seinen Informationen. Da sich der BND - beispielsweise für die Amerikaner immer besonders leicht erkennbar, weil sie über gute gute Innenansichten verfügten - auf die Information offensichtlicher Doppelagenten wie Günter Hofé alias "Lena" oder den weniger bekannten Willi Leisner verließen, untergrub der Bundesnachrichtendienst seine Bedeutung als Nachrichtengeber, auch für seine Partnerdienste. Das die vom sowjetischen KGB über den bereits erwähnten Doppelagenten Willi Leisner nach Pullach lancierte und dort für glaubwürdig befundene Nachricht, die Moskauer Führung habe die SED-Führung in den Tagen vor dem Mauerbau die Grenzschließung verboten, im Westen nicht weiter verfing, so weit wir das bislang sehen können, dürfte nach meiner Einschätzung wenigstens in Teilen auf eben diese Zurückhaltung zurückzuführen sein. Beide Punkte - auch das muss gesagt werden - waren gleichwohl im Kern nicht nur ein Problem des Bundesnachrichtendienstes. Alle westlichen Dienste mussten in einem ständigen Lernprozess ihre Techniken und Methoden anpassen, ihr Geschäft praktisch erlernen. Ähnliches ist im übrigen auch schon unter anderen Vorzeichen über die Stasi gesagt worden. Aber - und das ist wichtig - der frühe Bundesnachrichtendienst verschloss sich von der Leitungsebene ausgehend solchen Lernprozessen. Und dort wo sie zu greifen begann, wurden sie auf Betreiben der Pullacher Führung unter Reinhard Gehlen ausgebremst. Gehlen instrumentalisierte in diesen Auseinandersetzung seinen Nimbus als vermeintlicher Spionageexperte um sich dringend notwendigen Reformen zu verschließen. Die Heranziehung von Angehörigen der militärischen Frontaufklärung, der Abwehr, aber auch des NS-Sicherheitsapparates in Schlüsselstellungen des Dienstes, erwies sich damit letztlich als eine schwere Hypothek. Weder ließen sich die vermeintlichen Vorkenntnisse und Erfahrungen, also die während des Krieges eingeübten Methoden der Nachrichtenbeschaffung, auf die Nachkriegszeit übertragen, noch war dieser exponierte Personenkreis in der Lage und mitunter auch Willens adäquate neue Konzepte zu entwickeln. Im Gegenteil behinderte dieser Personenkreis insbesondere die amerikanischer seits vorangetriebene Professionalisierung nach Kräften. Es waren damit letztlich auch solche Biografien und personellen Kontinuitäten, die wesentlich zur Disfunktionalität der Ost-Aufklärung des frühen Bundesnachrichtendienstes beitrugen.
All diese Entwicklung dürften dazu beigetragen haben, dass sehen wir in den den BND-Akten natürlich nicht abschließend, aber es gibt Hinweise darauf, dass die US-Dienste wiederum ihre eigenen Ressourcen in Ostdeutschland erheblich ausbauten. Dazu gehörten nicht nur die Geheimdienste der Streitkräfte und der CIA, auch die Heranziehung auch die Heranziehung antikommunistischer Gruppen wie der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit, Ostbüros, namentlich das Ostbüro der SPD, für Spionagezwecke waren Teil der westlichen Bemühungen, Informationen aus und über die DDR unabhängig von Pullach zu erhalten. Obwohl der frühe Gehlen-Dienst besonders grell im medialen Rampenlicht stand, zumindest ab 1953, legen die BND-Akten nahe, dass es diese eher in zweiter Reihe agierenden Organisationen, ebenso wie das Bundesamt für Verfassungsschutz oder der heute kaum noch bekannte Friedrich-Wilhelm-Heinz-Dienst, tatsächlich sehr viel erfolgreicher in der DDR operierten und selbst den Partei und Sicherheitsapparat in den Blick nahmen. Das zeigt sich auch daran, dass Pullach mit erheblichem Aufwand sich im Westen bemühte, die Informationen dieser Mitbewerber und Konkurrenten abzuzweigen und als eigene Erkenntnisse in die Berichterstattung einfließen zu lassen. Der BND befands sich also mit seiner DDR-Spionage in einem starken Konkurrenzkampf, den er zu keiner Zeit geheimdienstlich, dafür aber letztlich politisch gewinnen konnte.
Das führt mich zum vierten und letzten Punkt: Wenn der BND also bereits in zeitgenössischer Wahrnehmung ein unzuverlässiger und nur zur Beschaffung von wenig relevanten Informationen fähiger Apparat war, warum wurde er dann westdeutscher Auslandsnachrichtendienst? Erstens scheint es, ging es den Berichtsempfängern vielleicht gar nicht so sehr um valide abgewogene Informationen, die man aus Pullach erwartete, sondern um politisch nützliche Bedrohungsvorstellung, die Pullach tatsächlich produzierte. Obwohl der BND beispielsweise Mitte der 50er Jahre stets die Bedrohung der Bundesrepublik durch die Staatssicherheit betonte und in ihren Ausmaßen, wie wir heute wissen, deutlich überzeichnete, lagen in Pullach darüber zeitgenössisch so gut wie keine belastbaren Informationen vor. Diese zu beschaffen, schien weder möglich noch letztlich notwendig. Die größte und erfolgreichste Unternehmung der Organisation Gehlen bzw. des frühen BND in Richtung MfS, richtete sich zwar unter anderem auch hier gegen hiesige die ehemalige Stasi-Zentrale, was allerdings beschafft werden konnte, waren lediglich Auskünfte von Schornsteinfegern und Taxifahrern, die Mitte der 50er Jahre im Umfeld der Normannenstraße Objekte und Anwohner auskundschaften sollten. Daraus Rückschlüsse auf Ziele und Methoden, oder gar Erfolge der in Bonn und Washington vorgelegten Erkenntnisse über die Westarbeit des MfS zu ziehen, war selbst nach interner Einschätzung schlicht und ergreifend nicht möglich. Nun, in diesem Falle erwies sich die Grundannahme letztlich als zutreffend, wie wir heute wissen, dass MfS intensivierte seine Westarbeit tatsächlich Mitte der 50er Jahre und bedrohte die innere Sicherheit der Bundesrepublik. Entscheidender aber dürfte sein, dass es solch undifferenzierte und faktisch nicht validierte Berichterstattung gewesen war, die Teilung oder Entfremdung der beiden deutschen Staaten, auch vom Westen her, Vorschub leistete. Obwohl, wie gezeigt, die DDR-Spionage extrem disfunktional war, inszenierte Pullach zu diesem Zweck vermeintliche Top-Spione, wie den ehemaligen stellvertretenden DDR Ministerpräsidenten Hermann Kastner oder die bekanntere Grotewohl Sekretärin Elli Barczatis, alias "Gänseblümchen", um den Eindruck zu erwecken, man habe tatsächlich Zugänge bis in die politischen Entscheidungszentren Ostdeutschlands, von denen wir jetzt wissen, dass sie niemals existierten. Aus Sicht der SED waren solche Informationen über aufgedeckte Aktivitäten geeignet um zu bestätigen, dass sie es tatsächlich mit einer Bevölkerung zu tun hatte, die bereit war aktiv mit ihren Feinden zusammenzuarbeiten. In Pullach wurden solche denkbaren Wechselwirkung, über die wir noch viel zu wenig wissen, durchaus thematisiert. Eingehendere Diskussionen um eine Mitverantwortung, sowohl für das individuelle Schicksal der eigenen V-Leute, wie auch für den Ausbau der SED-Diktatur wurden jedoch abgebrochen, weil sie die Kernaufgabe des Dienstes in Frage stellten und damit am Selbstverständnis kratzten. In welchem Maße also die gefühlte Bedrohung der SED und Moskaus durch westliche Geheimdienste ideologisch begründeten Paranoia entsprang, oder tatsächlich existierte und was daraus folgte - ich denke darüber wird angesichts der nunmehr belegbaren Praktiken des Bundesnachrichtendienstes bei unserem Blick auf die frühe DDR und dem Teilungsprozess stärker zu schauen sein. In diesem Sinne bedanke ich mich erstmal für ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die Diskussion.
[Applaus]
Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke: Ich darf Ihnen aber zunächst unser Podium vorstellen. Hier heute Abend neben mir ist Frau Prof. Daniela Münkel...
[über den Ausschnitt gesprochen]
Dagmar Hovestädt: Das war die Keynote von Ronny Heidenreich. Jetzt stellt der Historiker Klaus-Dietmar Henke das Podium vor. Er ist einer von vier Professoren, die dieser unabhängigen Historiker-Kommission beim BND angehören. Mit ihm auf dem Podium sitzen Daniela Münkel, aus unserer Forschungsabteilung, die eine Professur auch an der Universität Hannover inne hat, Jens Gieseke, ehemals auch einen Mitarbeiter der Forschungsabteilung, gehört dazu den Pionieren und ist seit 2008 beim Zentrum für zeithistorische Forschung in Potsdam, sowie Rüdiger Bergien, der bis 2019 bei diesem ZZF in Potsdam war und seither Professor für intelligence History an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung im Bereich Nachrichtendienste ist. Also ein doch sehr hochkompetentes, ich sag mal sportlich könnte man sagen, Podium mit Schwergewichten der Geschichtsforschung zu diesem Bereich und die erste Frage geht von Herrn Henke an Frau Münkel.
[Ausschnitt aus der Veranstaltung]
Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke: Was macht die Stasi eigentlich? Also, die tausend V-Leute, zum Teil mit ihren Familien. Es gibt eine Spionageabwehr und die Frage ist tatsächlich, aus der Perspektive des MfS: Wie wirkt das? Was wissen die? Und was unternehmen sie? Frau Münkel, bitte.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Das ist natürlich eine wichtige Frage und wir müssen dabei anfangen.
Man kann eigentlich von heute sagen, dass Ganze hat der Stasi so ein bisschen in die Hände gespielt sogar, wenn man das von heute betrachtet. Ausgangspunkt ist der 17. Juni, der Volksaufstand. Die Stasi wurde von der SED mitverantwortlich gemacht für das Ausbrechen dieses Aufstandes, nach dem Motto: Ihr hättet das wissen müssen. Ihr wisst überhaupt nicht Bescheid was passiert. Danach gibt es einen Ministerwechsel an der Spitze der Staatssicherheit und es gibt einen Strategiewechsel. Bis dahin hatte man vor allem Informationen gesammelt über Agenten im eigenen Land und jetzt entschied man sich zuzuschlagen und eine offensivere Strategie zu fahren, das war die Strategie der konzentrierten Schläge. Und der Erste dieser großen Schläge ging gegen die Organisation Gehlen. Im Herbst 1953 wurden in einer Nacht und Nebelaktion über 100 von diesen Gehlen-Agenten, die Herr Heidenreich beschrieben hat, festgenommen. Bis Ende des Jahres sind es ein paar Hundert. Das Ganze hatte für die Stasi viele Facetten, die sie nutzen konnte und es waren sowohl nach Innen Wirkungen tendiert, als auch nach Außen. Nach Innen ging es vor allem darum, sich zu rehabilitieren, von dieser vermeintlichen Schande des 17. Juni. Es ging aber auch darum sich zu profilieren, indem man zeigte, dass man eben doch Bescheid wusste und zuschlagen konnte. Und es ging natürlich auch darum, sich als Schild und Schwert der Partei weiter zu profilieren. Und auch als Schutzmacht für die Bevölkerung, denn hier schien sich zu bewahrheiten, was die Propaganda der SED die ganze Zeit behauptete, nämlich die Bedrohung aus dem Westen. Das manifestierte sich dann eben an diesen massenhaften Agenten. Zu der neuen Strategie gehörte auch, das Ganze propagandistisch auszuschlachten. Das heißt es wurde eine riesige Medienkampagne nach den Festnahmen gestartet. Und das hatte dann wieder nach die Wirkung, dass es einerseits abschreckend wirkte auf die Bevölkerung, sich zu engagieren. Das hatte dann ja auch die Folgen, die Herr Heidenreich beschrieben hatte, nämlich dass sich kaum noch jemand für die BND-Spionage gewinnen ließ und es schüchterte die Leute natürlich ein. Das waren die Wirkungen nach Innen, die intendiert waren und die auch relativ erfolgreich waren. Nach außen ging es darum, erstmal die eigene Überlegenheit gegenüber dieses Nachrichtendienstes, der ja damals noch nicht zur Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik gehörte, zu zeigen. Es ging darum, die Organisation Gehlen zu diskreditieren, als von Nazis durchsetzter und von den Amerikanern gelenkter Nachrichtendienst. Was er ja auch war. Und es ging darum, die Institutionalisierung der Organisation Gehlen als Bundesnachrichtendienst und damit in die Eingliederung in die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik zu verhindern. Das gelang nicht sofort, sondern es verzögerte sich und es war natürlich nicht nur das MfS, was daran Anteil hatte, sondern es spielten viele andere Dinge eine Rolle. Und als letzten Punkt ging es darum, die weitere Westintegration der Bundesrepublik möglichst zu behindern. Hier war man nicht besonders erfolgreich. Im Großen und Ganzen war diese DDR-Spionage und deren Bekämpfung für das MfS ein Erfolg. Und wenn man es dann weiter in den Jahrzehnten sieht, ist auffällig, dass dieses Bedrohungsszenario durch den BND immer wieder aktualisiert wird. Und das geht bis zum Ende der DDR obwohl, wie Herr Heidenreich richtig gesagt hat, dieser real ja gar nicht mehr vorhanden war in dem Ausmaß.
Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke: Todesurteile gab es auch?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ja, es gab auch Todesurteile. Für die Betroffenen war das natürlich ziemlich fürchterlich. Die sind für sehr wenig zu sehr hohen Strafen verurteilt worden. In dieser ersten Phase, in diesem ersten konzentrierten Schlag '53 gab es keine Todesurteile, aber in den folgenden Schlägen '54, '55 gab es mehrere Todesurteile für nichtige Dinge.
Das Bekannteste ist gegen Elli Barczatis und Karl Laurenz, aber auch das waren ja keine Spitzenquellen.
Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke: Auch natürlich verursacht durch diesen maßlosen Dilettantismus der Agentenführung, die dann auch buchstäblich verheizt worden sind. Das kann man hier auch bei Herrn Heidenreich sehr schön sehen. Haben Sie noch was?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ja, also das kann man sagen. Der BND hat sich um diese - das sind ja Wald- und Wiesenagenten, das sind ja keine Top-Leute, die da irgendwelche wichtigen Geheimnisse ausspionieren, sondern das sind junge Leute, junge Männer meistens, die schreiben dann irgendwelche Autonummern von Militärfahrzeugen auf und für so etwas müssen sie dann jahrelang in ein DDR-Zuchthaus.
[mysteriöse Musik]
Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten –
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Heute: eine Podiumsdiskussion vom 11. Februar 2020 zum Thema "Spionage im frühen Kalten Krieg", die wir in der "Stasi-Zentrale. Campus für Demokratie" in Berlin-Lichtenberg veranstaltet haben.
Die nächste Frage geht an Jens Giesicke, einen der fundiertesten Kenner des sogenannten "Apparates", also des Innenlebens des Ministeriums für Staatssicherheit. Er war mit dem Moderator Henke einer der Ersten beim Aufbau unserer Forschungsabteilung hier beim BStU und arbeitet seit 2008 im Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.
[Ausschnitt aus der Veranstaltung]
Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke: Sie forschen ja jetzt sehr viel weiter und breiter. Gibt es denn aus Ihrer Perspektive auch schon Ergebnisse dafür, wie die anderen westlichen Dienste, die ja viel massiver und viel wichtiger waren in der DDR, die CIA. Gibt es denn schon Erkenntnisse, wie die den BND damals beurteilt hat? Das wäre so eine Fußnote. Aber die erste Frage ist natürlich bedeutender.
Dr. Jens Gieseke: Ja, die erste Frage führt natürlich letztendlich zu der Generalfrage: welche Bedeutung hatte dieser Geheimdienstkrieg, den Ronny Heidenreich in Bezug auf die westliche Seite beleuchtet hat. Welchen Stellenwert hat der eigentlich? Ich antworte jetzt mal für die Entwicklung der DDR, das war ja die Frage.
Das wirft natürlich zunächst die Frage auf, ob es realer Agenten bedurfte, um das Feindbild des Stalinismus, der am Anfang 1950 stand als das Ministerium für Staatssicherheit als deutsche Behörde gegründet wurde, ob es derer tatsächlich bedurfte. Und ich glaube, die Antwort lautet nein. Der Stalinismus hat bekanntermaßen schon in den 30er Jahren Wert darauf gelegt, dass auch ein alter kommunistischer Politbüro-Kader wie Nikolai Bucharin in der Haft zugeben musste, unter Schlägen, dass er ein - ich weiß nicht mehr ob trotzkistisch oder faschistisch – aber jedenfalls ein Agent war. Eine völlig an den Haaren herbeigezogene Beschuldigung, die er aber bestätigt hat unter der Folter. Und das ist eher der Mechanismus, der in den frühen 50er und auch in den späten 40er Jahren schon durch die sowjetische Geheimpolizei in der SBZ DDR implementiert wurde.
Und insofern ist die reale Existenz, das Auftreten von Agenten der CIA und anderer Geheimdienste, des Bundesnachrichtendienstes, zunächst mal eine Bestätigung dieser Grundannahme, die einfach mit dem politischen Weltbild kommunistischer Kader zusammenhängt. Aber wenn es sie nicht gegeben hätte, dann – ich hätte beinahe gesagt: dann wären sie auch erfunden worden. Wir kennen natürlich auch sehr viele Fälle von Leuten, die in der frühen DDR verhaftet wurden und die eben auch unter entsprechenden Druck "zugaben", dass sie Agenten waren. Die dann sozusagen tatsächlich als Agenten vorgeführt wurden. Wobei ja auch in dem Falle der Schauprozesse nicht unbedingt immer klar war, welcher westliche Dienst nun eigentlich real dahinter stand, das war ja sozusagen Teil der Inszenierung, da eine Zuordnung vorzunehmen. Die stimmen konnte oder vielleicht auch nicht, das wissen die Kolleginnen und Kollegen glaube ich besser als ich. Also es gibt sozusagen keinen direkten Zusammenhang zwischen der realen und der imaginierten Bedrohung.
Und wenn man das jetzt nicht glaubt für die frühen 50er Jahre, kann man einfach ein paar Jahre weitergehen. Erstens, als in der Entstalinisierung dieses traditionelle Feindbild dann relativiert, nicht abgeschafft, aber relativiert wurde und Erich Mielke die berühmt berüchtigte politisch- ideologische Diversion erfand. Dann brauchte man zwar nicht mehr die echten Geheimagenten, die man finden musste; die die Staatsicherheit, wie Ronny Heidenreich dargestellt hat, zu dem Zeitpunkt tatsächlich schon erheblich ausgetrocknet hatte, diese Szenerie jedenfalls. Sondern es reichte der geistige Einfluss. Der Einfluss der Medien, der Kultur, der Attraktivität des Westens - das war das Konzept von politisch-ideologischer Diversion. So 1957, '58 erfunden und wie wir alle wissen, hat es sich noch ein bisschen gehalten das Konzept. Also bis in die letzten Atemzüge des Dienstes, der hier in diesem Hause tätig war.
Und wer das noch nicht glaubt, kann dann wiederum gucken: 1965, Ronny Heidenreich hatte die Zahlen genannt, die realen Agenten-Zahlen des BND zu diesem Zeitpunkt. Also fast niemand, kurz gesagt. Das war der Startpunkt für die riesige Expansion der Staatssicherheit, die dann erst einsetzte. Bis dahin war die Staatssicherheit noch in Relation zur Bevölkerung ungefähr genauso groß wie alle anderen Ostblock-Geheimdienste. Das hat sie aber nicht davon abgehalten, ab 1965 diese legendäre Expansion zu beginnen. Mit 3 bis 3,5 Tausend zusätzlichen Mitarbeitern pro Jahr und in einer Situation, wo es jedenfalls in Form von Agenten keinerlei Bedrohung mehr durch den Bundesnachrichtendienst gab.
Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke: Jetzt könnte man, wenn man ganz ketzerisch ist und der ein oder andere zieht vielleicht auch Honig aus der Studie von Herrn Heidenreich; könnte man sagen: der antifaschistische Schutzwall hat die Spionage beendet.
Dr. Jens Gieseke: Ich würde es anders formulieren. Die DDR wurde ausgebaut zu einem Spionageabwehr-Staat. Also ein Staat, der in all seinen Facetten, mit all seinen Ämtern darauf ausgerichtet war, reale und imaginierte Spione und Agenten und Feinde zu finden. Das war sozusagen der Erfolg, der Begriff bleibt mir im Halse stecken, wenn ich ihn ausspreche, aber sozusagen dieser totale Misserfolg des BND, der hat viele interne Gründe über die wir bestimmt noch sprechen werden. Für mich wirft er die Frage auf, ob es real überhaupt eine politische Spionage des BND gegen die DDR gegeben hat. Ich würde die Frage wohl eher mit nein beantworten.
Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke: Wenn ich unterbrechen darf, die Inlandsspionage in der Bundesrepublik war viel erfolgreicher als die Spionage gegen die DDR.
Dr. Jens Gieseke: Ja, aber trotzdem würde ich sagen, das ist eben auch ein Ergebnis der Tatsache, dass die DDR als ganzer Staat komplett darauf ausgerichtet war auch noch den letzten Agenten zu finden. Das wäre im Westen überhaupt nicht möglich gewesen, eine solche Ausrichtung sämtlicher staatlichen Aktivitäten auf das Finden von Agenten. Und ich habe eben schon etwas dazu gesagt, wie das Reale und das Imaginierte hier zusammenspielen. Aus meiner Sicht ist es deswegen immer verkürzend, diese Frage zu stellen: Wer war denn nun besser im Kalten Krieg? Wenn man die Frage nur auf Ebene der Geheimdienste stellt, dann können wir sofort wieder auseinander gehen. Das Rennen ist sozusagen klar entschieden. Aber wie Karl Rehbaum, der Führungsoffizier von Rainer Rupp, dem wichtigsten und bedeutendsten Spion überhaupt gesagt hat: Wir haben den Geheimdienst-Krieg gewonnen, aber den Kalten Krieg verloren und dafür gibt es Gründe.
Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke: Und was sagen die westlichen Geheimdienste zum BND? Noch die kleine Fußnote.
Dr. Jens Gieseke: Ja, das ist die Frage, die mich in der Zeit auch beschäftigte. Was mich allerdings noch mehr beschäftigte ist die Frage – und die hat Ronny Heidenreich im Vortrag eben auch nochmal angeschnitten: Wie kann eigentlich eine Bundesregierung und auch die westlichen Partnerdienste damit leben, dass ein Nachrichtendienst wie der Bundesnachrichtendienst mindestens von 1955 bis 1968, Februar 68 um genau zu sein, eigentlich keine nennenswerten, relevanten Informationen, die zur Deutschland- und Außenpolitik beisteuern. Wie konnte dieser Staat damit eigentlich leben? Die gleiche Frage stellt sich auch an die westlichen Dienste. Ich kann sie leider nicht beantworten. Ich finde nur, es ist die entscheidende Frage, will man sich einen Reim darauf machen, was der BND in der von mir skizzierten Phase eigentlich war.
Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke: Vielleicht kann Ronny Heidenreich anschließend auf die Frage antworten. Wir haben ja in den BND-Akten die Verlustlisten westlicher Geheimdienste und des BND. Die DDR ist natürlich durchseucht von Agenten - auch anderer Dienste, das muss man sich immer klar machen! - aber wir gucken hier nur auf den BND.
Herr Bergien, wir hören ja hier immer von imaginierter Bedrohung, realer Bedrohung. Die Frage würde lauten: Was lässt sich denn allgemein über die mentalen Auswirkungen, über die gesellschaftlichen Auswirkungen und auch über die politischen Auswirkungen solcher Geheimdienst-Kriege sagen? Nicht nur in der DDR, sondern generell? Auch durchaus in offenen Systemen. Da wird ja manchmal ein Bild suggeriert von der Tätigkeit von Geheimdiensten, dass wie jedenfalls wir gesehen haben und wie auch die Forschung zur Stasi zeigt, mit der Wirklichkeit zum Teil sehr wenig zu tun hat und von den Realitäten abweicht. Was bedeutet das für Gesellschaften?
Prof. Dr. Rüdiger Bergien: Globale Frage. Es ist natürlich schon so, dass dieses Bild von Agenten, Spionen und Geheimdiensten als Repräsentation für kollektive Ängste eigentlich schon seit dem 19. Jahrhundert besteht. Wir haben in allen Kriegen des 20. Jahrhunderts Spionage- und Unterwanderungspaniken. Und der Kalte Krieg ist insofern ein Sonderfall, dass wir hier keinen bewaffneten Konflikt haben, sondern dass diese Spionagepanik – Staatsparanoia wird auch dazu gesagt – quasi ein Eigenleben entwickelt und das dann auch unabhängig von einer bewaffneten Auseinandersetzung funktionieren kann.
Das ist insbesondere im Blick auf die USA ist dazu auch viel geforscht worden – "McCarthyism". 1953 das Todesurteil gegen das Ehepaar Rosenberg, die Atomspione, die das Manhattan Project an die Sowjetunion verraten haben, angeblich. Und da auch die Frage: In wie weit waren die Todesurteile gerechtfertigt oder eben auch eine Folge dieser Staatsparanoia. Die Folge ist, der Kalte Krieg war ein hochgradig abstrakter Krieg. Er war ein imaginierter Krieg, ein Krieg der Vorstellung. Diese nukleare Wettrüstungskette, der Systemkonflikt, die Ideologie, das war für den Durchschnittsbürger in Ost und West wenig greifbar. Spione waren greifbar. Also der MfS-Überläufer oder der festgenommene Gehlen-Agent, der in einem Schauprozess vorgeführt wurde - da war der Feind sichtbar. Da war er anfassbar. Damit konnte man Ängste mobilisieren und das wurde auch.
Spannend eben an dem Buch von Herrn Heidenreich ist doch eine stärker Parallelität der Methoden. Es gab im Westen keine Schauprozesse, aber das Bestreben PR zu machen mit MfS-Überläufern, mit den Top-Agenten, die man angeblich rüber geholt hat. Das gab es im Gehlen-Dienst auch und es gab auch eine politische Elite, die das Spiel mitspielen wollte. Also sagen wir mal, diese Dauerstellung des Kalten Krieges zu einem mehrere Jahrzehnte dauernden Konflikt ist ein wesentliches Ergebnis dieses Geheimdienst-Krieges. Wobei eben, wie Sie eben auch gesagt haben, natürlich streng zu unterscheiden ist. Einerseits zwischen dem, was haben die Dienste gemacht, was haben sie wirklich bewirkt und was wurde medial daraus transportiert.
Vielleicht noch eine Ost-West-Differenzierung. Im Osten natürlich die Herausbildung der "Counterintelligence states", also der Spionageabwehr-Staaten, immer das Argument, die Gesellschaften abzuschotten. Vielleicht kann man so weit gehen, dass man für den Westen ein etwas positiveres Bild zeichnet. Dahingehend, dass die kritischere Sicht, die wir heute auf Dienste haben, das Bestreben da Transparenz herzustellen, eine Aufsicht, dass sich Parlamente mit solchen Fragen befassen, dass das letztlich auch eine Spätfolge von diesen etwas übertourig laufenden Geheimdienst-Apparaten aus genau dieser Phase ist. Die CIA, die freihändig verdeckte Operationen im Ost-Block und in allen Teilen der Erde durchführte, das fiel ihr zwei Jahrzehnte später auf die Füße. Dann gab es massive Forderungen: Wir müssen diese Dienste einhegen, wir müssen sie überwachen. Im Blick auf die Bundesrepublik ist diese Linie nicht ganz so eindeutig, aber ich denke, dass das zum Entstehen einer kritischen Öffentlichkeit auch beigetragen hat. Das Scheitern des Dienstes, Felfe, et cetera.
Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke: Vielen Dank. Wobei man sagen muss, dass Geheimdienste oder Nachrichtendienste, kann man ja auch unterscheiden, niemals kontrollierbar sind. Es ist ganz ausgeschlossen, alles zu kontrollieren. Die entscheidende Sicherung bei Geheimdiensten in demokratischen Regimen ist die Ausbildung der Mitarbeiter. Nicht gleich zu Whistle-Blowern, aber die wissen, wenn sie von etwas Mitteilung bekommen oder sie etwas tun müssen, was mit den Werten des Grundgesetzes nichts zu tun hat, dass sie das entweder verweigern oder melden. Das ist die einzige Sicherung, auch nach meiner Erfahrung mit der Stasi und jetzt mit dem BND, die man hier haben kann. Ungeachtet aller dieser neuen, wunderbaren parlamentarischen Gremien, die wir haben. Das ist eine große Errungenschaft! Wie Sie gesagt haben.
Das war eine Runde hier. Herr Heidenreich hat jetzt noch eine Anmerkung.
Dr. Ronny Heidenreich: Eigentlich anderthalb Anmerkungen. Nochmal zu Ihrem Ausgangspunkt zurück. Ich wollte in dem Vortrag und das tue ich ja im Buch auch nicht, den Gegensatz aufmachen: Was war nun Fiktion, was ist Realität? Sondern die Frage danach, was hat das Eine mit dem Anderen zu tun? Was bei den Recherchen auffällig war, war, dass wenn man sich Propaganda-Kampanien anschaut, die sagen wir mit einer Verschärfung der innenpolitischen Repression einhergehen, dann wird allgemein das Reden über Agenten zu einem starken Argument gemacht. Und die konkreten Fallbeispiele, die herangezogen werden, da hat sich in vielen Fällen einfach herausgestellt, dass es im Hintergrund tatsächlich Operationen gab, die man nachweisen kann. Also der BND war irgendwie beteiligt. Was das Eine mit dem Anderen zu tun hat, das war die Frage, die ich stellen wollte. Ich habe nicht gesagt, dass das Eine gegen das Andere auszuspielen ist, sondern dass das ein Punkt wäre, den ich interessant finde.
Zum Zweiten: Die Bedeutung des BND und wieso seine Informationen gar nicht so wichtig waren, wie wir das glauben. Nun ja. Mein Eindruck ist, dass insbesondere mit Blick auf das westliche Bündnis sehr frühzeitig amerikanischer seits, bei den Militärgeheimdiensten früher als bei der CIA, keine Bereitschaft da ist, sich auf die BND-Informationen, die in Ostdeutschland beschafft werden, zu verlassen. Zu erlassen schon gar nicht! Man zieht sie heran. Man nimmt sie gern zur Kenntnis, weil sie bestätigen können oder auch widerlegen und dann fragt man nach: Wo habt ihr die Meldung her? Aber dass sie irgendwie eine strategische Bedeutung gehabt hätten, das ist zu keinem Zeitpunkt für mich ersichtlich gewesen. Und im Gegenteil, wir haben ja 1954 sogar Bestrebungen, die wieder aus den Reihen der amerikanischen Militärgeheimdienste kommen, sogar die Installierung des Bundesnachrichtendienstes so weit zu verhindern, als dass man ihm die Kompetenz für die militärischen Aufklärung entzieht. Also den Kernbereich, den wichtigsten Bereich, den sie zu leisten haben. Das passiert dann nicht, weil Gehlen gut vernetzt ist und auch diese Zuständigkeiten behält. Und letztendlich, das zeigt sich dann vor allem nach Installierung des Bundesnachrichtendienstes, springt die CIA ein.
Die CIA ist der westliche Nachrichtendienst, die Pullach installiert haben und die dann auch auf der operativen Ebene insofern helfen, als dass sie Informationen liefern und zwar bündelweise. Um den BND in die Lage zu versetzen, seine Berichte schreiben zu können und sich dann auch abstimmen. Das sieht im Blick auf die Militärgeheimdienste wieder anders aus. Die bleiben bis Ende der 50er Jahre extrem skeptisch, weil sie nicht darauf vertrauen wollen, dass ihre Berichte in Pullach in sicheren Händen sind. Wie sich das weiterentwickelt vermag ich nicht zu beurteilen, aber es gibt viele gute Gründe am Ende zu sagen, dass die Informationen des BND für das westliche Bündnis einfach keine entscheidende Rolle spielen konnte, weil es Wissen darum gab, dass der BND offensichtlich - sagen wir: unzureichend abgesichert arbeitet.
Dagmar Hovestädt: Das war - zum Ende der Diskussion, so wie wir sie hier im Podcast präsentieren – der Historiker und Experte für den frühen Bundesnachrichtendienst Ronny Heidenreich. Und wie immer am Schluss nun ein kurzer und heftiger Blick in den Audiobereich des Stasi-Unterlagen-Archivs. Mal sehen, was unsere Expertin heute ausgegraben hat.
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach. Ich kümmere mich als Dokumentarin um die Audioüberlieferung des MfS und wir hören heute einen Ausschnitt aus den Protokollmitschnitten der Anrufe vom Dienst des MfS. Das war die Stelle wo man landete, wenn man von außen auch als Privatperson beim MfS vorsprechen wollte.
Das Band läuft vom 5. bis 8. Oktober 1989. Nach dem 7. Oktober, dem 40. Jahrestag der DDR, gab es viele Anrufe von besorgten Eltern, die nachfragen, wo ihre Kinder geblieben sind. Der OvD versucht dann beim Vorgesetzten für eine Standardantwort eine Auskunft zu bekommen, womit er dann solche Nachfragen beantworten kann. Der Ton insgesamt ist 93 Minuten lang.
[[Anruferin:] Ja, ich war in Rummelsburg und da hat man mir jesagt, da is'er nich'. Da ha'm mich so zwei Genossen – einer von der Staatssicherheit-
[OvD:] Mhmh.
[[Anruferin:] …und einer in – oh Gott, ick gloobe grüne Uniform. Oder ob dit Armee war?
[OvD:] Mhmh.
[[Anruferin:] Also, ick weeß dit allet nich mehr, tut mir leid. Also ick bin so durch'n'ander. Ick hab jetz' och schon Beruhigungstabletten gegessen, jede Menge, aber – ick komme nich' zur Ruhe.
Nu wollt ick bei Ihnen fragen, ob er bei Ihnen vielleicht is'!?
[OvD:] Puh! Oh, da bin ich auch erst im ersten Moment erstmal überfragt.
[[Anruferin:] [resignierend] Ick weeß jar nich mehr, wo ick noch anrufen soll. Mein' ABV hab ick schon informiert.
[OvD:] Mhmh. Wat soll-
[[Anruferin:] Der sagt zwar ick soll abwarten und schön ruhig bleiben, aber wer kann denn da ruhig bleiben? Ick weeß do' jar nich': is' er vielleicht no' verletzt worden oder weiß ich was? Ick weiß überhaupt nischt!
[OvD:] Mhmh. Mhmh.
[[Anruferin:] Man hat mich ooch bis jetz' noch nich anjerufen.
[OvD:] Also es is' für mich jetz' ooch schwierig. Im Prinzip könnt ick Ihn'n ooch nischt andres sagen wie ja Ihr ABV Ihn'n da was gesagt hat.
[[Anruferin:] Ja, bloß irgendwo muss er doch stecken, wenn er nich' in Rummelsburg is'! Rummelsburg is' ja nun dit größte von uns. Oder wie gesagt bei Ihnen inne Normannenstraße. Oder Keibelstraße. Also die drei, die sind für mich 'n Begriff.
[OvD:] Mhmh. Mhmh. [seufzt] Was machen wa denn?
[[Anruferin:] So und nu hab ick jedacht, Sie können mir helfen!
[OvD:] Tja! Nun, bleiben S'e mal inne Leitung!
[[Anruferin:] Danke.
[Schnitt]
[Vorgesetzter:] Noch für vobeugend, wenn no' mehr kommt!
[OvD:] Ja.
[Vorgesetzter:] Sollten Ihre Kinder oder – oder Ihr Sohn, Ihre Tochter und so weiter unter den Zugeführten dabei sein –
[OvD:] [wohl mitschreibend] Zugeführten – dabei sein?
[Vorgesetzter:] … wird geprüft,
[OvD:] Wird geprüft.
[Vorgesetzter:] … inwieweit diese strafrechtlich verantwortlich sind.
[OvD:] Inwieweit… diese… strafrechtlich… verantwortlich… sind.
[Vorgesetzter:] In diesem Falle dann erfolgt eine entsprechende Information.
[OvD:] [schweigt länger] Information?
[Vorgesetzter:] Ja, also über, über eingeleitete Maßnahmen. Gegenwärtig können keine weiteren Auskünfte gegeben werden!
[OvD:] [leise] keine… weiteren… Aus- [Tippgeräusche]
[Vorgesetzter:] Und wörtlich hat mein Meester dann noch jesagt: "Ende der Durchsage!"
[OvD:] [schnaubt belustigt] Okay.
[Vorgesetzter:] Weil – weil keiner die Kraft hat, jetzt anfangen zu suchen. Ne? Aber so müssten wa s'e einigermaßen hinkriegen.
[OvD:] Mhmh. Sagst mir nochmal dein'n Namen?
[Vorgesetzter:] Schulze.
[OvD:] Ach, du bist der Jenosse Schulze!
[Vorgesetzter:] Ja.
[OvD:] Klangst so komisch heute.
[Vorgesetzter:] Ja, na wat - ick hab die, die Nase voll langsam hier.
[OvD:] Ja, glaub ick dir!
[Vorgesetzter:] Huh! [schleift die Stimme, lacht]
[OvD:] Is' bei mir ja auch nich' anders.
[Vorgesetzter:] Fürchterlich, he?
[OvD:] Ja.
[Vorgesetzter:] Fürchterlich, he?
[OvD:] Danke dir.
[Vorgesetzter:] Müssten wa klar kommen mit, wa?
[OvD:] Joa. Dit mach ick jetz' generell und bei allen Anrufen [unverständlich]?
[Vorgesetzter:] Jawoll, jawoll!
[OvD:] Ja.
[Vorgesetzter:] Alles abwimmeln! Wir könn'n jetz' hier nischt jebrauchen! Es hat keiner die Kraft, jetzt zu suchen.
[OvD:] Jut, klar.
[Vorgesetzter:] Ne? Alles klar! Tschüss!
[Knacken in der Leitung]
[Anruferin:] Ja?
[OvD:] So, jetz' bin ich 'n bisschen weiter. Wie gesagt: zu Ihrem Sohn kann ich Ihn'n keine Auskunft erteilen. Aber nur so viel: sollte er unter den Zugeführten sich befinden, ja-
[Anruferin:] Mhmh.
[OvD:] … das wird nämlich jetzt zur Zeit alles noch geprüft.
[Anruferin:] Ja.
[OvD:] So. Und dann jeht's ja och darum, ob der da hier strafrechtlich verantwortlich is' und so weiter und sofort. Dann erfolgt aber auf alle Fälle eine Informierung. Durch die entsprechenden Organe.
[Anruferin:] Der kann do' jar nischt jemacht haben!
[OvD:] Der kommt auch wieder nach Hause.
[Anruferin:] Man, mich macht das alles so krank.
[OvD:] Ja das - das glaub ich Ihn'n. Ja.
[Anruferin:] Mensch, also wirklich...
[OvD:] Ich hab mein mögliches versucht. [seufzt]
[Anruferin:] Man.
[OvD:] Ich kann beim besten nichts andres sagen jetz'.
[Anruferin:] Dit kann ni' wahr sein!
[mysteriöse Musik]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111km Akten –
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".