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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ...ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Hallo und Willkommen. Ich bin Dagmar Hovestädt und leite die Abteilung Kommunikation und Wissen des Stasi-Unterlagen-Archivs im Bundesarchiv. Mein Co-Host ist Maximilian Schönherr, Radio-Journalist und intensiver Nutzer von Archiv-Tönen jeder Art, was ihn im Jahr 2007 unter anderem auch zur Gründung des SWR2-Archivradios und wenig später auch ins Stasi-Unterlagen-Archiv geführt hat. Für diese Folge des Podcasts musstest Du ja tatsächlich eine weite Reise unternehmen…
Maximilian Schönherr: Ja, enorm weit, nämlich von Köln, wo ich wohne, in die benachbarte Großstadt Leverkusen, wo Detlev Vreisleben wohnt. Vreisleben mit V übrigens und Detlev auch mit V. 35 Minuten Fahrt. Ich kannte ihn nicht, aber du schon, zumindest per E-Mail?
Dagmar Hovestädt: Genau, ich kenne ihn per E-Mail und vom Namen nach. Es gibt ja nicht so viele Menschen, die sich auf das Thema, das ihn so intensiv beschäftigt, spezialisiert haben und insofern trifft man schnell auf seinen Namen, wenn man Richtung Technik des MfS schaut. Und weil du ihn zu Hause besuchen konntest, nehme ich mal an, hast du auch etwas von der Technik sehen können?
Maximilian Schönherr: Ja, einiges. Detlev Vreisleben ist richtiger Sammler. Er sammelt mit Leidenschaft Geheimdienstobjekte des KGB und der DDR. Spionagekameras, Weitwinkelkameras, Wanzen zum Abhören, millimeterdünne Objektive, die die Stasi durch die Wand von Privatwohnungen steckte und die vorne nicht glänzen durften, denn sonst hätte man sie leicht entdeckt. Diese Objekte, die seine Wohnung sagen wir mal anreichern - er hat auch eine kleine Vitrine mit einer kleinen Kamerasammlung - hat er natürlich nicht aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv. Ich denke mal, im Archiv finden sich solche Geräte natürlich, dürfen aber selbstverständlich das Archiv nicht verlassen, oder?
Dagmar Hovestädt: Tatsächlich befinden sich die Gerätschaften ja nicht so wirklich mehr bei uns. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz gibt uns auf, die Unterlagen und alles, was die Stasi in ihr damaliges Archiv als Teil von Vorgängen gepackt hat, zu verwahren. Aber Mobiliar, Schreibmaschinen und eben auch die eingesetzte Technik … davon haben wir aus den unübersichtlichen Zeiten der Revolution und Vereinigung nicht so viel übernommen. Was aber bis heute noch da ist, an dreidimensionalen Gegenständen, genau, das kann man nicht mitnehmen, wenn man eine Akteneinsicht hier hat.
Maximilian Schönherr: Jedenfalls hat Detlev Vreisleben so einiges über Ebay ersteigert oder durch persönliche Kontakte bekommen. Manches hat er auch schon dem Deutschen Spionagemuseum in Berlin gestiftet. Über diese Kontakte kam er auch an Hardware. Das Stasi-Unterlagen-Archiv nutzte Herr Vreisleben, um Unterlagen zu der Abhörtechnik zu bekommen – und er wurde fündig. Sein Wissen setzt sich aus dieser Akteneinsicht und vielen Bekanntschaften, unter anderem mit ehemaligen Ingenieuren des Ministeriums für Staatssicherheit, zusammen.
Dagmar Hovestädt: Wer sich mit der Technik des MfS beschäftigt, landet bei uns im Archiv im Bestand OTS, Abkürzung für den Operativ-technischen Sektor des Ministeriums. Die Abteilung entstand 1963 aus einer Arbeitsgruppe, sodass unsere Unterlagen dazu bis in das Jahr 1957 reichen. Man kann sich den Job der Abteilung irgendwie so wie dieses Fantasie-Labor bei James Bond vorstellen, bloß dass die Technik eben weitgehend für die Bespitzelung der eigenen Bevölkerung genutzt wurde. Die OTS hatte einen eigenen großen Gebäudekomplex, im Sperrgebiet in Hohenschönhausen in Ost-Berlin, zwei 6 bis 8-geschossige Plattenbauten direkt vor dem Eingang zum zentralen Untersuchungsgefängnis der Stasi in Hohenschönhausen. Die Bauten stehen noch und werden heute von Künstlern und Künstlerinnen genutzt.
Maximilian Schönherr: Herr Vreisleben ist, das habe ich im Gespräch mit ihm deutlich gemerkt, nicht ganz zufrieden mit dem Umfang des Zuganges zu den Unterlagen des OTS.
Dagmar Hovestädt: Ja, da bemüht er sich schon seit längerem, dass wir die Bündel zum OTS weiter erschließen. Bündel, das sind die Unterlagen, die noch in den Schränken und auf den Schreibtischen der aktiven Offiziere lagen, als die friedliche Revolution 1989 kam.
Maximilian Schönherr: Tatsächliche Bündel?
Dagmar Hovestädt: Tatsächliche Bündel bzw. waren das nicht Bündel, die da auf den Schreibtischen lagen, sondern sie wurden von den damaligen Bürgerkomitees zu Bündeln zusammen gepackt und man hat dann vermerkt, wo man die Unterlagen gefunden hat und dann wurden sie ins Archiv gebracht. Und dann haben wir in den letzten 30 Jahren Bündel für Bündel aufgeschlossen und haben angefangen zu beschreiben, zu erschließen und es zugängig zu machen. Und bei der OTS gab es zwei Verzögerungsgründe: Einmal ist der Druck auf die Erschließung dieser Akten nicht so hoch – sie dienen keiner Schicksalsaufklärung und auch für die meisten Forschenden, HistorikerInnen ist der Bestand nicht so attraktiv. Daher hatte deren Erschließung keine so hohe Priorität angesichts der vielen vielen anderen Bündel, die wir zu erschließen hatten. Und zweitens ist bei den Unterlagen eine Kontaminierung festgestellt worden, die für die Archiv-Mitarbeitenden als gesundheitsgefährdend eingestuft wurde. Daher hat der Arbeitsschutz eine Unterbrechung der Arbeit mit den OTS-Bündeln angeordnet. Wir haben das aber vor einer Weile mit dem nun größeren zeitlichen Abstand nochmal getestet. Und ich denke, da kann es dann bald weitergehen, wenn die OTS-Erschließung dann bei den Prioritäten eingeordnet wird.
Maximilian Schönherr: Also ich persönlich, wenn ich das noch sagen kann, habe mich seit meiner Kindheit mit Kameras und Mikrofonen beschäftigt, konnte also mit Detlev Vreisleben auf technischer Ebene diskutieren. Meine Verwandten in der DDR wollten mir immer wieder eine Fotokamera schenken, weil sie wollten mir irgendwas schenken und es konnte ja nicht immer eine Schallplatte sein, aber ich übernahm die Kameras meines Vaters, sodass ich für die DDR-Kameras keinen Bedarf hatte, aber wusste, die Praktica ist eine robuste, gute Spiegelreflexkamera. Ich muss auch sagen, dass mir die Sammelstücke in Leverkusen ziemlich gefielen. Allein die in Original-Umschlägen der Stasi aufbewahrten und sauberst beschrifteten Wanzen. Und Herr Vreisleben kennt dabei jeden Draht, und den Hersteller des millimeterdünnen Mikros sowieso: Sennheiser, also ein Produkt des kapitalistischen Westens.
Dagmar Hovestädt: Ich habe mir noch gedacht, dass wir vielleicht ganz kurz nur erwähnen sollten, wie analoge Fotografie funktioniert, weil es ja keine digitalen Kameras bei der Stasi gab. Und ich denke mal, wir haben ein smartes Publikum, aber Analog-Fotografie ist ja mittlerweile nur noch für wenige Enthusiasten ein Ding – mal abgesehen vom Polaroid-Comeback. Die Stasi musste also weitgehend mit unbelichtetem Film arbeiten, der vor allem mechanisch Frame für Frame von einer Rolle in der Kamera von innen vor das Objektiv geschoben wurde. Den musste man dann, wenn die Rolle voll belichtet war, entwickeln und Abzüge machen. Und dann erwähnt Herr Vreisleben noch diverse Orte. Da wäre einmal Johannisthal, ein Ort, in dem buchstäblich ganz viele Drähte zusammenliefen. Johannisthal ist ein Ortsteil von Ost-Berlin, Köpenick und dort war der Sitz der Abteilung 26, die für das Abhören von Telefonaten zuständig war und zum Beispiel auch über Wanzen mitgehörte Gespräche, die irgendwo in Wohnungen installiert waren, abhörten. Das erklärt er aber sehr gut im Gespräch. Dann erwähnt er kurz Marienborn, das ist die DDR-Seite der Grenzübergangsstelle auf dem Transit von Hannover nach West-Berlin. Auf West-Seite war das Helmstedt. Und dann noch Marienfelde, ein Stadtteil von West-Berlin, in dem das Auffanglager für Übersiedler aus der DDR in den Westen war – heute eine Gedenkstätte. Und damit sollt es dann auch jetzt losgehen. Dein Gesprächspartner stellt sich zunächst selbst vor.
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Detlev Vreisleben: Mein Name ist Detlev Vreisleben, ich bin Diplomingenieur im Ruhestand. Ich habe Nachrichtentechnik studiert in Westberlin erst an der Gauß-Akademie, danach an der TU und interessiere mich sehr für DDR Technik.
Maximilian Schönherr: Warum eigentlich?
Detlev Vreisleben: Ich habe mich von Kindheit an für Funk und Fotografie interessiert. Ich habe im Urlaub ein Ehepaar kennengelernt, zwei Fotografenmeister und der Mann steckte mich mit Kamerasammeln an. Er sammelte Agfa Kameras. Damit hatte ich nichts am Hut.
Maximilian Schönherr: In welchem Jahr sprechen wir gerade?
Detlev Vreisleben: Wir sprechen vom Jahr '82. Im Jahr '82 habe ich angefangen Kameras zu sammeln, Prakticas. Weil die Praktica die erste Spiegelreflexkamera war, die ich mir als Student gekauft hatte und habe dann 1997 eine Fotobörse in Jena besucht und dort eine Praktica erworben, die für das Ministerium für Staatssicherheit modifiziert worden war. Als geräuscharme Spiegelreflexkamera. Man hatte die leise gemacht, indem man einen feststehenden, halb durchlässigen Folienspiegel eingesetzt hatte.
Maximilian Schönherr: Woher haben Sie gewusst, dass das MfS die eingesetzt hat?
Detlev Vreisleben: Ich hatte schon mal vorher irgendwo in Abbildungen diese Kamera gesehen, meine ich. Es hatte mich vorher nicht interessiert, aber als ich das Gehäuse gekauft habe für 200 Mark, ahnte ich nicht die Folgekosten, die auf mich zukommen würden.
Maximilian Schönherr: Können Sie mir die Kamera beschreiben oder in die Hand nehmen, die gerade auf den Tisch legt? Die ist Schwarz, hm?
Detlev Vreisleben: Die ist schwarz. In den 30er Jahren hat die Firma Robot eine Kamera hergestellt mit einem Federmotor oben drauf. Das war damals eine Sensation. Und die Russen: Der KGB hat nach Ende des Zweiten Weltkriegs diese Kamera miniaturisiert.
Maximilian Schönherr: Die hatte vorher normale Größe, denn das, was Sie gerade in ihrer Hand haben, ist kleiner als Ihr Handteller.
Detlev Vreisleben: Die Firma Robot hatte eine große Kamera gebaut und eine normale Kleinbild-Kamera. Diese F21 oder Ajax, wie sie hieß, ist sehr viel kleiner, macht Halbformataufnahmen auf einem speziellen Film, der 21 Millimeter breit ist, hat den Federmotor oben drauf und man kann damit 15 Aufnahmen machen. Jede Kamera, die man zur Observation braucht, muss ein Federmotor oder ein Winder haben, weil man nicht nach jeder Aufnahme in die Tasche greifen kann und den Film weiter transportieren kann.
Maximilian Schönherr: Und was ist das technisch Neue an einem Federaufzug gewesen?
Detlev Vreisleben: Vorher musste man den Film transportieren und den Verschluss spannen. Man musste also zwei Handbewegungen machen, konnte also nicht schnell nacheinander fotografieren und mit dem Federmotor konnte man mehrere Aufnahmen pro Sekunde machen. Das war eine derartige Sensation, dass die Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg solche Kameras eingesetzt hat für Registrieraufnahmen in Flugzeugen.
Maximilian Schönherr: Beschreiben wir die Kamera mal gerade. Also vorne steht eine T 89 001 drauf. Was hat das zu sagen?
Detlev Vreisleben: Diese Seriennummer ist etwas ganz Besonderes. Es ist die erste Kamera, die im Jahr 1989 hergestellt worden ist in Krasnogorsk. Russische Kameras fangen oftmals mit der mit der Jahreszahl an, wo sie hergestellt worden sind.
Maximilian Schönherr: T 89 001.
Detlev Vreisleben: 89 war ja ein bedeutsames Jahr und die erste Kamera, die da hergestellt worden ist, fand ich schon sammelnswert, obwohl ich eigentlich nicht mehr sammle.
Maximilian Schönherr: Kostet?
Detlev Vreisleben: Die hat 150 Euro gekostet.
Maximilian Schönherr: Vor zehn Jahren wäre es billiger gewesen. Heute weiß man, was es wert ist oder?
Detlev Vreisleben: Vor zehn Jahren, ganz am Anfang, nach der Wende, sind diese Kameras für unheimlich hohe Preise verkauft worden, weil keiner wusste, wie viele es gab. Heute hat sich das normalisiert und die Nachfrage ist auch nahezu null.
Maximilian Schönherr: So, da haben wir was für ein Film? Würden Sie den Film noch bekommen, um diese Kamera zu bestücken?
Detlev Vreisleben: Es gibt einen Filmschneidegerät. Hier ist 21 Millimeter breiter Film drin. Der wird aus normalem Kleinbildfilm geschnitten. Es gibt also Filmschneidegeräte, da steckt man einen Kleinbildfilm rein, zieht den durch und bekommt einen 21 Millimeter breiten Film und zwei Reststreifen, Randstreifen, die Abfall sind.
Maximilian Schönherr: Und Sie könnten diesen Film einlegen?
Detlev Vreisleben: Ich könnte diesen Film einlegen, ja.
Maximilian Schönherr: Im Moment ist aber keiner drin, ne?
Detlev Vreisleben: Es ist keiner drin, nein. Es ist eine Kassette drin, die im Tageslicht gewechselt werden kann.
Maximilian Schönherr: Ah, okay, das ist für Spionagearbeiten wichtig natürlich.
Detlev Vreisleben: Das ist eine Kamera für Observation, ja.
Maximilian Schönherr: Jetzt kommen wir mal zu- Moment, die Kamera noch: Die ist aus Metall, ne?
Detlev Vreisleben: Das ist eine Metallkamera. Das ist Messing.
Maximilian Schönherr: Das ist wirklich sehr, sehr hochwertig. Und vorne sind viele Schrauben, da kann man das Ding aufschrauben. Das wirkt ein bisschen hemdsärmelig, wirkt wie eine Kleinserie.
Detlev Vreisleben: Der KGB hat diese Kamera von 1951 bis 1995 herstellen lassen. Sind also viele Tausend hergestellt worden und in den ganzen Ostblock exportiert worden. Das MfS hat diese Kamera benutzt, beim KGB hieß die Kamera Ajax, wobei Ajax aus den Anfangsbuchstaben der Entwickler sein kann. A und Ja. Beim MfS hieß sie auch Ammer.
Maximilian Schönherr: Ammer?
Detlev Vreisleben: Ammer. Derjenige, der die Decknamen vergeben hat, war beim OTS ein Vogelliebhaber. Der hat also Star, Meise und Ammer vergeben. Bei der HV A gab es jemanden, der Sterne mochte. Deshalb hieß die Minox bei der HV A Jupiter. Da gab es also Jupiter, Riegel und Sterne Namen.
Maximilian Schönherr: Haben Sie über diese Kamera im Stasi-Unterlagen-Archiv recherchiert?
Detlev Vreisleben: Ich habe Unterlagen darüber gefunden. Ich habe Bedienungsanleitungen gefunden. Ich habe jede Menge Neuerervorschläge gefunden, wie man diese Kamera getarnt einsetzen kann. Es gab ein Neuerervorschlag mit dem schönen Namen Wiese. Dort hatte ein Neuererkollektiv den Vorschlag gemacht, die Kamera im BH unter einem dünnen Sommerkleid zu tragen, damit man bei Gartenfesten fotografieren konnte.
Maximilian Schönherr: Das wissen Sie über das Archiv?
Detlev Vreisleben: Das weiß ich über das Archiv. Ich bin also auf die Neuerervorschlag gestoßen und da sind auch Fotos drin, wie die Kamera getragen wird.
Maximilian Schönherr: Wie lautete Ihr Rechercheantrag? Also haben Sie nach "Kameras KGB" gesucht?
Detlev Vreisleben: Ich habe allgemein nach Fototechnik gesucht, erstmal nur nach Fototechnik des MfS und später dann erweitern lassen auf Technik des MfS, weil mich als Nachrichtentechnik-Ingenieur die gesamte Technikbandbreite des MfS interessiert.
Maximilian Schönherr: Da gibt es natürlich uferlos viele, stell ich mir vor. Also da finden Sie meterweise Akten.
Detlev Vreisleben: Da gibt es sehr viele Unterlagen. Der Operativ-technische Sektor hat 600 Meter hinterlassen, von denen leider nur 100 Meter bis jetzt erschlossen sind.
Maximilian Schönherr: Woran liegt das?
Detlev Vreisleben: Das liegt daran, dass man glaubt, dass sie kontaminiert sind und die Erschließung hinten angestellt hat. Die Historiker haben auch wenig Interesse an technischen Unterlagen.
Maximilian Schönherr: Kommen wir zurück zu dem, was Sie gefunden haben in dem Archiv. Man hat Ihnen ja Unterlagen gegeben, sind ja nicht alle kontaminiert gewesen. Was haben Sie gelesen, was Ihnen neu war?
Detlev Vreisleben: Ich habe mich mit der Technik beschäftigt, die der Operativ-technische Sektor hergestellt hatte. Der Operativ-technischer Sektor war ein Bereich mit tausend Ingenieuren, Physikern, Chemikern, die die Massentechnik für die operative Arbeit hergestellt haben. Sehr viel später habe ich festgestellt, dass also auch die Hauptabteilung II, die Spionageabwehr, einen Technikbereich hatte, die Technik hergestellt haben, zum Beispiel ein Projekt Atlas. Da konnte man also ein Gerät unter einem Fahrzeug anbringen, um dessen Fahrtroute festzustellen. Heutzutage kein Problem per GPS, aber in der damaligen Zeit war es schon aufwendiger. Es war ein Radargerät, was die Geschwindigkeit gemessen hat - Geschwindigkeit, Zeit - und man hat den Lenkeinschlag aufgenommen und konnte so feststellen, wo ist das Fahrzeug hingefahren. Das fand ich schon überraschend für die 90er Jahre. Und diese Abteilung hat also einen Sender in einen Bierdeckel eingebaut. Das war schon eine echte Meisterleistung. Dann konnte man also jemanden beim Gespräch im Restaurant einen Sender im Bierdeckel hinlegen und die Gespräche übertragen.
Maximilian Schönherr: Das fanden Sie in dem Archiv in Form von Bedienungsanleitungen? Was für Dokumente waren das? Waren es Briefe zwischen der einen Abteilung mit der anderen Abteilung?
Detlev Vreisleben: Ich habe also Fotos gefunden und es war auch ein ausgehöhlter Bierdeckel dabei, leider ohne Sender. Und es war eine Tüte dabei in der Gegenstandsablage, damals der BStU, wo noch die Batterien drin waren, dünne Knopfzellen, die man in Westberlin gekauft hatte.
Maximilian Schönherr: Das heißt, Sie haben tatsächlich im Lesesaal, wo man die Akten liest, ein Bierdeckel gefunden?
Detlev Vreisleben: Genau, der war in den Unterlagen mit drin der Bierdeckel.
Maximilian Schönherr: In der Plastiktüte?
Detlev Vreisleben: In der Plastiktüte, ja.
Maximilian Schönherr: Ungeschwärzt?
Detlev Vreisleben: Ungeschwärzt. [lacht]
Maximilian Schönherr: Gibt es im technischen Bereich viele Schwärzungen? Da muss ich jetzt dazu sagen: die Schwärzungen werden vorgenommen, um Personen zu schützen. Und das ist viel Arbeit bei den Angestellten dieses Archivs, die einfach jede Akte, die rausgeht, an Leute wie Sie und mich, untersuchen müssen auf solche Namen hin. Also gab es in der Technik, schätze ich, ganz wenig Schwärzungen oder?
Detlev Vreisleben: Es gab so gut wie keine Schwärzung. Geschwärzt wurden häufig dann die Deck-Adressen von BND-Agenten.
Maximilian Schönherr: Das bringt uns natürlich direkt zum BND. Spielte der BND bei den Akten, die sie gefunden haben, eine wichtige Rolle?
Detlev Vreisleben: Mich interessierte ja eigentlich nicht nur die Stasi-Technik, sondern auch das, was die westlichen Dienste gemacht haben. Die halten sich natürlich sehr bedeckt und wenn man das wissen will, was sie gemacht haben, findet man das in den Unterlagen der Stasi. Zum Beispiel hat die Hauptverwaltung Aufklärung Mikratkamera verwendet. Da kann man eine DIN-A4-Seiten um den Faktor 150 verkleinern. Und ich habe beim BND damals nachgefragt, ob der BND solche Kameras verwendet hat und bekam die Antwort: So weit sind unsere Unterlagen noch nicht erschlossen. Eine Woche später fand ich dann in den Unterlagen der BStU das Bild einer solchen BND Kamera.
Maximilian Schönherr: Und es stand dabei BND?
Detlev Vreisleben: Ja, das ging aus den Unterlagen hervor, aus der Bedienungsanleitung, dass das eine BND Kamera war.
Maximilian Schönherr: Aus dem Westen nur der BND dort aktiv oder haben Sie auch andere Geheimdienste gefunden?
Detlev Vreisleben: Ich habe natürlich auch die CIA gefunden und militärische Geheimdienste, amerikanische, wobei das MfS häufig bei Technik nicht unterschieden hat oder nicht wusste welcher Geheimdienst das war. Dann stand eben der amerikanische Geheimdienst drauf. Ich habe mich also auch mit Funkgeräten beschäftigt. Es war natürlich interessant und auch die Entschlüsselungsunterlagen des BND gefunden. Wie musste denn ein BND-Agenten in der DDR seine Zahlensendungen entschlüsseln?
Maximilian Schönherr: Wenn Sie das als Ingenieur, der Sie ja sind, mal vergleichen: Wie viel Jahre war die DDR hinterher technisch oder war sie gar nicht hinterher?
Detlev Vreisleben: Ich habe in den Unterlagen eine "Strategie 2000" gefunden, in der der Operativ-technische Sektor beschreibt, wie der technische Stand ist.
Maximilian Schönherr: Von wann ist das?
Detlev Vreisleben: Die "Strategie 2000" ist 1988 entstanden. Da wird über die einzelnen Fachgebiete geschrieben. Was können wir? Was können wir nicht? Was kann der Gegner? Und da steht also klipp und klar bei der Videotechnik drin, dass man einige Jahre dem Weltstandard hinterherhinkt. Aber sonst war die DDR-Technik, glaube ich, vergleichbar mit dem Westen. Wobei der Westen natürlich sich bedeckt hält, was er konnte.
Maximilian Schönherr: Aber zum Beispiel sehe ich in Ihren Unterlagen, Sie halten ja auch Vorträge drüber, die Minox. Die Minox war eine im Westen hergestellte Kamera. Die war aber ganz prominent vertreten bei der Stasi.
Detlev Vreisleben: Sie war ja auch unverdächtig. Wenn man bei einem Agenten eine Minox fand, war das nicht unbedingt ein Beweis, dass er ein Agent war. Wenn man ihm eine spezielle Kamera gegeben hat, zum Beispiel eine Venus Z, die Rainer Rupp verwendet hat, wenn man bei ihm diese Kamera gefunden hätte, wäre das ein Beweis gewesen, dass er DDR-Agent ist.
Maximilian Schönherr: Was war das für eine Kamera?
Detlev Vreisleben: Das war eine Kamera, die etwa so groß ist wie eine Minox, die aber zur Schmalseite raus fotografiert, dass man sie also wie ein Stift in der Hand halten kann. Rainer Rupp hat in einer Registratur unter Aufsicht damit Top Secret Dokumente abfotografiert.
Maximilian Schönherr: Wer ist Herr Rupp?
Detlev Vreisleben: Rainer Rupp ist 'Topas', der Top Agent der Stasi in Brüssel gewesen bei der NATO.
Maximilian Schönherr: Wir haben hier auch einen Stift am Tisch liegen. Können wir den mal beschreiben? Der wirkt ein bisschen kurz wie ein Füllfederhalter, dem man das untere Drittel abgeschnitten hat.
Detlev Vreisleben: Das ist ein Mikrofon der Firma Sennheiser, was man angeblich entwickelt hat, damit Fernsehansager ohne Mikrophon auftreten können. Das ist uralt, das Teil. Das ist bestimmt 70er Jahre. Es ist ein Mikrofon, was wie ein Füllfederhalter im Jackett getragen wird und unbemerkt Aufnahmen oder Übertragungen gestattet. Man kann also einen Sender anschließen oder ein Tonbandgerät.
Maximilian Schönherr: Keine Geheimdienstsache, sondern ganz offiziell drahtloses Fernsehen.
Detlev Vreisleben: Das war im Sennheiser Programm offiziell. Es war nichts geheim, es konnte sich jeder kaufen.
Maximilian Schönherr: Also hat man diesen Füller auch nicht in der Spionage eingesetzt oder vielleicht doch?
Detlev Vreisleben: Doch, es gibt einen Sender, den man sich in die Jackentasche stecken konnte und dann mit diesem Mikrofon das geführte Gespräch übertragen. Ich bin auf eine andere interessante Geschichte gestoßen. Ganz am Anfang hat man einen Infrarotsender entwickelt für gleiche Zwecke das Gespräch zu übertragen und der Infrarotsender war also im Manschettenknopf integriert und übertrug das Gespräch per Infrarot, was man mit jemanden führte.
Maximilian Schönherr: Was wissen wir über die Frequenzen? Also Infrarot klar, aber andere Frequenzen? Und würden die heute noch gehen?
Detlev Vreisleben: Die Wanzen, die man damals zum Schluss der DDR gebaut hat, arbeiteten zwischen 940 und 980 MHz. Dieser Bereich wird heutzutage vom Mobilfunk, vom Handynetz benutzt, so dass man da eigentlich nur noch das Handynetz die Geräusche hören würde, wenn man sie da betreiben wollte.
Maximilian Schönherr: Dieses "Didipdidip"?
Detlev Vreisleben: So ungefähr, genau.
Maximilian Schönherr: Sind es moderne Abhörmikrofone der Stasi, die hier am Tisch liegen?
Detlev Vreisleben: Die Stasi hat viele Sennheiser Mikrofone benutzt und auch ganz kleine Mikrofone der Firma Knowles, einer amerikanischen Firma, die in Hörgeräten eingesetzt worden sind. Da braucht man möglichst kleine Mikrofone. Wie ich später gelernt habe, hat die CIA die Entwicklung dieser kleinen Mikrofone bezuschusst.
Maximilian Schönherr: Können Sie mal so ein Hörgerät/Mikrofon daher fischen? Okay, das hat eine L-Form und das kann ich mir im Ohr ganz gut vorstellen.
Detlev Vreisleben: Eigentlich ist nur das obere das Mikrofon. Hier hat man einen Draht nach unten angebracht. Das ist also ein Kleinstmikrofon. Das ist, weiß ich nicht was, 4x7, 4x8 Millimeter groß und zwei Millimeter dick, mit einem kleinen Röhrchen dran.
Maximilian Schönherr: Das hat ungefähr eine Streichholzdicke.
Detlev Vreisleben: Ja, ja, ja.
Maximilian Schönherr: Und dann gehen Kabel ab. Wie viele Kabel haben wir da? Drei?
Detlev Vreisleben: Das Mikrofon-Kabel geht in die Wanze rein. Man braucht die Stromversorgung, Plus und Minus, und dann ist noch eine Antenne dran. Die Antenne für 940 MHz, die ist so zehn Zentimeter lang.
Maximilian Schönherr: Die eigentliche Wanze ist dieses Kästchen. Das Kästchen hat ungefähr die Größe von einer SD-Karte.
Detlev Vreisleben: Der Standard Abhörangriff in der DDR war von der Nachbarwohnung aus. Man hat am liebsten drahtgebundene Technik eingesetzt, weil jede Funktechnik Störung verursachen kann. Die kann im Fernsehbild zu Streifen führen. Deshalb also von der Nachbarwohnung aus ein Loch durch die Wand gebohrt, das Mikrofon durchgesteckt. In der überwachten Wohnung war nur ein Millimeter Loch in der Tapete drin.
Maximilian Schönherr: Also die Tapete muss man doch durchlöchern?
Detlev Vreisleben: Ein Millimeter Loch muss rein und dann konnte man in der Nachbarwohnung die Wanze einbauen. Eine drahtgebundene Wanze zum Beispiel an die Telefonleitung anschließen.
Maximilian Schönherr: Das würde mit der nicht gehen, weil das drahtlose sind?
Detlev Vreisleben: Das sind drahtlose. Also drahtlose Wanzen hat man nur dann eingesetzt, wenn man keine Drahtverbindung hatte. Und man konnte auch Wanzen zum Beispiel über die Telefonklingel, über die Wohnblock-Klingeltasterleitungen anschließen und dann im Haus übertragen. Und im Haus wurde das dann auf Trägerfrequenz über Telefonleitung zur Zentrale gebracht. Die Aufzeichnungsgeräte für abgehörte Gespräche waren immer in den Bezirksverwaltungen, also im Normalfall in den Bezirksverwaltungen. Da liefen dann die Kassettenrekorder. In Berlin war das in Johannisthal, da gab es die Möglichkeit, 1.100 Telefon- oder Raumkontrollgespräche, wie es hieß, gleichzeitig aufzunehmen. Drahtlose und drahtgebundene und Telefongespräche, also insgesamt 1.100 Abhörmöglichkeiten in Johannisthal.
Maximilian Schönherr: Ich hab ein schönes Bild gesehen in einem Ihrer Dokumente, also quasi ein Mega-Kassettenrekorder, also mit etlichen Kassettenrekordern.
Detlev Vreisleben: Was interessant war, was ich erst später erfahren habe: In Johannisthal gab es noch eine zweite Anlage: CEKO, hießen diese Anlagen, zentrales Kontrollorgan für 20 Teilnehmer. Die war also eine Anlage, die den Leuten nicht bekannt war, mit der man dann die eigenen Mitarbeiter abhören konnte.
Maximilian Schönherr: Wissen Sie alles durch das Archiv oder durch Ebay-Recherchen?
Detlev Vreisleben: Ich weiß vieles durchs Archiv, aber ich habe glücklicherweise auch die Ingenieure des Operativ-technischen Sektors kennengelernt, die mir vieles erklärt haben, so dass ich es als Außenstehender verstehen konnte.
Maximilian Schönherr: Das heißt, da haben Sie öfter mit offenem Mund dagestanden und sich gedacht: "Das hätte ich jetzt nie gedacht".
Detlev Vreisleben: Die Unterlagen enthalten technische Beschreibung, aber die Hintergründe stehen natürlich in diesen Unterlagen nicht drin. Und wenn man die erklärt bekommt, dann ist das Verstehen sehr viel einfacher.
Maximilian Schönherr: Jetzt möchte ich gerne noch wissen, mit den Nachbarwohnung. Also wir gehen jetzt mal von kabelgebundener Abhörtechnik aus. Wir bohren ein Loch durch die Wand, durch die Tapete, und da ist ein Millimeter Loch, wo das Sennheiser-, oder was auch immer, Mikrofon durchguckt. Das ist schwer für Herrn Biermann zu sehen, weil die Tapete bunt ist, wahrscheinlich. Jedenfalls muss man schon genau suchen und ein Metalldetektor hatte er wahrscheinlich nicht. Biermann ist nur als Beispiel. Und auf der anderen Seite braucht man aber dann - War das eine normale Wohnung oder war das eine Wohnung, die die Stasi angemietet hat?
Detlev Vreisleben: Das war eine normale Wohnung. Der Nachbar wusste also auch nicht, dass bei ihm etwas eingebaut wurde. Es gab zum Beispiel die Technik in der Telefonanschlussdose. Man konnte also das Mikrofon, was man durch die Wand gesteckt hatte, zur Telefonanschlussdose führen und von da aus das abgehörte Gespräch, Raumkontrollgespräch aus der Nachbarwohnung übertragen, einige Kilometer weit und dann zur Zentrale bringen und auf Kassette aufzeichnen.
Maximilian Schönherr: Aber viele DDR-Bürger und Bürgerinnen hatten ja gar kein Telefon. Was macht man in dem Fall? Dann muss man es ja lokal speichern.
Detlev Vreisleben: Es gab auch die Möglichkeit, lokal zu speichern, aber man hat versucht, es so weit wie möglich eben zur Zentrale zu übertragen.
Maximilian Schönherr: Sonst hört man ja das Kassettengerät laufen. Also das ging dann mit einer normalen bürgerlichen Wohnung nicht.
Detlev Vreisleben: Nein, aber man hätte zumindest über das Lichtnetz, 220 Volt-Netz, im Haus übertragen können und da irgendwo die Übertragung zur Zentrale realisieren oder wenn es kurzfristig war, dort ein Kassettengerät installieren können, auf dem Dachboden, im Keller.
Maximilian Schönherr: Ist das passiert?
Detlev Vreisleben: Das ist sicher passiert. Ich kenne die Normalfälle, es gibt von jeder Regel die Ausnahme.
Maximilian Schönherr: Also der Normalfall ist quasi: Ich gehe aus der benachbarten Wand in die Nachbarwohnung, dann habe ich meine Wanze da und dann gehe ich über ein Kabel oder eben kabellos in das Telefon rein.
Detlev Vreisleben: Ja.
Maximilian Schönherr: Haben Sie Techniken gefunden, die modern sind, wie Laser zum Beispiel?
Detlev Vreisleben: Man hat sich auch mit Laser-Verfahren beschäftigt. Wobei es Versuche gab- Man hat also Laserempfänger und Lasersender gekauft, britische, die waren ursprünglich mal in der Mauerstraße im IDZ ausgestellt.
Maximilian Schönherr: Was ist das IDZ?
Detlev Vreisleben: Das ist das Informations- und Dokumentationszentrum der Gauck-Behörde, wie sie damals noch hieß. Da waren der Sender oder der Empfänger ausgestellt und die Ingenieure, die da mitgearbeitet haben, haben gesagt, man hat Versuche damit angestellt, aber sie waren damals noch nicht zufriedenstellend.
Maximilian Schönherr: Damals? 1980er-Jahren?
Detlev Vreisleben: Ich glaube, bis zum Ende der DDR hat man solche Techniken noch nicht eingesetzt. Man hat aber eine Wanze konstruiert, eine Glasfaser-Wanze, die so funktioniert, dass ich also zwei Glasfaser in die Wand legen muss, wenn das in der Bauphase gelingt, ist diese Technik, weil sie metallfrei ist, nicht mehr zu orten. Diese Wanzen werden heutzutage hergestellt und man kann sie kaufen. Die DDR war noch nicht so weit. Zeiss Jena hatte ein Muster gebaut oder war noch an der Entwicklung, man war aber noch nicht so weit, das serienreif und einsatzreif zu machen.
Maximilian Schönherr: Also, wir haben jetzt über die Kassettenaufzeichnungen gesprochen. Das muss man sich vorstellen wie einen kleinen Schrank mit vielen Kassetten. Und ich denke mal, dass man mit diesen Riesenmaschinen auch Kassetten überspielen und löschen konnte. Haben Sie in der Recherche was rausgefunden darüber, wann eine Kassette wegen Irrelevanz zum Beispiel gelöscht werden konnte?
Detlev Vreisleben: Die Tonbandaufzeichnungen, die Kassettenaufzeichnung wurden alle nach sechs Wochen gelöscht. Die wurden also verschriftlicht, wenn sie interessant waren. Es musste sich also jemand die Kassette anhören. Wenn es interessant war, hat er sie verschriftlicht und gelöscht und wenn sie nicht interessant war, wurde sie gleich gelöscht. Also, sie sind alle wieder in den Umlauf gekommen, diese Kassetten. Und ich habe von den einzelnen CEKO-Anlagen, zentrales Kontrollorgan, von diesen Anlagen habe ich mir also die Bestandsblätter aus den Bezirksverwaltungen geholt im Archiv. Und da steht genau drin, wie viel Kassetten sie hatten. Das waren teilweise 10.000 Kassetten, die dann eben im Umlauf waren.
Maximilian Schönherr: Gab es da auch Kassetten, die nicht die klassische Kompaktkassette, ursprünglich Patent von Philips, war, sondern Exoten?
Detlev Vreisleben: Diese Kompaktkassetten sind in einem zweiten System eigentlich erst eingesetzt worden. Vorher hatte man tschechische Tonbandgeräte verwendet, spezielle Geräte, die für den Geheimdienst entwickelt worden sind. Und diese Geräte waren wohl so störanfällig, dass man dann auf eigene Technik zurückgegriffen hat. Das heißt, diese Kassettengeräte sind auch speziell für das MfS hergestellt, entwickelt und hergestellt worden.
Maximilian Schönherr: Und da sind die Audio-Kollegen und Kolleginnen im Archiv chronisch damit beschäftigt, die Geräte aufzutreiben und instand zu halten, die dann das abspielen, was noch erhalten ist. Also, ich habe die ganze Ansammlung gesehen. Es ist auch der Draht-, die Drahtaufnahme auf einem Draht, da muss man erst mal ein Abspielgerät finden. Es findet man nämlich hier zum Beispiel im Deutschlandfunk, im Funkhaus, nicht mehr.
Detlev Vreisleben: Das stimmt, aber es gibt Leute beim im Bundesarchiv, die so was können, der Herr Konopatzky zum Beispiel.
Maximilian Schönherr: Wenn wir von der Kassette mal zu den digitalen Aufzeichnungen gehen. Robotron war eine veritable Computer-, also eine IT Firma. Spielte die eine Rolle bei diesem Abhörmaßnahmen?
Detlev Vreisleben: Robotron spielte, meiner Meinung nach, bei diesen Techniken keine Rolle.
Maximilian Schönherr: Aber Digitaltechnik?
Detlev Vreisleben: Es sollte eine digitale Wanze hergestellt werden, aber das war auch erst angedacht. Ich glaube, das ist nicht so weit gekommen. Und es hätte möglicherweise der Operativ-technische Sektor in der Volkswirtschaft machen lassen. Der Operativ-technische Sektor hatte eine Tarnfirma, das war das Institut für technische Untersuchungen, was auch eine Zweigstelle in Beucha hatte, und die haben Funktechnik hergestellt. Und die hätten sicherlich auch diese Digitaltechnik herstellen können.
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Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Maximilian Schönherr: Ich finde es interessant, dass Sie sich nicht nur mit der Technik beschäftigen, sondern es führt immer woanders hin. So wie ich mich tief mit Archiven beschäftige, führts mich von einem Archiv zum nächsten. Dann wieder zurück zum Ersten mit neuen Fragen und so weiter. Ich mache keinem Archiv irgendeinen Vorwurf, dass es mich irgendwie behindert, weil es ist nun mal: Archivarbeit ist immer anstrengend. Aber Sie gehen noch weiter und denken sich, Sie haben sich hier zu viel mit MfS-, Ministerium für Staatssicherheit-Technik beschäftigt, dass Sie mal diese Leute kennenlernen wollen und Sie haben einige kennengelernt. Und erzählen Sie doch mal über den MfS-Mitarbeiter, mit dem Sie jetzt zu tun haben, der was über die Wanzeninstallation Ihnen Neues erzählt hat.
Detlev Vreisleben: Ja, Ich habe also einen Spezialisten.
Maximilian Schönherr: Wie haben Sie den gefunden?
Detlev Vreisleben: Ich habe also die OTS-Ingenieure kennengelernt und da hat sich auch der Kontakt zu einem Spezialisten der Abteilung 26, der Abhörabteilung, ergeben. Und der hat mir zum Verwanzen eins erzählt, was mir so neu war. Das Schwierigste beim Verwanzen ist es, die Stelle zu finden, wo die interessanten Gespräche geführt werden. Denn was hilft mir das, im falschen Raum Wanzen zu setzen oder eine ganze Wohnung zu verwanzen, wenn es nur eine Stelle gibt.
Maximilian Schönherr: Schlafzimmer.
Detlev Vreisleben: Schlafzimmer zum Beispiel. Wenn derjenige im Schlafzimmer die interessanten Gespräche führt, muss man da eben angreifen, im Wohnzimmer da. Und es war eine wichtige Aussage, dass das eben das Schwierigste eigentlich ist, beim Verwanzen festzustellen: Wo muss ich denn die Wanze setzen? Und er sagte mir, er hat nach der Wende Wanzen gesucht und hat das auch gesagt: Er sucht natürlich nur da, wo die interessanten Gespräche geführt werden. Es hat keinen Sinn, wenn die jemand im Wohnzimmer führt, dann im Badezimmer nach Wanzen zu suchen.
Maximilian Schönherr: Bringt mich eigentlich direkt auf die Kameras, über die wir noch nicht so ausführlich geredet haben. Man guckt doch von der gegenüberliegenden Wohnung stasimäßig mal in die zu observierende Wohnung rein. Wo sitzen die Leute eigentlich so meistens am Abend zusammen, wo man dann später eben die Wanze pflanzen könnte? Gab es solche Teleobjektive? Oder ist das ein Klischee?
Detlev Vreisleben: Darüber weiß ich nichts. So was kann man sicherlich mit einem Fernglas gemacht haben, aber wenn man eine Wohnung überwachen wollte optisch, konnte man das auch durch ein Millimeter Loch machen. Es gab also Objektive, die man durch die Wand stecken konnte, Nadelöhrobjektive, die durch ein Millimeter Loch, eine weitwinkelige Überwachung des Nachbarraum es gestatteten. Da gibt es auch entsprechende Filme bei der BStU.
Maximilian Schönherr: Worauf aufgenommen? Nicht Video, sondern es waren dann Einzelaufnahmen und die musste man auslösen, manuell. Das heißt, in der Nachbarwohnung, wo man es durchgesteckt hat, saß jemand und hat den Auslöser gedrückt.
Detlev Vreisleben: Es gab sowohl die Videoüberwachung, aus Ungarn kam eine Restlichtkamera. Man konnte also Videos aufzeichnen. Man konnte Film aufzeichnen, also auf einer Filmkamera. Man konnte fotografieren. In Hotels waren solche Posten besetzt, da hat jemand durchgeguckt. Es gab aber dann später auch die Möglichkeit der Fernsehübertragung. Man konnte also mehrere Kameras in einem Hotel von einer Zentrale aus steuern, überwachen und steuern.
Maximilian Schönherr: Aber wenn wir nochmal bei der Kamera bleiben, die weitwinkelig, sehr dünn durch die Wand guckt. Jetzt sprechen wir von 1980 oder '75. Da hat man dann eine Super 8-Kamera gehabt und die drei Minuten aufnehmen konnte, oder? Oder was ist das typische Aufnahmeverfahren gewesen?
Detlev Vreisleben: Es gab zwei Fotoapparate, die hießen Beobachtungskomplex, die konnten durch solche Löcher fotografieren. Und es gab auch Filmkameras. Man hat dann eine 16 Millimeter-Kamera von Beaulieu verwendet.
Maximilian Schönherr: Laut?
Detlev Vreisleben: Die nur ein Bild pro Sekunde gemacht hat und dann leise war.
Maximilian Schönherr: Dafür musste man natürlich die Nachbarwohnung anmieten, das kann man dem normalen Mieter nicht aufhalsen.
Detlev Vreisleben: Im Hotel gab es entsprechende Räume, wo das eingebaut war. Bei Wohnungen musste man die Nachbarwohnung natürlich anmieten. Man hat teilweise wohl Botschaftspersonal fremder Botschaften so überwacht. Es gibt die Filme bei der BStU oder jetzt Bundesarchiv zu sehen.
Maximilian Schönherr: Und die sind nicht radioaktiv verseucht?
Detlev Vreisleben: Die sind nicht radioaktiv verseucht.
Maximilian Schönherr: Apropos Radioaktivität, spielte die eine Rolle?
Detlev Vreisleben: Radioaktivität wurde genutzt. Es gab einmal radioaktive Markierungsmittel. Man konnte radioaktive Stecknadeln irgendwo an einer Kleidung befestigen, um jemanden zu verfolgen. Man konnte mit einem Luftgewehr radioaktiv präparierte Geschosse auf einen Reifen abschießen, um ein Fahrzeug später zu identifizieren. Und was solche Strahlung betrifft, ist sie an den Transitstrecke verwendet worden, an Grenzübergangsstellen, bei der Ausreise wurden Fahrzeuge mit Gammastrahlen durchstrahlt um festzustellen, ob sich jemand im Kofferraum befindet.
Maximilian Schönherr: Das heißt, man fuhr mit seinem Auto in eine Art Garage und da wurde das bestrahlt, oder wie lief das?
Detlev Vreisleben: Nein, es gab an der Grenze eine Vorkontrolle, bei der musste man bei der Ausreise seine Papiere rausreichen.
Maximilian Schönherr: Ausreise von wo nach wo?
Detlev Vreisleben: Ausreise heißt: Transit durch die DDR. Wenn man nach Berlin fährt zum Beispiel, musste man in Marienborn seine Papiere rausreichen. Und wenn man dann langsam anfuhr, fuhr man unter einem Gammastrahler durch, der in 5 Meter Höhe über der Fahrbahn angebracht war. Und in der Fahrbahnfuge waren 100 Gammastrahlungs-Sensoren drin.
Maximilian Schönherr: Moment, 5 Meter haben Sie gerade gesagt?
Detlev Vreisleben: 5 Meter Höhe.
Maximilian Schönherr: Moment, da fuhr man drüber?
Detlev Vreisleben: Drunter. Also unter einer Brücke war in 5 Metern Höhe ein Gammastrahler angebracht und in der Fahrbahn Fuge darunter waren 100 Sensoren. Wenn man nach der Kontrolle langsam wieder anfuhr, scannte man das Fahrzeug und in einer benachbarten Baracke konnte jemand den Grundriss des Fahrzeugs sehen.
Maximilian Schönherr: Jedes Fahrzeugs?
Detlev Vreisleben: Bei der Ausreise war eine Spur überwacht. Wenn eine zweite Spur aufgemacht wurde wegen großen Andrangs, war die nicht überwacht. Lkw wurden seitlich durchstrahlt. Es gab also die ersten Versuche dieser Technik 1978. Und dort hat man dann in einem Lkw die Kutsche der britischen Königin gesehen, als sie nach Berlin fuhr.
Maximilian Schönherr: Aber in den 1970er Jahren wusste man, wie gefährlich diese Strahlung ist, längst. Da gab es auch nicht mehr die Schuhgeschäft, die mit Röntgenstrahlen die Knochen der Kinder durchleuchteten.
Detlev Vreisleben: Die Strahlung war wohl recht gering. Es durfte ja auch kein Film belichtet werden, der im Fahrzeug lag. Also die Strahlung war gering. Ich habe mit einem Bayer Strahlenschutz-Experten gesprochen, der meinte, das würde der Höhenstrahlung eines Fluges nach New York entsprechen.
Maximilian Schönherr: Also eigentlich schlechte Detektoren?
Detlev Vreisleben: Es war damals Stand der Technik und inwieweit es wirklich schädlich war, kann ich nicht beurteilen.
Maximilian Schönherr: Ich habe mal den Umzug von einem Freund von München nach Berlin mitbetreut. Ich fuhr einen Kleinlaster mit den ganzen Möbeln und er fuhr voraus. Sein Vater hat eine DDR-problematische Beschäftigung gehabt und deswegen hat mein Freund nie den Transit benutzt. In dem Fall musste er aber den Transit benutzen, um seinen VW-Käfer dahin zu bringen. Und der erzählte mir, er wurde - Also ich fuhr lange hinter ihm los und kam lange vor ihm an, weil er seinen Wagen in der Garage fahren musste. Können Sie sich das erklären?
Detlev Vreisleben: Es gibt zwei Möglichkeiten. Man hatte den Verdacht, dass was geschmuggelt wird oder man wollte schikanieren. Was da die Ursache ist, weiß ich nicht. Die Stasi hatte für jedes Fahrzeug, für jeden Fahrzeugtyp ein Handbuch, wo denn Verstecke sein können und konnten das so auseinandernehmen um alles zu finden.
Maximilian Schönherr: Also keine Röntgentechnik?
Detlev Vreisleben: Da war keine Röntgentechnik im Spiel. Also wenn man gemeint hätte, da ist ein Flüchtling drin, wäre er in den 80er Jahren ausgereist, hätte man das dort gesehen. Diese Technik 5, wie sie hieß, hatte eine Schwachstelle, dass nämlich nachts zwischen 3 und 4 der Mann am Monitor eingeschlafen ist und nichts gesehen hat. Wer nach Berlin geflohen ist, meldete sich immer im Notaufnahmelager Marienfelde, gab da seine Geschichte zu Papier, und ein IM meldete das dann zurück, dass dann wieder jemand durch die Technik 5 gerutscht ist. Deshalb hat man versucht, oder angefangen damit, eine Mustererkennung, eine computergestützte Mustererkennung aufzubauen, damit der schlafende Mann am Monitor ersetzt werden kann.
Maximilian Schönherr: Also doch Computer?
Detlev Vreisleben: '88, '89.
Maximilian Schönherr: Wenn Sie Ingenieurswissenschaften studiert haben, dann lesen Sie viel technisches Material. Ist denn das, was wir im zivilen Bereich lesen, so die Bedienungsanleitung für eine Waschmaschine zum Beispiel oder auch für ein Handy oder für eine Kaffeemaschine, liest sich das anders, als was Sie im Stasi-Unterlagen-Archiv gefunden haben?
Detlev Vreisleben: Im Stasi-Unterlagen-Archiv sind ja Entwicklungdokumentationen zu sehen, da sind die Entwicklungsschritte drin. Es gab also in der DDR eine Nomenklatur der Entwicklungsschritte: A bis K. Und dann habe ich jetzt gerade gesehen, K1 war die Erstellung des Pflichtenheftes. Da war genau definiert was wie zu entwickeln ist, in welcher Reihenfolge, zu welchem Termin es fertig sein musste, jeder Entwicklungsschritt musste dann verteidigt werden und akzeptiert werden, bevor man zum nächsten überging. Und solche Entwicklungsschritte findet man natürlich in der normalen Entwicklung nicht, sondern nur jetzt hier in diesem Geheimdienstarchiv.
Maximilian Schönherr: Findet man nicht, weil man sie nicht einsehen darf. Bei Bosch, denke ich mal, die Fahrradmotoren-Entwicklung lief ähnlich ab? Bis zum 5. September hat der zweite Prototyp fertig zu sein.
Detlev Vreisleben: Sicher, bloß das geben die Firmen natürlich nicht raus. Man bekommt hinterher die Bedienungsanleitung und hier im Archiv kann man eben die Entwicklungsschritte nachverfolgen.
Maximilian Schönherr: Haben Sie denn bei den Sachen, die Sie gelesen haben im Archiv oder die Sie gesammelt haben, ein Lieblingsstück?
Detlev Vreisleben: Das ist schwierig, die Technik ist derartig vielfältig.
Maximilian Schönherr: Haben Sie im Keller interessante Dinge?
Detlev Vreisleben: Im Keller habe ich nur noch einen Kurzwellen-Scanner, den jetzt das Spionagemuseum bekommt. Ein Stasi-Kurzwellen-Scanner, ein CB-Funk Scanner. Damit hat die Stasi die Transitstraßen überwacht, die Transitwege, ob dort CB-Funk verwendet wurde, eingesetzt wurde, zum Beispiel um einen Flüchtling abzuholen.
Maximilian Schönherr: CB-Funk ist das, was man hatte, bevor die Handys kamen? Da wo immer bei den LKW-Fahrern vorne steht: "Detlev" oder so?
Detlev Vreisleben: Genau. CB-Funk war das Citizens Band, wo jeder senden konnte und auf den Transitrouten war das Benutzen aller Funkgeräte verboten. Deshalb hat das MfS da eben auch überwacht. Es wurde wohl auch eingesetzt, wenn man einen Flüchtling unterwegs aufnehmen wollte, den zu informieren und deshalb hat man da eben aufgezeichnet.
Maximilian Schönherr: Wie groß ist das Gerät in Ihrem Keller?
Detlev Vreisleben: Es ist sehr groß und wiegt 25 Kilo. Es ist ein 19 Zoll Einschub und wiegt 25 Kilo. Also nicht einfach leicht zu transportieren.
Maximilian Schönherr: Die Abhörmikrofone, die Sie mir gezeigt haben, sind prima dokumentiert. Da liegen immer Zettel dabei und Sie haben die Originalverpackungen auch, in dünner Pappe, Briefumschläge. Hier zum Beispiel steht: "Gerät: 12 17 1" und dann drunter "Geräte-Nr. 77 4 3 3 3, technische Daten bei:" und jetzt kommt die Volt-Zahl, die Milliampere-Zahl, die Megahertz-Zahl und die dB-Zahl. Warum dB?
Detlev Vreisleben: Das ist die Lautstärke. Diese Wanzen waren unterschiedlich empfindlich und man hat bei der Herstellung die Empfindlichkeit gemessen und da mit auf dem Zettel ausgewiesen, damit man beim Einsatz ein mehr oder weniger empfindliches Gerät einsetzen konnte.
Maximilian Schönherr: Also minus 64 dB klingt gut für mich, also ziemlich empfindlich und hier haben wir minus 65. Dürfen wir nicht durcheinanderbringen. Die Originalumschläge, wo lagen die? Sie haben Sie natürlich nicht aus dem Archiv, dürften Sie ja nicht mitnehmen. Aber wo waren die in Leipzig zum Beispiel?
Detlev Vreisleben: Die Abteilung 26, die Abhörabteilung, hatte diese Technik und der entsprechende Mann in Dresden hatte seine Raumkontrollsender in Umschlägen aufbewahrt, mit Nummer, mit Bezeichnungen drauf. Da steht sogar der letzte Auftrag mit drauf, wo sie eingesetzt worden sind. Und nach der Wende hat sowohl das MfS Technik vernichtet, um die Spuren zu vernichten. Die Bürgerrechtler haben die verhasste Technik vernichtet, der Rest ist an die Polizei gegangen, an die Volkspolizei, die damit nichts anzufangen wusste, die sie auch vernichtet haben. Und diese Technik, die ich habe, hat also ein Funkspezialist der Volkspolizei eben doch nicht platt geklopft, sondern mit nach Hause genommen, allem Anschein nach.
Maximilian Schönherr: Wobei man natürlich sagen muss, die Personen auch, vor allem die Frauen, die die Stasi-Zweigstellen besetzt haben gesagt, das sind unsere Akten, die wollen wir natürlich aufheben. Waren die technikfeindlich, dass sie sagten, die Technik können wir trotzdem kaputt machen?
Detlev Vreisleben: Man hat Technik zerstört. Die Besetzer aus Leipzig zum Beispiel haben die Technik, auch die Telefonabhörtechnik, die CEKO-Technik in Berlin, in Hoppegarten, glaube ich, gebracht in den Schredder, weil sie wissen wollten, dass es endgültig vernichtet ist. Und so ist eben nur ganz wenig erhalten geblieben, leider.
Maximilian Schönherr: Das heißt, die Emotion der Zeit haben sich an der Technik festgemacht.
Detlev Vreisleben: Ja gut, man wollte möglicherweise auch verhindern, dass sie weiter eingesetzt wird. Und damals hat niemand daran gedacht, dass eines Tages das musealen Wert haben könnte.
Maximilian Schönherr: Wenn Sie heute eine Wanze installieren müssten, irgendwo, bei Ihrem Nachbarn vielleicht: Wie würden Sie es machen?
Detlev Vreisleben: Ich würde bei meinem Nachbarn keine installieren. Aber als ich im Urlaub war, habe ich gesehen, man kann zum Beispiel Aschenbecher kaufen mit eingebauter GSM-Wanze. Da kommt eine Telefonkarte rein, der Aschenbecher wird auf den Tisch gestellt und die Gespräche werden übertragen. Das so was heutzutage verkauft werden darf, finde ich eigentlich schon traurig.
[Jingle]
Dagmar Hovestädt: Das war der Ingenieur und Nachrichtentechniker Detlev Vreisleben, Kenner und Sammler von Abhörtechnik und Nutzer des Stasi-Unterlagen-Archivs. Einige seiner Objekte sind im Deutschen Spionagemuseum in Berlin zu sehen. Herr Vreisleben ist Co-Autor eines englischsprachigen Bildbands über die Kameras der Stasi: "The Secret History of Stasi Spy Cameras: 1945-1989".
Maximilian Schönherr: Wir entlassen Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, nicht ohne einen O-Ton aus dem Audiobereich des Stasi-Unterlagen-Archivs. Wie immer hat dieser kurze, knackige Take keinen Zusammenhang mit dem heute Besprochenen.
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. In der Audio-Überlieferung finden sich Töne von Erich Mielke in beinahe allen Lebenslagen. Heute werden wir Ohrenzeugen einer Feier nach einer Jagd Ende 1970 in Wolletz. Wolletz am Wolletzsee liegt in der Uckermark. Es war ab 1960 Jagdschloss Mielkes und diente bis 1989 leitenden MfS-Angehörigen zur Erholung. Anlässlich der Auszeichnung des Chefs der 1. Hauptverwaltung des KGB als verdienter Mitarbeiter des MfS, nahmen an der Feier ranghohe MfS- und KGB-Offiziere teil, deshalb ist ein russischer Dolmetscher zu hören. Aber selbst bei ausgelassensten Feiern mit Mielke mussten die Beteiligten immer auf der Hut sein, wenn zum Beispiel, wie hier, Mielke einen Trinkspruch auf ausgerechnet Stalin ausbringt. Von den gut 3 Stunden der Aufzeichnung hören wir 3 Minuten.
[Archivton]
[teilweise Überlagerung der Rede durch simultane Übersetzung russischen Dolmetschers]
[Erich Mielke:] Ich meine, eine Tatsache, die ist für mich als Revolutionär entscheidend. Als die Faschisten und Faschisten schon unmittelbar vor Moskau standen, da hat Stalin erklärt: Moskau wird nicht verlassen. Wir bleiben, ich bleibe in Moskau. [unverständlich] historisch überliefert. Ich glaube, der Rest ist historisch überliefert, [unverständlich] nach den vielen. Wenn Stalin aus Moskau weggegangen wär, ich glaube, dann wäre 'ne Panik angebrochen. Ich glaube, aber es muss nicht sein. Aber man soll nicht unterschätzen, die Persönlichkeit. Das ist genauso überall im Leben. Wenn ich stehe und sage, dann werden die Genossen wissen wonach se sich zu halten haben. Da kann kommen wer will, ob er klug oder sonst wie [unverständlich] erscheint, ich sag, dann richten sich auf an die Größe, an die Größe dieses Menschen. Und das hat er, Stalin- Das war ein echter Ausgangspunkt, nich? Das er als Aufklärer [unverständlich]-
[Lachen im Publikum]
[Erich Mielke:] -das verzeihe ich euch. Trotzdem trinke ich jetzt [unverständlich], jetzt ganz alleine - Ihr braucht diesmal-, ihr habt Angst ihr werdet vielleicht ausgeschlossen aus der Partei - trink ich auf die Helden, ja, die die das Sowjetvolk zu einem so großen Sieg über den Faschismus geführt haben. Auf unseren Genossen Stalin!
[männlicher Sprecher 1:] [unverständlich]. Du hast jesacht du trinkst alleine. [unverständlich].
[Erich Mielke:] Ja, [unverständlich]. Wer will, der [unverständlich].
[männlicher Sprecher 1:] Du hast jesacht du trinkst ganz alleine. [unverständlich].
[Erich Mielke:] [unverständlich], es brauch keener aufstehen.
[männlicher Sprecher 2:] Achso!
[Erich Mielke:] Er soll sich-, er soll-, ick bin ein alter Mann!
[männlicher Sprecher 2:] Ick bin och 60. Also [unverständlich].
[Erich Mielke:] Ick-, mir ist-, also meine Pension ist jes-, also, [unverständlich], meine Pension ist gesichert! [unverständlich]. Und deshalb trinke ich auf Stalin und wer Angst hat um seine Karriere, der soll sitzen bleiben. Wer weiß, [unverständlich]. Und darum trinke ich mit Freude [unverständlich]. Und er wollt auf Stalin mit leeren Tassen trinken, also- [unverständlich].
[unverständliche Ausrufe, Lachen und Anstoßen]
[Erich Mielke:] Also, [unverständlich], jeder trinkt aus. [unverständlich].
[schnelles Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."