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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Maximilian Schönherr: Willkommen zur Folge 36 unseres Podcasts. Ich bin Maximilian Schönherr. Ich habe das Archiv Radio der ARD gegründet, das ist im SWR zu Hause. Mir Corona bedingt zugeschaltet, ist meine Co-Hostin in Dagmar Hovestädt. Wir sind seit über einem Jahr on air. Jetzt im Juni 2021 hat sich für das Archiv etwas geändert. Es gibt nämlich den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, abgekürzt BStU, nicht mehr. Roland Jahn war der letzte und er ging am 17. Juni 2021 in den Ruhestand und du Dagmar warst seit vielen Jahren, ich glaub seit zehn Jahren, seine Pressesprecherin und leitet jetzt die Abteilung für Kommunikation und Wissen im Stasi-Unterlagen-Archiv. Weil wir beide von Beginn an sehr eng für diesen Podcast zusammengearbeitet haben, fiel mir auf wie stark du in den letzten Wochen von anderen Themen eingenommen warst, die vermutlich mit dem Übergang des Archiv in die Verantwortung des Bundesarchivs zusammenhing. Kann man das so sagen? Was war los?
Dagmar Hovestädt: Man kann sagen, dass ein Prozess, der fast schon vor zehn Jahren oder noch früher begonnen hat, also schon noch früher begonnen hat, als ich in dem Archiv überhaupt angefangen haben zu arbeiten, quasi vollzogen wurde und das ist wie so immer im Leben: Man weiß lange Bescheid und wenn es dann plötzlich so weit ist, gibt es tausend Sachen zu tun. Und es fühlt sich trotzdem noch mal ganz anders an und man beschließt so ein bisschen ein Buchkapitel ab und beginnt ein neues und das ist wie immer so eine Mischung aus Vorfreude aber auch ein bisschen Wehmut und Nostalgie. Und die Konstruktion, sage ich jetzt mal, des Bundesbeauftragten ist tatsächlich zu Ende. Man hat das 1990 ja überlegt, wie macht man ein Geheimpolizei Archiv zugänglich und hat dann gedacht indem man da eine herausragende Persönlichkeit drauf setzt, die biografische Erfahrungen mit der DDR hat, die wird vom Bundestag direkt gewählt und ist dann auf Grundlage des Stasi-Unterlagen-Gesetzes frei in der der Einhaltung dieses Gesetzes, also fachaufsichtlich unabhängig, damit, das war am Anfang nicht ganz klar, diese Akten eben nicht politisch benutzt werden, sondern durch eine quasi unabhängige Persönlichkeit vom Bundestag direkt ausgestattet mit diesem Amt nur dem Gesetz verpflichtet dafür sorgt, dass die Auseinandersetzung über diese Akten in der Gesellschaft stattfinden kann und deswegen war der Bundesbeauftragte als Konstruktion gewählt wurden 1990. Das Gesetz trat 1991 Ende des Jahres in Kraft, mit Januar 1992 wurden die ersten Akteneinsichten ermöglicht und von dem Zeitpunkt ausgedacht, hat man immer gedacht: Mensch na ja zehn Jahre, dann haben alle in die Akten geguckt und als das alles nicht mehr so wirklich heiß und wir sind dann schon wieder eine nächsten Phase der Vereinigung und dann kann man das Archiv auch so langsam mal in die gesamtdeutsche Archiv Landschaft einbetten.
Maximilian Schönherr: Das das Stasi-Unterlagen-Archiv jetzt Teil des Bundesarchivs wurde, geht auf einen Bundestagsbeschluss zurück. Es gab aber schon 1990 Diskussionen diesen Prozess rasch zu beginnen. Ich betrachte es von außen also als Mediennutzer des Archivs und denke, dass die Karenzzeit von rund 30 Jahren, die es die Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen gab, wichtig war überhaupt mal ein Gefühl dafür aufzubauen, wie welche Akten wem zur Einsicht präsentiert werden.
Dagmar Hovestädt: Das hast du ziemlich gut beobachtet, weil es gibt dieses Archiv drei Jahrzehnte mit drei Bundesbeauftragten in dieser Konstruktion und man hat das damals genau deswegen nicht dem Bundesarchiv überantwortet, weil das war ja schon immer Archivgut des Bundes, weil man gesagt hat: Mit der geltenden Gesetzgebung müssten die Opfer der Stasi 30 Jahre warten bis sie irgendwie daran kommen. Es wäre hoch aufwendig und es würde diesen Prozess der Aufklärung über das einmischen der Stasi in das Leben von Menschen überhaupt nicht befördern und man hat dann gesagt: Es braucht ein Spezialgesetz, eine Spezialkonstruktion und die hat weit, weit länger auch so funktioniert, weil der Bedarf so groß war, dass man diese Veränderungen tatsächlich erst Ende der Nullerjahre eingeleitet hat und der Bundestagsbeschluss, der erste war 2014 und der Finale 2019 beziehungsweise dann 2020 mit der Gesetzesverabschiedung, aber deswegen mein ich, ne, am 17. Juni wurde der Schalter natürlich umgelegt, aber der Vorlauf die Debatten darüber, der umfasst eigentlich die gesamte Zeit der Existenz und konkreter die letzten fünf bis sechs Jahre und das war einfach ein riesen Wirbel und es ist jetzt quasi über die Bühne gegangen und jetzt sind wir als Stasi-Unterlagen-Archiv Teil des Bundesarchivs und haben trotzdem die Spezialgesetzgebung, das Stasi-Unterlagen-Gesetz, weiter behalten.
Maximilian Schönherr: Anders als die Akten über, sagen wir mal, dem Stammheim Strafprozess im Bundesarchiv in Koblenz, die habe ich dort besucht diese Akten, enthalten die Akten des Stasi-Archivs fast auf jeder Seite brisantes. Es sind die Akten eines perfiden Geheimdienst. Ich würde mir die Finger lecken das Archiv des Bundesnachrichtendienst in Koblenz, also im Bundesarchiv, lesen zu können. Selbstverständlich geht es nicht, denn der BND hütet seine Akten wie seine Augäpfel. Und nur besonders gebrieften Historiker*innen ist ein kleiner Einblick erlaubt oder kann man es nicht so sagen?
Dagmar Hovestädt: Ja, kann man so sagen, aber zwei Dinge haben sich ein Stück weit verändert. Auch der BND bemüht sich darum irgendwo in der Demokratie transparenter, anfassbarer zu sein, hat selber eine unabhängige Historiker-Kommission einberufen 2011, die jetzt bis 1968, diese Organisation Gehlen wie der BND ja früher heißt, untersucht und da seine Archive in dem Sinne aufgemacht. Allerdings da hast du Recht, nur dieser kleinen ausgewählten Schar, so dass das was wichtig ist für wissenschaftliche Betrachtung nämlich die Überprüfbarkeit von Quellen nicht so ganz gegeben ist und zweitens ist das Bundesarchivgesetz, das ja erstmalig 1988 erst eingeführt wurde, 2017 novelliert worden und seitdem hat der BND die Pflicht Dinge anzubieten, wenn sie denn nicht seinen eigenen Geheimhaltung-Bedürfnissen entgegen stehen, so dass man sagen kann, das ist auch noch ein zahnloser Tiger, aber grundsätzlich ist auch in der bundesrepublikanischen Gesetzgebung der BND verpflichtet der nationalen Archiv-Einrichtung Unterlagen anzubieten. Das ist der Mini-Fortschritt. Kann man jetzt fragen: Wie häufig passiert das? Da muss man am Bundesarchiv mal anklopfen und schauen was da so eingegangen ist bislang.
Maximilian Schönherr: Hm, ja, kann ich mal klopfen.
Dagmar Hovestädt: Genau, könntest du klopfen.
Maximilian Schönherr: Da klopfe ich gerne mal bei solchen Dingen an. Die DDR sind ein untergegangener Staat, also sind die Akten des DDR-Inlandsgeheimdienst eben der Stasi historisch und gehören damit ins Bundesarchiv, ist auch völlig logisch für mich, aber der Zugang bleibt nach wie vor nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz geregelt. Wer einen Antrag auf Akteneinsicht beantragt, macht das im Stasi-Unterlagen-Archiv und nicht im Bundesarchiv oder?
Dagmar Hovestädt: Sagen wir mal so: Wir sind ja jetzt Bundesarchiv. Und in dem Sinne macht man das auf jeden Fall im institutionellen Sinne stellt man einen Antrag im Bundesarchiv, aber wir sind als eine besondere Archiv-Einrichtung auch gesetzlich dazu gehalten, den Symbolwert dieses Archiv, die Vermittlung des besonderen Charakters des Archivs durch Bildungs- und Informationsangeboten an historischen Orten sowie Medien und dem Internet zu vermitteln und auch über Strukturmethoden und Wirkungsweise der Stasi zu unterrichten und in dem Sinne sind wir durchaus auch als Archiv eigenständig wahrnehmbar und haben eine Webseite und alle bekannten Kontaktdaten und Ansprechpartner sind nach wie vor gültig und man kann natürlich über die Webseite des Stasi-Unterlagen-Archivs einen Antrag stellen und wird auch sicherlich über die Bundesarchivseite dahin geleitet, wo man Antrag stellen kann. Insofern sollte die Veränderung, die institutionelle Veränderungen, die eine ganz Veränderung langfristige Perspektive und Zukunft absichert, sollte für den Nutzer und die Nutzerin eigentlich gar keinen großen Unterschied machen.
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Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Dagmar Hovestädt: Da muss man vielleicht noch zu sagen, dass die Stasi-Unterlagen und vor allen Dingen deren Öffnung ja wirklich was Besonderes sind. Du hast das eben schon mal angesprochen. Die DDR gibt es nicht mehr, da ist es natürlich einfacher deren Geheimunterlagen zu öffnen, 40 Jahre Dokumentation an der Geheimpolizei der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, das ist natürlich auch ein bisschen etwas subversives gewesen, weil man damit grundsätzlich sagt: Man kann auch Staatsgeheimnisse öffentlich machen. Man kann sie öffentlich verhandeln und diskutieren. Fällt natürlich leichter, wenn der Staat, zudem diese Geheimnisse gehört haben, nicht mehr existiert. Und deswegen ist das so ein bisschen der Vorteil gewesen der Situation damals und deswegen haben andere osteuropäische Staaten wesentlich länger gebraucht ihre Archive von damals aufzumachen. Nicht zuletzt weil deren Geheimdienste ja in den ähnlichen und gleichen Strukturen weiter gearbeitet haben und da wurde deren Stasi-Archiv natürlich tatsächlich in die aktive Arbeit eingebunden, das ist in Deutschland deutlich nicht der Fall gewesen, sondern die Stasi war diskreditiert, die DDR war verschwunden und man hat sie ausschließlich dazu genutzt Aufklärung zu betreiben.
Maximilian Schönherr: Schon einzigartiger Fall also eine so perfide Geheimpolizei und so viele Akten, die übriggeblieben sind. Es wird ja immer wieder in Zeitungsartikeln kritisiert: Ihr habt so viele Schnipsel in irgendwelchen Plastiktüten drin, die noch nicht erschlossen wurden. Das macht eine Heidenarbeit.
Dagmar Hovestädt: In Papiersäcken. Die sind nicht mehr in Plastiktüten, das würde dem Papier noch weniger gut tun.
Maximilian Schönherr: Allein es sind ja inzwischen mehr als 111 Kilometer Akten, obwohl das Archiv nicht mehr wächst, aber im Prinzip stimmt diese Zahl, das ist ein sehr großer Bestand dieses Geheimdienst.
Dagmar Hovestädt: Ja, wollte ich gerade sagen, weil für ein einziges Ministerium 40 Jahre Arbeit ist das schon eine ziemliche Menge an Dokumenten und da sind wir auch anders als viele Bereiche auch das Bundesarchiv oder andere Archive, denn wir haben das ja nicht reduziert, auf das was wesentlich typisch repräsentativ ist, sondern wir haben erstmal alles behalten und in dem Sinne ist es fast mehr noch eine Registratur als ein klassisches Archiv, das eigentlich den Zustand von 1989 abbildet von einer ständig sich überarbeitenden und neu wieder verknüpften Informationssammlung einer aktiven Geheimpolizei und da ist nie ein Archivar gekommen und hat gesagt: So wir sortieren jetzt mal durch und reduzieren das auf die zehn Prozent wichtigste, zentralste, bewahrenswertesten Unterlagen, sondern das ist es alles. Und das macht auch faszinierend, weil man eben hier die Arbeitsweise dieser Bürokratie von innen heraus erkennen und beschreiben und verstehen lernen kann, das ist schon ein ganzes komplexer und interessanter Gegenstand.
Maximilian Schönherr: Ich bin ja seit langem Wikipedia-Autor und im Wikipedia Artikel über den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen ist in den letzten Wochen, ich würde sagen, die Hölle los gewesen. Zunächst mal ganz formal: Man musste das Ding ins Imperfekt umsetzen. Es ist nicht eine Institution, sondern es war eine Institution und das geschah, das ist typisch für die Wikipedia, in x kleinen Schritten am 17. Juni innerhalb weniger Stunden und auch vorhin, als ich noch mal nachgeguckt habe, passieren immer noch Umsetzungen in die Vergangenheit. Erstaunlich bei einem solchen umfangreichen Artikel. Ich hatte dort schon vor Monaten einen eigenen Abschnitt über unserem Podcast eingeführt, der jetzt ausgelagert wurde in einen eigenen Artikel. Also es gibt einen Artikel über 111 Kilometer Akten. Und es gibt auch einen langen, anfangs übrigens sehr umstrittenen, über Jahre wenig geänderten unauffälligen Artikel über die Stasi-Unterlagen. Der Artikel heißt Stasi-Unterlagen, da habe ich jetzt eine ganze Reihe von Panoramen, die ich bei euch im Archiv aufgenommen hab 360° reingebaut, mal gucken ob sie bleiben, Wikipedia ist ein dynamisches System. Ich will noch mal ganz konkret sagen, das ist wirklich wichtig, dass man zur Akteneinsicht tatsächlich nach wie vor Anträge stellen kann, das ist genauso möglich, jetzt wo das Archiv Teil des Bundesarchivs geworden ist, das ist wirklich wichtig, egal über welches Portal es jetzt geht.
Dagmar Hovestädt: Also das Portal heißt oder ist eigentlich das identische wie vorher, heißt nur jetzt "stasi-unterlagen-archiv.de" und da ist alles dann auch so wie unser Podcast mit dem Slash immer noch Podcast. Also "www.stasi-unterlagen-archiv.de/podcast" findest du die ganzen Folgen unseres Podcasts, aber auch Antragsstellung und Informationen rund um die Institution und immer auch die Querverweise dann aufs Bundesarchiv, das auf seiner eigenen Seite die Institutionskommunikation zum Bundesarchiv insgesamt macht.
Maximilian Schönherr: Das heißt nicht mehr bstu.de/podcast sondern?
Dagmar Hovestädt: "stasi-unterlagen-archiv.de/podcast".
Maximilian Schönherr: Willst du noch was wichtiges sagen, bevor wir dann zu unserem spannenden Ende kommen?
Dagmar Hovestädt: Ja, ich glaube, wir sollten auf jeden Fall erwähnen, dass die Aufgabe des Bundesbeauftragten, obwohl er für die Stasi-Unterlagen zuständig war, auch ein großer Ansprechpartner war für viele Menschen, die in der SED-Diktatur gelitten hatten, die Opfer der SED-Diktatur waren, dass diese Funktion in ein ganz neues Amt gekleidet wurde, nämlich die Opferbeauftragte beim deutschen Bundestag, das ist Evelyn Zupke, die ist gerade gewählt und auch mit dem 17. Juni ins Amt gekommen, die wir mit einem kleinen Stab genau das tun, was die Opfer der SED-Diktatur brauchen, nämlich eine Stimme zu sein für die auf bundesweiter Ebene und ihre Anliegen in die Diskurse mit einbringen. Wir werden gern mit ihr gut zusammenarbeiten, aber diese Funktion des Bundesbeauftragten geht in dem Sinne dann auch weiter durch diese neue Position einer Ansprechpartnerin einer Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur. Und was auch wichtig ist, das für die vor relativ vorhersehbare Zeit unsere zwölf Außenstellen intakt bleiben, dass man dort nach wie vor seine Akten einsehen kann, sich beraten lassen kann, informieren kann und dass sie auf längere Sicht in den östlichen Bundesländern wir insgesamt mit Berlin sechs Archiv-Standorte haben werden und sechs so genannte Auskunfts-, Beratung-, und Informationsstandorte, das heißt, die Akten werden schon zusammengezogen für archivgerechte Lagerung an jeweils einem Standort pro Bundesland und die anderen Außenstellen werden eben Beratung und Akteneinsicht und Informationen ermöglichen, das ist aber ein längerer Prozess und bis sich der bemerkbar macht, wird es auch noch viele Gespräche geben, viele Austausche auch mit Gedenkstätten und anderen historischen Orten, denn die Akten sind bis zum gewissen Grade immer auch ein Stückchen mehr als einfach nur ein Archiv. Sie sind ja auch eine Art Trophäe der friedlichen Revolution und die Länder, die Bundesländer im Osten, haben sie sich besonders dafür eingesetzt, dass die Akten in ihren Regionen auch bleiben, damit man sie auch physisch als die Eroberung in der friedlichen Revolution wahrnehmen kann und das Ende der Stasi und das Ende der SED-Diktatur in der Kontrolle über diese Akten durch die Bürger und Bürgerinnen quasi sich manifestiert.
Maximilian Schönherr: Also unser Podcast 111 Kilometer Akten läuft weiter. Wir sprechen weiterhin mit Mitarbeiter und Nutzer*innen des Archivs und wir beschließen die Folge 36, die sie jetzt gerade hören, wie gewohnt mit einem Fundstück aus dem Stasi-Ton-Archiv
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audio Überlieferung des MfS.Mängel im Handel und bei der Versorgung waren DDR-Alltag. Manche Versorgungslücken und deren Rechtfertigung vom richtigen Klassenstandpunkt aus waren selbst nach jahrelanger ideologischer Schulung eine Herausforderung und sorgten in Veranstaltungen der Zentralen Parteileitung, hier in einer der BV Cottbus, zu heftigen Diskussionen. Entzündet hatte sich diese wegen nicht gelieferter Autos der Marke Lada aus der Sowjetunion 1981, am Vorabend des X. Parteitages der SED.Der Sekretär für Propaganda bei der zentralen Parteileitung der Bezirksverwaltung Cottbus, Werner Thomala, hatte aber glücklicherweise einen sehr gefestigten Standpunkt und gehörte bis zum Ende des MfS zu den Hardlinern und Unbelehrbaren.
[Werner Thomala:] Hör mal zu, hör mal zu. Wenn ich heutzutage höre, ihr stellt euch ja wirklich an wie Analphabeten politische. Wenn ich heute höre, die Sowjetunion liefert uns zurzeit keine Ladas. Da gehe ich erstmal davon aus, dass wir mit der Sowjetunion freundschaftlich verbunden sind, dass die Sowjetunion uns gegenüber große Opfer - äh - ge- gebracht hat bereits, [Zwischenruf eines MfS Mitarbeiters:[unverständlich]] dass uns, dass uns die Sowjetunion und nicht in den Sack haut, in keiner Beziehung, dass ist erstmal meine Grundposition als Genosse. Die Sowjetunion haut uns niemals in Sack und wenn die Sowjetunion zu bestimmten Dingen sich entschließen muss, dann wird sie das mit uns absprechen und dann ist das notwendig und das ist meine Position als Genosse und von der weiche ich nicht zurück und wenn draußen gelacht wird und wenn draußen - äh - abgewunken wird und sonst was, dann bleib ich fest und diskutiere und verteidige die Sowjetunion und unsere Politik. Was ist das denn für Kapitulantentum hier? Man sagt: Um Gottes Willen und das kaufen sie uns nicht ab. Jawohl. Das ist Kapitulantentum!
[MfS Mitarbeiter, ruft dazwischen:] [unverständlich], das brauchen hier nicht zu diskutieren! [unverständlich]
[Werner Thomala:] Das ist Kapitulantentum, wenn ich mich zurückdrängen lasse draußen und sage: Na das weiß ich och nicht und die Sowjetunion liefert uns nicht. Ich muss doch 'ne Haltung platzieren.
[MfS Mitarbeiter:] [unverständlich]
[Werner Thomala:] Wie willst du denn sonst anders diskutieren? Willst du zurückweichen? Willst du sagen, das ist 'ne Schweinerei, dass uns die Sowjetunion keine Ladas liefert? Willst du das vielleicht sagen? Dann biete du doch was an!
[MfS Mitarbeiter:] Ich geh gleich noch weiter!
[Werner Thomala:] Dann biete doch was an an, an Argumentation, wenn dir meine Argumentation nicht gefällt!
[MfS Mitarbeiter:] Ich kann dagegen nichts anbieten, weil ich nicht weiß, warum die uns gekündigt haben in der Richtung und wieso sie nücht liefern. So das ist die andere Frage, aber wir hauen uns doch selber in Sack mit allen Fragen. Ich les doch jeden Tag [unverständlich]. Ich lese sie nicht so gut wie du, aber bestimmte Passagen und wenn ich sehe, wie wir uns jeden Tag da drin bescheißen in der Parteitagsinitiative, Werner, da geht doch der Hut hoch. Die Bevölkerung glaubt es. [unverständlich]
[Werner Thomala:] Also du wirst jetzt langsam kriminell, ja. Jetzt wird es langsam kriminell, das lasse ich hier nicht zu eine solche Diskussion! Lasse ich nicht zu! Von wegen wir bescheißen uns. Du bist wohl wahnsinnig geworden! In Vorbereitung des, des X. Parteitages so ein Mist zu erzählen, das unsere sozialistische Presse die Leute bescheißt!
[MfS Mitarbeiter:] Nein!
[Werner Thomala:] Das lasse ich hier nicht zu! Das kannste woanders anbringen, bei mir nicht!
[MfS Mitarbeiter:] Wir erzählen - äh - den Presseleuten etwas was immer falsch in der Presse abgedruckt wird. In dem Fall [unverständlich]
[Werner Thomala:] Erzähl nicht so ein Quatsch!
[MfS Mitarbeiter:] Probleme [unverständlich]
[Werner Thomala:] Erzähl nicht so ein Quatsch!
[MfS Mitarbeiter:] Glaub mir das!
[Werner Thomala:] Auf so was lassen wir uns doch gar nicht ein!
[MfS Mitarbeiter:] Blos ich komm [unverständlich]
[Werner Thomala:] Das natürlich, das es natürlich Probleme gibt, das es bestimmte Probleme gibt, die - äh - hinsichtlich der Rea- Realität in der Darstellung bestimmter Sachen ist doch klar.
[MfS Mitarbeiter:] [unverständlich]
[Werner Thomala:] Aber du kannst doch nicht sagen, wir tun uns tagtäglich bescheißen in der Presse, das lasse ich hier nicht zu! Wenn es solche Dinge gibt, dann geht operativ dagegen vor [Zwischenruf eines MfS Mitarbeiters:[unverständlich]] durch Presseinformation, aber trag hier nich so ein Mist rein. So eine generelle Behauptung, dass wir uns täg- tagtäglich in der Presse bescheißen, sowas dulde ich nicht.
[MfS Mitarbeiter:] Ja, so [unverständlich] sollte es nicht kommen.
[Werner Thomala:] Na also! Dann überlege dir bitte genau, was du sagst! Sonst kann es passieren, es sind auch junge Genossen da, die nehmen so einen Käse dann mit und verbreiten das draußen. Überlege dir gefälligst genau, was du sagst. Gerade in solcher zugespitzter politischer Situation, ist das so sehr-
[MfS Mitarbeiter:] Ich hab so reagiert, weil mir das mit der, mit der Geschichte nicht ganz gefiel.
[Werner Thomala:] Was heißt, ob es dir gefällt oder nicht. Du musst den Klassenstandpunkt vertreten und wenn du mit meiner Meinung nicht einverstanden bist, dann bringe ein anderes Argument!
[schnelles Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."