[Jingle] Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Hallo und willkommen zu einer neuen Folge vom Podcast "111 Kilometer Akten – der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archiv". Ich bin Dagmar Hovestädt, die Sprecherin des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen.
Maximilian Schönherr: Und ich bin verantwortlich für die heutige Folge. Bin Maximilian Schönherr und das ist eine Folge – wir unterhalten uns ja immer über die Themen, Dagmar und ich, die wir als nächstes im Podcast präsentieren. Aber in diesem Fall ist es reine Eigensucht von mir gewesen. [beide lachen]Ich habe nämlich ein ein Jahr lang schwelendes Projekt abgeschlossen im Archivradio - Archivradio ist ein Projekt der ARD, sitzt am Server vom Südwestrundfunk – und da geht es um die "operative Psychologie" seit Juni 2020. Und ich habe gerade alle O-Töne daraus noch gut im Ohr und deswegen kommt der Podcast heute über dieses Thema.Und da habe ich natürlich bei euch jemanden gefunden, die sehr gut über die "operative Psychologie" – was auch immer das ist – Bescheid weiß.
Dagmar Hovestädt: Du hast dein Kurzzeitgedächtnis mit der "operativen Psychologie" gefüllt. Meine Kollegin, Professor Doktor Daniela Münkel, die bei uns in der Forschungsabteilung arbeitet, hat sich tatsächlich - schon sehr lange natürlich, wie jeder meiner Kollegen in der Forschungsabteilung – mit dem MfS beschäftigt, auch mit den Hauptamtlichen, auch mit dem was sozusagen in deren Denken und im Hirn eigentlich steckt um ihre Arbeit tun zu können.Und du hattest ihr ein paar Auszüge übermittelt, weil ihr das auch wichtig war, sich nochmal ein bisschen inhaltlich darauf vorzubereiten, ne.
Maximilian Schönherr: Audioauszüge diesmal. Normalerweise lesen wir, heute hören wir wieder.
Dagmar Hovestädt: Heute hören wir tatsächlich die ganze Zeit Stasi-Töne aus dem Archiv. Sie hat sich da ein bisschen reingehört und für sie war das, glaube ich, auch eine ganz neue Erfahrung. Das hast du übrigens bei dem Archivradio auch gesagt: dass die Historiker in der Regel sehr stark Dokumenten orientiert sind und diese anderen Unterlagen, die wir ja auch haben: Audio, Video, Foto; gar nicht so sehr mit einbeziehen, ne.
Maximilian Schönherr: Genau. Und ich interessiere mich zum Beispiel überhaupt nicht für die Videos, die ihr habt. Also ich hab mich da nie drum gekümmert. Und ich bin wirklich so ein Radiomensch und ich lese natürlich auch gerne dann begleitend dazu die Dokumente. Ich habe auch zur "operativen Psychologie" viel gelesen.Kann ich dir mal eine Frage stellen? So eine Expertenfrage? [Dagmar Hovestädt lacht] Warum eigentlich "operativ"? ich bin mir nicht so ganz klar. Machen das alle Geheimdienste? Immer alles, was der BND macht zum Beispiel oder CIA – ist das immer [Englisch: "operative"]?
Dagmar Hovestädt: Wir übersetzen das tatsächlich im Englischen auch. Die Stasi macht ja "operative Personenkontrollen", "operative Vorgänge" – man kennt das, glaube ich, langläufig als das "operative Geschäft". Das ist so ein bisschen ein Wirtschaftsbegriff.In der Militärsprache ist "operativ" tatsächlich mit "strategisch" verknüpft als Begrifflichkeit. Also es hat immer mit dem zu tun, was man draußen im Feld tut oder hier bei der Stasi würde ich immer sagen: da, wo die Stasi handelt, am von ihr so definierten "Feind". Also wo sie aktiv ist, nicht am Schreibtisch sitzt, sondern "operativ" sozusagen handelt, am "Feindobjekt" direkt dran. Und deswegen ist die Psychologie eben auch "operativ", weil es gilt sie umzuformen, um sie anzuwenden in der Begegnung mit dem politischen Feind.
Maximilian Schönherr: Also eine "operative Beobachtung" zum Beispiel ist immer quasi eine subversive Beobachtung. Ich beobachte dich jetzt gerade jetzt nicht operativ, zum Beispiel. [Dagmar Hovestädt lacht]Wir sind übrigens über Video-Konferenz zusammengeschaltet. Wir sind immer noch in Corona-Klausur, mehr oder weniger, deswegen auch Frau Münkel – wo sitzt sie eigentlich? Weil: Ihr seid ja im selben Haus. Ich bin aber in Köln im Moment und ihr seid in Berlin.
Dagmar Hovestädt: Genau, du sitzt in deinem Büro in Köln und wir sehen uns über eine kleine Video-Konferenzmöglichkeit. Sie sitzt im 1. Stock bei uns, ich im 7. Stock; aber man begegnet sich trotzdem auch schon mal auf den Fluren hier.Du beobachtest mich jetzt einfach nur zur Wahrnehmung, weil wir eben miteinander reden. Und die "operative Beobachtung", Observation, die "operative Personenkontrolle" hat eben diesen geheimpolizeilichen Zweck, Informationen zu sammeln für eben geheimdienstliche, nachrichtendienstliche Tätigkeiten.
Maximilian Schönherr: Denn ich hab das eigentlich so in diesem massierten Auftreten nur bei euch gelesen. [Dagmar Hovestädt lacht] Die Stasi macht alles operativ. Dass dann auch noch die Psychologie operativ wird, das hat mich wirklich gewundert, aber so ist es.Das werden wir ja jetzt in dem Podcast heute hören.
Dagmar Hovestädt: Das wird ziemlich gut erklärt von Daniela Münkel, was damit eigentlich gemeint ist und warum die Stasi überhaupt Hilfe sucht bei so einer Disziplin wie der Psychologie.
Maximilian Schönherr: Du warst ja bei der Aufnahme bei ihr im Raum und hast sozusagen auch das Mikrofon aufgestellt und gewartet, den Pegel beobachtet und so weiter.Frage: Hättest du gerne eingegriffen? War alles richtig? [Dagmar Hovestädt lacht] Du warst ja ganz still.
Dagmar Hovestädt: [lachend] Ich komme immer in diese Rolle von dem Aufpasser, der sagt: "War das auch alles richtig?"
Maximilian Schönherr: Das habe ich nicht gesagt, nein! Aber gewisse Dinge, die dir vielleicht aufgefallen sind.
Dagmar Hovestädt: Nein, nein. Ich bin ehrlich: bei solchen Sachen, wenn Leute, die sich gut mit der Sache auskennen, die das wirklich versuchen auch zu analysieren und mit viel Wissen da rangehen, höre ich einfach total gerne zu. Das war einfach super spannend! Sie hat sich ja auch vorbereitet und diese Töne schon mal gehört und konnte das dann ziemlich präzise einfach auseinander nehmen, beschreiben, analysieren. Und da lernt man eine Menge. Da hör ich dann wirklich zu, dann ist es einfach auch angenehmer einfach nur mal reinzuhören.
Maximilian Schönherr: Also, wir hören einige O-Töne in dieser Folge. Aber am Schluss?
Dagmar Hovestädt: Am Schluss hören wir natürlich immer unseren besonderen O-Ton, den unsere Archivarin Frau Steinbach extra rausgesucht hat mit ihrem wunderbaren Spezialwissen über die riesige Überlieferung, die wir im Audio-Archiv haben. Über 27.000 Tonbeispiele, sag ich jetzt mal so. Oder: Tonzeugnisse. Da hat sie schon sehr viel gehört und sucht immer was sehr spezielles für uns heraus.
Maximilian Schönherr: Und da machen wir jetzt keinen Teaser davon. Keinen wenige-Sekunden-Clip. Denn wir hören heute genug O-Töne, die spannend genug sind für diesen Podcast.
Dagmar Hovestädt: Ich wollte übrigens noch ein Ding sagen, weil ich das ganz interessant fand. Daniele Münkel spricht am Anfang davon, dass man an dieser Hochschule, wo man auch die "operative Psychologie" lernen kann, dass man dort IM-Forschung betreibt. Das ist natürlich so ein Insider-Wort. Wer den Podcast schon häufiger gehört hat wird auch sagen: Ah! IM – inoffizieller Mitarbeiter. Aber das ist schon was sehr spezielles, das eine Geheimpolizei, ein Apparat dieser Größe eine eigene Hochschule hat und dann diese Hochschule eine spezifische Forschung betreibt, nämlich die IM-Forschung. Also die Gewinnung und Führung und Manipulation von Menschen zur inoffiziellen Mitarbeit mit eben diesem Apparat.
Maximilian Schönherr: Kommt mir auch nicht unüblich vor. Ich kann mir beim BND genau dasselbe vorstellen. Quasi die BND-Führung sagt: Wir richten hier eine kleine Vorlesungsreihe intern ein, damit wir wissen, wie wir besser mit Vorgesetzten umgehen oder mit Untergebenen umgehen und wie wir neue Leute anwerben. Oder? Wir wissen es eben nicht.
Dagmar Hovestädt: Genau, man weiß das nicht so richtig. Aber, sag ich mal, in so Demokratien, da ist das doch ein bisschen einsichtsvoller. Ich würde sagen, das was du gerade beschreibst ist so was wie Personalpolitik. Auch da arbeitet die Stasi ja dran, auch in der Psychologie.Und das andere: klar, ich mein jeder Geheimdienst braucht Quellen und der moderne Begriff, der englische Begriff "human intelligence", also die menschliche Quelle die Informationen liefert, ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selber. Und es ist eben immer aber auch eine Frage dann, unter welchen Umständen und für welche Ziele. Die IM sind im weitesten Sinne gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt worden und zwar nicht gegen Leute, die man für besonders extrem, gewaltbereit oder Bombenbauer gehalten hat. Sondern für Leute, die gesagt haben: Ich habe eine andere Meinung, Sozialismus finde ich nicht die Möglichkeit aller Dinge. Und das ist eben ein wesentlicher Unterschied.
Maximilian Schönherr: Gut. Dann starten wir.
[Jingle]
Maximilian Schönherr: Ich spreche mit Daniela Münkel. Sie sind Professorin und Doktorin im Titel und in Ihrer Signatur. Worin haben Sie promoviert und habilitiert?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ich habe promoviert über Bauern im Nationalsozialismus, also was ganz anderes als über das wir heute sprechen werden. Und habe habilitiert über das Verhältnis von Willy Brandt zu den Massenmedien. Willy Brandt war ja der erste sozusagen moderne Medien Kanzler und das habe ich mir mal genauer angeguckt in meiner Habilitation.
Maximilian Schönherr: Wann war die Willy Brandt-Arbeit ungefähr? Wann haben Sie die veröffentlicht?
Prof. Dr. Daniela Münkel: 2005.
Maximilian Schönherr: Okay. Wir sprechen heute über "operative Psychologie". Und bevor wir uns darüber näher austauschen, es ist ein ganz bizarres Ding, sag ich kurz, wie ich darauf kam.Ich kenne das Audio-Archiv des BStU einigermaßen und hab zum Beispiel Recherchen gemacht über die Strafprozesse, was es da an Bandmaterial in den 1950er Jahren gab. Das ist ganz grausam. Ich hab aber auch Sachen über Medizin in der DDR erforscht und vor ungefähr einem Jahr hat ein Freund von mir, der ist Politikwissenschaftler, gesagt: "Hast du schon mal was von der "operativen Psychologie" gehört?" Und ich sagte: "Nee!?"Und dann habe ich einen Rechercheantrag gestellt und der fruchtete quasi. Da kamen, glaube ich, 140 Stunden Audiomaterial raus – unter Psychologie, jetzt nicht unter "operativer Psychologie", aber unter Psychologie. Ich hab dann für das Archivradio im SWR ungeschnittene O-Töne ungefähr 14 oder 16 Stunden rausgefiltert.Sie kennen natürlich die "operative Psychologie" schon sehr lang, oder?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Na ja, seitdem ich mich hier bei der Stasi-Unterlagen-Behörde mit diesen Themen beschäftige. Insofern, weil das ja ein zentraler Bestandteil der Arbeit der Staatssicherheit war. Sozusagen ein Instrumentarium, dessen sich die Staatssicherheit bei ihrer Arbeit und in der Repressionspraxis bedient hat. Vor allen Dingen seit den 70er Jahren.
Maximilian Schönherr: Wir hören jetzt mal einen kleinen Ausschnitt und die Audio-Ausschnitte sind alle kurz. Das heißt, der erste da wird zu hören sein ein DDR-Spion, der in München gefasst wurde und dann seinen Prozess bekam und dann in die DDR zurückkam und seinen Genossen auf einem Band – wir wissen nicht wer das gehört hat, dieses Band – berichtet, wie gut es ihm eigentlich ging. Er will natürlich auch meinen es ging ihm ganz schlecht. Aber eigentlich, sagt er, wurde er ganz gut behandelt.
[Archivton][Auslandsagent:] Extra erfolgte eine Befragung zur Eigentümerschaft der mitgeführten Dokumente und des mitgeführten Geldbetrages. Vorsicht, Genossen! Hierbei wird gern die Methode der Umw- - der Überrumpelung und der Bauernfängerei angewendet. Zum Beispiel auf die Frage: "Bestätigen Sie, dass der von Ihnen unterschriebene Reisepass auf den Namen X sich in Ihrer Habe befand, als Sie festgenommen wurden?" - kann man nicht mit Ja antworten. Denn das bedeutet für die feindlichen Organe, dass offenkundige Eingeständnis mit den Dokumentenherstellern, gleich Auftraggebern, identisch zu sein.
Maximilian Schönherr: Sie haben den wahrscheinlich auch zum ersten Mal gehört, oder?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ja.
Maximilian Schönherr: Psychologie? Ja, ne? Der sagt quasi: Standhaftes Verhalten ist wichtig.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Na ja, das zeigt nochmal, dass diese "operative Psychologie" nicht nur dafür da war, Leute zu beeinflussen, die man als "feindlich negativ" einschätzte aus Seiten des Ministeriums für Staatssicherheit, sondern auch der Schulung der operativen Mitarbeiter diente.Dies hier ist ein Fall eben von einem Mitarbeiter, der eben in der Bundesrepublik eingesetzt wurde und auch der wurde im Vorfeld geschult für alle Eventualitäten, wenn er festgenommen wird, wie er sich zu verhalten hat. Und dabei geht es natürlich dann vor allen Dingen, was hier sehr deutlich wird an dem Beispiel des Reisepasses, darum zu verschleiern wo man herkommt und was man getan hat. Das ist natürlich das erste, worum es hier geht. Und dann standhaft zu bleiben und sich nicht vom Klassenfeind aushorchen zu lassen.
Maximilian Schönherr: Hören wir den zweiten Take gleich hinterher! Also der gerade eben war von 1988. Die meisten Takes, weil die Bänder einfach nicht ordentlich beschriftet sind und digitalisiert werden, da kann man nur rückschließen. Aber hier wussten wir es – von 1988.Jetzt kommt ein O-Ton von 1985 und das ist eine Weiterbildungsveranstaltung und es ist auch interessant, dass die mitgeschnitten wurde. Ein ähnlich kurzer Ausschnitt.
[Archivton][MfS-Referent:] Allerdings gibt es auch – äh – Situationen, die den Gesprächspartner so beeinflussen können, dass er sozusagen im Affekt handelt. Aber Affekt heißt nicht Mord und Totschlag, ja!? Affekt kann – äh – die Situation, die Lage sein in der er sich befindet. Die dann dazu führt, dass er – äh – weitgehend gefühlsmäßig entscheidet und reagiert. Und nicht mehr die Folgen seines Handelns überlegt.An der Stelle würde er zum Beispiel auch über Dinge sprechen, die er sonst die ganze Zeit sorgfältig vertuschen wollte. Nich' alle, die zum Beispiel explodieren bei uns, detonieren, ja. Implodieren oder explodieren spielt keine Rolle. Das sind welche Kandidaten, da hätten wir – so komisch das klingt – wahrscheinlich noch Aussicht was zu machen. Die halten das nämlich psychisch nich' mehr lange durch. Offensichtlich. Die sind so angeknackt, wir müssten nun bloß noch den Punkt finden, wo wir mit den'n wirklich reden könn'n. Oder aber es ist so, dass sich hier in Kürze ein Feind offenbaren wird. Eins vo- - also, irgendwas steht hier im Busche, ja?Das sind solche Affekte die dadurch entstehen können, dass eben die Situation nich' verkraftet wird. Und nun – äh – sind diese Emotionen so stabil, dass man sie auch nich' wegdiskutier'n kann. Ich weiß, dass wir mal 'ne Zeit lang gesagt haben: "Also, Gefühlsduselei - bei uns nich'! Ha'm [haben] wir gar nich' nötig! Wir ha'm ja die sachlichen, guten Argumente." Und haben festgestellt, dass das nich' geht.Wir, wir brauchen schon – äh – klare Einstellungen und klare Motive. Wir brauchen ein klares F-F-F-Feind-/F-F-F-Freundbild, das möchten wa [wir] schon haben, ja. Wir brauchen schon solche klaren Bezüge und die Emotionen spielen deshalb eine große Rolle, weil nämlich ihre – na, ihr Sitz, ja, von wo die ausgehen, genau dort is', wo lebenswichtige Funktion'n gesteuert werden. Also selbst, wenn wa die wegdenken wollen, sagen: Die existier'n für uns nich'! Existier'n s'e trotzdem. Sonst is' der Mensch tot! Wenn er tot is', dann ha'm wa keine Gefühle mehr. Is' wahr. Aber solange er lebt, hat er welche.
Maximilian Schönherr: Fine ich einen großartigen O-Ton. Von einem Oberleutnant Fändel oder Fendel oder Wendel – wir haben ihn nicht gefunden. Wir wissen nicht, wer das ist.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Nee, ich auch nicht.
Maximilian Schönherr: Das war eine Weiterbildungsveranstaltung in Karl-Marx-Stadt, von der Hauptabteilung Inneres und es ging darum, wie man mit Ausreisewilligen umgeht. Das heißt, das wurde – und jetzt kommen wir zur "operativen Psychologie" – an einem Institut in Potsdam vermutlich ermittelt, wie man mit diesen Leuten umgeht.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Die "operative Psychologie", die an der Juristischen Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit gelehrt wurde, und auch geforscht wurde darüber, war sehr stark praxisnah an den Bedürfnissen des Ministeriums für Staatssicherheit ausgerichtet. Das ist ganz wichtig bei dieser Sache. Das ging so weit, dass die Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeiter in die Bezirksverwaltungen gingen und eine Art Praktikum oder ähnliches machten, um sich die praktische Arbeit anzugucken und die Bedürfnisse waren klar definiert. Es ging einerseits um IM-Forschung, dann ging es darum, die Weiterbildung der operativen Mitarbeiter, also der hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit aufzubereiten und die Ermittlungsarbeit zu verbessern.Das waren also die Forschungsschwerpunkte und die waren eben an der Praxis des Ministeriums für Staatssicherheit ausgerichtet. Dazu gehören dann neben der Ausbildung der zukünftigen Mitarbeiter im Ministerium für Staatssicherheit eben auch diese Weiter- und Fortbildungsveranstaltungen, wozu die entsprechenden Dozenten direkt zum MfS fuhren. Also nicht umgekehrt! Die fuhren in die Bezirksverwaltungen, die fuhren aber auch in die Zentrale und hielten da diese Vorträge, um die Mitarbeiter dort zu schulen in diesen Fragen.Und hier wird eben auch ganz deutlich, dass es bei diesem Thema, was jetzt Ausreisewillige angeht, aber das lässt sich auch auf andere übertragen, die festgenommen wurden und in die Fänge des MfS gerieten. Dass es hier um eine psychische Destabilisierung geht, um dann Informationen aus den Personen herauszupressen sozusagen. Dass man sie in einen Zustand versetzt, dass sie gar nicht mehr klar denken können und ihre Taktik, die sie sich vielleicht vorher zurechtgelegt haben, aufgeben müssen.Das ist das eine. Das andere ist, dass wenn das funktioniert hat, man auch wieder versucht, positiv auf die Person einzugehen, damit sie vertrauen schafft und auch das mit dem Ziel, dass sie möglichst viel Informationen preisgibt, die man haben möchte.
Maximilian Schönherr: Ist das trivial? Ist es damals trivial gewesen, 1980 meinetwegen, oder war das wirklich was Spezielles? Hat die DDR angefangen, sich mit Psychologie dann wirklich auf dieser Ebene zu beschäftigen? Wie kriege ich die Leute, ohne sie wirklich jetzt zu inhaftieren, in Einzelzellen zu sperren – wie kriege ich die? Wie komme ich irgendwie zu meinen Informationen?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Es ist nicht trivial, weil es einen Strategiewechsel in der Repressionspraxis des Ministeriums für Staatssicherheit markiert.Seit Anfang der 70er Jahre, verstärkt dann seit Mitte der 70er Jahre geht man dazu über, die Repression nicht mehr im offenen Terror zu praktizieren sondern subtiler. Das hängt ganz klar damit zusammen, dass die DDR ja lange um eine internationale Anerkennung gerungen hat und diese dann im Zuge der neuen Deutschland- und Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition auch erzielen konnte mit Abschluss des sogenannten Grundlagenvertrages im Jahr 1972, der dann zur Folge hatte, dass eben auch andere westliche Staaten die DDR anerkannten und dass die DDR Mitglied in internationalen Organisationen wieder UNO werden konnte und Mitglied des KSZE-Prozesses und so weiter. Der DDR war daran sehr gelegen, diese internationale Reputation nicht zu gefährden.Hinzu kamen natürlich wirtschaftliche Überlegungen. Ein Land, was seine Bürger, wenn sie andere Meinungen haben, lange wegsperrt und wie in den 50er Jahren auch noch foltert, bis zu Todesstrafen verhängt; ist natürlich kein gern gesehener ökonomischer Partner im Westen. Und insofern versuchte man, das anders zu lösen und da erfand man die Repressionspraxis der sogenannten "Zersetzung". Das heißt: Personen und Gruppen sollen isoliert werden, in ihrer Persönlichkeit zerstört werden, um sie so davon abzubringen weiter oppositionell aktiv zu werden. Und da, in diesem Zusammenhang spielt die "operative Psychologie" eine sehr große Rolle.Und dann wird auch dieses Fachgebiet an der Juristischen Hochschule ausgebaut. Ab 1971 gibt es einen eigenen Lehrstuhl für "operative Psychologie", aber auch schon in den 60er Jahren gibt es Arbeitsgruppen, einen Fachbereich für Psychologie. Aber das wird dann sehr verstärkt. Allerdings darf man das in der Ausbildung auch nicht überbewerten, weil an der gesamten Ausbildungszeit hat die "operative Psychologie" nur einen Anteil von 5% gehabt. Ich glaube, zentraler sind dann diese Fort- und Weiterbildungen der Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit.
Maximilian Schönherr: Aber es war Pflicht quasi, dass man diese 10% Vorlesungen mitnimmt, wenn man an der Juristischen Hochschule in Potsdam studierte?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ja, selbstverständlich. Das gehörte zum Lehrplan und ist natürlich auch ein wichtiges Handwerkszeug gewesen, eben im Zuge dieser neuen Strategie der "Zersetzung".
Maximilian Schönherr: Okay, hören wir den nächsten O-Ton. Anonyme Briefe werden auf psychische Defekte analysiert. Das finde ich auch ganz interessant, weil es wirklich sehr handwerklich ist und die Frage schließt sich sofort an. Anonyme Briefe auf psychische Defekte analysieren: Ob das wirklich wichtig war für das Ministerium, weil ja so viele anonyme Briefe wahrscheinlich ankamen. Aber hören wir mal gerade rein.
[Archivton][MfS-Mitarbeiterin:] Die Pseudo-Abstraktheit zeigte sich bei der Bestimmung von Begriffen durch den Autor, zum Beispiel - Doppelpunkt, neue Zeile.Anführungszeichen. Der Weltkrieg, das ist die Grundlage, die neue Achse, um die sich in der Zukunft auch die Geschichte der Menschheit drehen wird. Der Weltkrieg, das ist der Punkt von dem aus eine neue Ära anfangen wird. Der Zusammenfluss von Jugend und Alter. Von Leben und Tod. Drei Punkte. Unser Hass dieser Welt, das ist das Bild der zukünftigen Welt. Die Mutter des Guten und der Gerechtigkeit. Ausführungszeichen, neue Zeile.Neben den pseudo-abstrakten Wertungen im Text gibt es auch ein Merkmal der Verringerung des Verallgemeinerungsniveaus. Bindestrich. Das nicht unterscheiden logischer Beziehungen zwischen Wörtern. Klammer auf, Anführungszeichen. Ich habe schon längst die selbstständige Schwelle des Lebens überschritten. Drei Punkte, Ausführungszeichen. Bindestrich. Muss heißen – Doppelpunkt, Anführungszeichen, drei Punkte. Die Schwelle des selbstständigen Lebens. Drei Punkte, Ausführungszeichen, Klammer zu.
Maximilian Schönherr: Haben Sie eine Idee, ob das irgendeinen Sinn machte?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ich habe mir das angeguckt. Dieses Stück stammt ja von der Hauptabteilung IX und die Hauptabteilung IX ist das kriminalistische Untersuchungsorgan des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen. Und wahrscheinlich ist der Sinn dieser Sache vor allen Dingen rauszukriegen, von wem dieser Brief sein könnte. Wenn er anonym ist und das war ja ein ganz zentrales Anliegen, rauszukriegen wer Dinge schreibt, die nicht im Sinne der DDR sind. Da hat man sich sehr bemüht und ist auch sehr aufwendig vorgegangen. Und ich könnte mir vorstellen, dass das auch in diesem Zusammenhang zu interpretieren ist.
Maximilian Schönherr: Und es war ein Diktat, das heißt die Satzzeichen wurden mitdiktiert. Das hört sich fast ein bisschen an wie die modernen Spracherkennungssoftwaren auf den Smartphones heute.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ja, das kann sowas in der Richtung sein. Weil, wie gesagt, es geht ja darum Muster zu erkennen, um die Person zu ermitteln. Dass das jetzt einen sehr kruden Inhalt hat kommt noch verstärkt hinzu. Das liefert dann noch Argumente zu sagen: Die Leute, die gegen unseren Staat sind, sind vielleicht nicht ganz bei Trost oder nicht normal. Das kommt noch zusätzlich dazu.Aber der erste Eindruck ist eben, herauszukriegen und deswegen auch diese Art – wie Sie sagen – hört sich an wie moderne Spracherkennung. Herauszubekommen: Wer steckt dahinter?
Maximilian Schönherr: Also ein klassisches Diktat und ich hab viele, viele Kassetten gefunden, wo so diktiert wurde. Also mit Punkt, Komma, neue Zeile und so weiter. Das heißt, wir hören tats- -
Prof. Dr. Daniela Münkel: Das wird dann ja auch abgeschrieben und deswegen wird das auch so diktiert.
Maximilian Schönherr: Es wird abgeschrieben und dann wahrscheinlich verteilt. Und da können wir jetzt ja auch noch darauf kommen, dass diese "operative Psychologie", dieser Lehrstuhl der da später entstand, wo man auch promovieren konnte, dass da ein Fernstudium eigentlich ganz gang und gäbe war. War das generell mit der Juristischen Hochschule so?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Das Fernstudium war eine Möglichkeit. Es gab aber auch Präsenzstudenten. Das war so aufgeteilt und man konnte das sowohl als auch machen. Das Fernstudium dauerte etwas länger, aber war durchaus möglich und hatte den Vorteil, dass auch Mitarbeiter die schon länger beim MfS waren sich dort noch weiter qualifizieren konnten und trotzdem ihrer Arbeit nachgehen konnten ohne eben abwesend zu sein. Da gibt es also diese zwei Möglichkeiten. Einmal man macht ein normales Präsenzstudium oder ein Fernstudium in der Dauer von fünf Jahren.
Maximilian Schönherr: Das heißt diese sensiblen Unterlagen, also jetzt quasi das Transkript von dem, was wir gerade gehört haben, wird auf einem sicheren Weg verschickt an die Studierenden oder wie wurde das gemacht? Weiß man darüber was?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Von der Hochschule wurden Unterrichtsmaterialien entwickelt und die konnte man natürlich in Form von Büchern oder Heften und ähnlichem zur Verfügung stellen. Und dort ist es auch denkbar, dass vielleicht bestimmte Aufnahmen auch weitergegeben wurden. Und ich meine, das MfS hatte natürlich Wege, Dinge von A nach B zu transportieren, ohne dass jemand unbefugtes sie sah. [lacht] Also das ist das geringste Problem für so eine Geheimpolizei gewesen.
Maximilian Schönherr: Jetzt hören wir in eine Kaderkonferenz der Hauptabteilung VIII hinein. Was ist denn eine Kaderkonferenz?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Kader sind Mitarbeiter beziehungsweise auch Führungskräfte. Das ist einfach ein anderes Wort, welches im Sozialismus vorherrschte. Kaderpolitik ist die Personalpolitik, würden wir sagen. Oder Personalentwicklungspolitik. Das sind einfach andere Begriffe, die dort eine Rolle spielen.Vielleicht noch kurz zum weiteren Verständnis: Die Hauptabteilung VIII war für die Beobachtung und Ermittlung zuständig im MfS und wurde von anderen Hauptabteilungen beauftragt dies zu tun. Bis zum Mauerbau haben sie auch Beobachtungen in Westdeutschland durchgeführt, nach dem Mauerbau konzentrieren sie sich vor allem auf Beobachtungen und Ermittlungen in der DDR. Nach dem Abschluss des Grundlagenvertrages 1972, der ja dann '73 ratifiziert wurde, beschäftigt sich die Hauptabteilung VIII auch mit der Überwachung des innerdeutschen Reiseverkehrs.
Maximilian Schönherr: Seit wann kennen Sie die Hauptabteilung VIII?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Das sind Sachen mit denen man sich ziemlich schnell, wenn man anfängt in der Stasi-Unterlagen-Behörde zu arbeiten, beschäftigen muss. Weil sonst kann man ja die ganze Struktur der Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit nicht erfassen, wenn man nicht weiß, wie es aufgebaut war. Man hat sich das ja nicht so vorzustellen, dass da jede Hauptabteilung nur ihr engstes Themengebiet gemacht hat sondern das verzahnt sich.Das hat heute den Vorteil, dass wenn Akten in einer Hauptabteilung fehlen manches über die anderen kompensiert werden kann.
Maximilian Schönherr: Mhmh. Gut, wir hören also eine Kaderveranstaltung. Da ging es darum, wie man Ermittlungsgespräche auswertet und durchführt.
[Archivton][MfS-Mitarbeiter:] Es reicht nicht aus bei der Klärung von Disziplinwidrigkeiten zu erfassen, was geschehen ist. Es kommt viel stärker darauf an, festzustellen und nachzuweisen, warum das negative Verhalten eintreten konnte, welche Antriebe dabei wirksam word'n [wurden] und welche Bedingungen gegen diese Ersch- - welche Bedingung' diese Erscheinung ermöglichten.Aus diesen Darlegung' ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die Anwendung von Disziplinarmaßnahmen nicht nur zum Ziel hat, einen Angehör'chen [Angehörigen] für eine bestimmte Verfehlung zur Verantwortung zu ziehen sondern es geht vielmehr darum, auf die Entwicklung des Angehörigen als Persönlichkeit so Einfluss zu nehmen, dass er günftich [künftig] mit seinen Handeln und Verhalten nicht wieder in Widerspruch zu den ihm gestellten Verhaltensanforderungen kommt.Deshalb ist die Disziplinarmaßnahme oder Sanktion Strafe nicht einseitig und allein zu betrachten. Sondern sie gehört zu einem ganzen Komplex von Maßnahmen zur erzieherischen Beeinflussung des betreffend'n Angehörigen.
Maximilian Schönherr: Klingt für mich modern. Ist von 1985, da war die DDR von der Psychologie her auf dem Stand der anderen Geheimdienste, denke ich mal. Oder?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Das sicherlich. Diese erzieherische Beeinflussung, das war selten effektiv, aber man hat es zumindest versucht.
Maximilian Schönherr: Wir bleiben noch kurz bei dieser Veranstaltung von 1985.Jetzt sagt ein Oberstleutnant Jonak, den wir vielleicht gerade noch anmoderieren können. Wer war Jonak?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ja, also Herr Jonak ist eine ganz interessante Persönlichkeit. 1930 in Dresden geboren, war zunächst Arbeiter und hat sich dann nach dem Zweiter Weltkrieg relativ früh bei der Volkspolizei beworben. Er ist dort genommen worden und hat sich wohl sehr hervorgetan im Sinne der DDR beim Aufstand des 17. Juni 1953. Und ist dann 1954 zur Bezirksverwaltung des MfS in Dresden gekommen und hat da wohl auch viel mit IMs zusammengearbeitet und war sehr erfolgreich. Das einzige was man ihm vorwarf war, dass er sich nicht richtig durchsetzen konnte.Aber ansonsten hat er sich da sehr bewährt und wird dann 1966 Assistent am Institut für Psychologie an der JHS, also der Juristischen Hochschule in Potsdam, nachdem er vorher dort studiert hat. Und wird dann – das ist interessant, weil es das auch häufiger gegeben hat – zum Fernstudium eines Institut für Psychologie der Karl-Marx-Universität in Leipzig delegiert und studiert da richtig Psychologie. Das hat es auch nicht nur als Fernstudenten gegeben sondern es hat es auch gegeben, dass Studenten dort am Präsenzstudium teilgenommen haben. Der Schriftsteller Jürgen Fuchs beschreibt das sehr eindringlich, wie er da Kommilitonen bei seinem Psychologie-Studium hat, die MfS-Angehörige waren.Er kommt dann zurück, promoviert 1973 mit dem Thema "Die Gewinnung inoffizieller Mitarbeiter und ihre psychologischen Bedingungen" – das wird dann ein Standardwerk der "operativen Psychologie". Und die Karriere von Herrn Jonak ist auch jetzt noch nicht beendet. Er wird dann 1976 Hochschuldozent für forensische Psychologie an der JHS in Potsdam und legt 1981 seine Promotion B - das entspricht unserer Habilitation, das hieß in der DDR anders – und übernimmt dann 1985 bis zum Ende der DDR den Lehrstuhl für "operative Psychologie". Also wir haben es hier mit einem sehr ausgewiesenen Fachmann auf dem Themengebiet zu tun.Aber Sie sehen, wie wichtig die Praxisnähe und die Ausbildung und Weiterbildung der operativen Mitarbeiter ist, dass so jemand hochkarätiges zu den Mitarbeitern der Stasi vor Ort kommt und die dort schult.
Maximilian Schönherr: In diesem im Original viel längeren Vortrag – wir hören nur einen kurzen Ausschnitt –geht es unter anderem um das Thema, wie man jemanden, der in der Stasi erstmals eine leitende Position bekommt, also Einfluss auf andere hat und Entscheidungen treffen muss, wie man den drauf vorbereitet. Also auch wieder ein sehr modernes Thema. Hören wir mal rein!
[Archivton][MfS-Hochschuldozent Jonak:] Es geht um eine schöpferische Aneignung der eigenen Funktionsmerkmale. Tun wir das, Genossen, dann haben wir einen e- - zusätzlichen Empuls dafür. Die von Genossen – äh – Generalmajor Coburger angesprochene Gesamtverantwortung, die wir für's MfS tragen, wahrzunehmen, weil schöpferische Aneignung der eigenen Funktionsmerkmale bedeutet, ein kritisches Herangehen an die neu übernommene Aufgabenstellung gleich unter dem Blickwinkel: [mit erhobener Stimme] Ja, was lässt sich denn in den [betont: generellen] gesellschaftlichen Bedingungen, [überbetont: de' in-ten-siv] erweiterten Reproduktion hier intensiver und rationeller machen?Und wenn wir damit nur zwei Arbeitstage sparen, Genossen! Es muss ne' imma [nicht immer] e' [ein] ganzer Arbeitsplatz sein oder e' zehntel Arbeitsplatz. Aber ein genaueres Durchdenken dieser [überbetont: Ver-ant-wortlich-keit] und Aufgaben, die ein Genossen mit seinem [betont: Neueinsatz] übernimmt, dort liegt ja die große Chance! Weil er neu und unbelastet ist von irgendwelchen Erfahrungen in 'ner [einer] anderen Leitungsfunktion! Dass er hier aus eigenem Ermessen auch kritisch an e'ne [eine] solsche [solche] Sache herangeht! Dafür lohnt sich dann auch eine Überarbeitung der entsprechenden Funktionsmerkmale.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ein Wort, was hier ganz deutlich wird: dass die "operative Psychologie" eben auch zur Effektivitätssteigerung der operativen Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit eingesetzt wird. Und Sie haben jetzt schon ein paar Mal betont, dass das ja gar nicht so verstaubt und unmodern sei. Die Vorstellung, dass die Staatssicherheit verstaubt und unmodern gearbeitet hat, ist nicht richtig. Die haben ja schon versucht, immer auf der Höhe der Zeit zu sein um ihre Ziele zu erreichen und da gehörten eben auch solche Maßnahmen zu. Oder der Einsatz von technischen Möglichkeiten und ähnlichem. Also das ist schon so. Die haben ja versucht, möglichst effektiv zu sein und dazu bedurfte es natürlich auch effektiver Methoden, die ja nicht unbedingt verstaubt sein müssen – sondern ja vielleicht sogar das Gegenteil.
Maximilian Schönherr: Ja, klar!
Prof. Dr. Daniela Münkel: Herr Coburger war Leiter der Hauptabteilung VIII.
Maximilian Schönherr: Ich hab keinen Zweifel daran, dass das Ministerium für Staatssicherheit technisch auf einem hohen Niveau war. Die haben sehr, sehr früh angefangen Tonbänder zu verwenden. Sie haben Telefonüberwachung gemacht - möglichst ohne, dass es jemand mitbekam. Das schon.Aber die Psychologie, weil der Lehrstuhl hat sich ja auch dediziert gegen Sigmund Freud und Psychoanalyse gewandt. Der war ganz praxisorientiert und hat eigentlich gesagt: Freuds Ich und Es dienen der Massenhypnose, quasi um den kapitalistischen Westen zu verblöden. Und deswegen, da wunder ich mich bei der Psychologie, dass die relativ modern ist.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Aber es hängt natürlich damit zusammen – Sie haben Recht! Die DDR-Psychologie insgesamt hat sich gegen die als bürgerlich-dekadent verschriene Psychologie, unter anderem von Sigmund Freud, gewandt und dem eine marxistisch-leninistische Psychologie entgegengesetzt.Da spielt eben dieser Moment der Effektivität eine ganz zentrale Rolle. Sozusagen die Menschen wieder funktionstüchtig zu machen und effektiv zu machen, um die Arbeit im Staat zu verbessern und die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Werktätigen, wie es hieß, deutlich zu verbessern. Es ging da weniger wieder um den Einzelnen als um das Kollektiv, wenn man so will.Nichtsdestotrotz benutzte man natürlich Erkenntnisse und Möglichkeiten der allgemeinen Psychologie, die aber anders eingesetzt wurden als im Westen. Und das ist das entscheidende! Das heißt ja nicht, dass man die Praktiken und die Erkenntnisse nicht wahrnimmt sondern dass man sie einfach anders benutzt und nicht im Sinne des Individuums, um es zu heilen. Sondern eben im Sinne des sozialistischen Kollektivs, um das effektiver zu machen. Und in Bezug auf das MfS eben die Arbeit und die Repressionspraxis effektiver zu gestalten. Also eine Instrumentalisierung der Psychologie im Sinne des Sozialismus.
[Jingle] Sprecher: Sie hören: Sprecherin: "111 Kilometer Akten - Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Maximilian Schönherr: Kann man davon ausgehen,dass dann Jonak und seine Kollegen die aktuelle psychologische Fachliteratur aus dem Westen gelesen haben?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Also das die diese Dinge auch wahrgenommen haben und sei es nur, um sich davon abzusetzen unter Umständen – davon ist eigentlich auszugehen. Aber ich kann Ihnen das nicht mit bestätigen.
Maximilian Schönherr: Und war das Studium in Karl-Marx-Stadt, also das richtige Psychologiestudium quasi, war das dann völlig anders?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ja das war natürlich nicht völlig anders. Da spielte sicherlich "operative Psychologie" keine Rolle, aber das war eben auch nach den Erkenntnissen der marxistisch-leninistischen Psychologie ausgerichtet.
Maximilian Schönherr: Ich hatte ja, naiv wie ich die O-Töne anfangs hörte, den Eindruck, dass Erich Mielke, der Chef des Ministeriums für Staatssicherheit, sich diesen Lehrstuhl und überhaupt die Juristische Hochschule eingerichtet hat, damit er ein bisschen akademisch aufgewertet wird. Auch innerhalb der SED. Das stimmt nicht, haben Sie gesagt, wir haben uns schon mal darüber unterhalten. Warum stimmt das nicht?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Nein, das stimmt insoweit nicht, dass das seinem Ego vielleicht geschmeichelt hat, das mag sein, aber das ist nicht der Grund dafür gewesen. Der Grund dafür ist eine Professionalisierung und dann später, seit Ende der 60er Jahre auch eine Akademisierung der Ausbildung der Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit.Man muss sich das so vorstellen: Als das Ministerium für Staatssicherheit 1950 eingerichtet wird, ist der Personalbestand völlig unprofessionell. Das sind oft junge Leute, sie durften ja auch nicht belastet sein durch eine NS-Vergangenheit. Es sind oft sehr junge Leute, sehr ungebildete Leute und das merkt man auch an der Arbeit oder zum Beispiel an den Schriftstücken, die verfasst werden. Die Berichte, die verfasst werden, sind in einer ganz einfachen Sprache und das ist alles höchst unprofessionell. Man bemüht sich und muss es ja auch tun, einen Mitarbeiterstamm aufzubauen der sowohl den politischen Anforderungen der SED und des Ministeriums für Staatssicherheit entspricht, aber auch natürlich professionell gut arbeitet.Und da ist ein wesentlicher Baustein die Einrichtung dieser – Juristische Hochschule wird sie ja erst 1965, aber 1951 wird sie ja als Schule schon eingerichtet. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt! Und diese Professionalisierungstendenzen der Mitarbeiter des MfS verstärken sich in den 60er Jahren und dann kommt eben auch eine Akademisierung hinzu. Und 1988 gab es dort 1.300 Studierende.
Maximilian Schönherr: Wobei die "operative Psychologie" eben dann ein Lehrstuhl da war. Hat Mielke Ahnung von Psychologie gehabt?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ja, von Stammtisch-Psychologie würde ich sagen. Also, Mielke war ja nicht gerade ein Feingeist, wir werden das ja auch noch hören.
Maximilian Schönherr: Wir hören das jetzt gleich. Ich unterbrech Sie mal gerade. Wir hören mal den Nicht-Feingeist Erich Mielke. Das war das psychologischste, was ich von ihm auftreiben konnte.
[Archivton][Erich Mielke:] Nach uns vorliegenden, intern'n Information'n sind äuß're, aber auch inn're Feinde seit läng'rem intensiv bestrebt, feindlich eingestellte, mit ihnen sympathisierende Kräfte, politisch-irregeführte, schwankende, labile und unzufried'ne Person'n bei uns ausfindig zu machen; sie im Sinne ihrer subversiven Zielstellung zu beeinflussen, in oppositionell'n Gruppierung'n zu sammeln, sie in regelrechten politischen Untergrundgruppen zu formieren, zwischen diesen überregional Verbindung' und Kontakte herzustell'n und deren gesamtes Vorgehen zu koordinieren. Ihn'n ist jeder recht, wenn er sich nur in ihrem Sinne manipulieren und mobilisieren läss'. Seien es Punks oder e- - Homosexuelle.Ich sprech hier ganz natürlich, so wie dit Leben is'. Ihr braucht Euch nich' wundern, hier irjendwelche [irgendwelche] Schlachworte [Schlagworte] suche.
Maximilian Schönherr: Er entschuldigt sich dafür, dass er Punks und Homosexuelle genannt hat oder wie ist der Rest zu verstehen?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Nur, dass er so "hemdsärmlich" redet, wie er das zu tun pflegt.Mit den Punks ist klar, dass er die nennt, weil das ist natürlich erst mal "westlich dekadent" im höchsten Grade aus Sicht von jemandem wie Erich Mielke, aber auch von anderen MfS- und SED-Politikern und Mitarbeitern. Und vor allen Dingen: die stellen sich außerhalb der sogenannten sozialistischen Menschengemeinschaft durch ihr Auftreten und sind zu individualistisch. Das passt natürlich nicht.Homosexuelle lässt sich natürlich wohl eher auf Mielkes Stammtisch-Niveau zurückführen, weil wie wir alle wissen in der DDR Homosexuelle zwar nicht gleichgestellt waren, aber zumindest strafgesetzlich nicht verfolgt wurden wie in der Bundesrepublik.Aber es geht einfach darum Alles zu benennen, was nicht in dieses sozialistische Menschenbild und in die sozialistische Gemeinschaft passt. Zu identifizieren und entweder zu bearbeiten, dass es passt oder eben mit Repression zu überziehen um somit den weiteren Aufbau und die weitere Existenz der sozialistischen DDR nicht zu gefährden. Und das wird hier eben ganz deutlich. Man muss die Feinde ausmachen und man muss sie auch vernichten, wenn es geht.
Maximilian Schönherr: Hat ihm jemand diese Reden – er liest ja offenbar ab – geschrieben?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Der hatte auch einen Redensschreiber, aber er hat da auch selber seinen Stil reingebracht. Das ist ja sehr unverwechselbar. Und es gibt aber auch Reden, die dauern irgendwie 6 Stunden. Man hatte in der DDR diese Angewohnheit, das ist glaube ich nach russischem Vorbild, [betont: unendlich lange] Reden zu halten und diese Sitzungen dauern Stunden um Stunden. Und dann wird immer vom einen aufs andere und es ist fürchterlich ermüdend, weil diese Sprache auch sehr ermüdend ist. Das ist so eine ganz spezielle Sprache, derer sich die Stasi-Mitarbeiter bedienen und auch – wir haben es ja selbst gehört – selbst der Herr Jonak, Professor für "operative Psychologie", hat ja auch keine schöne, geschmeidige Sprache sondern es ist ja doch sehr abgehackt.
Maximilian Schönherr: Wobei ich bei Jonak den Eindruck hatte, das hat er geprobt. Der hat irgendwann gemerkt – Sie haben ja gesagt, der konnte sich nicht gut durchsetzen, das war so eine Kritik an seiner früheren Karriere und dann hat er sich gedacht: Ich muss mal ein bisschen die Sprache schulen. Passt ja in die Psychologie auch rein: Wie erzähle ich was?Ich sehe ja, wenn ich diese Sachen bearbeite, immer die Soundwellen. Jonak ist der, der die extremsten Höhen und Tiefen, also laute und leise Stellen, hat. Weil er manchmal wirklich sehr laut wird. Während Mielke relativ homogen ist.Ich wollte noch sagen:der Wendel, den wir vorhin gehört haben, den wir nicht zuoordnen können; der spricht in diesem langen Vortrag, der sehr gut ist, sehr kompakt ist; über Ausreisewillige und wie man mit denen umgeht. Der sagt: Liebe Genossen, ihr tut mir so leid, dass ihr mit solchen Leuten zu tun habt! Und dann nennt er, der eigentlich auf mich progressiv wirkt, er wirkt so: ja, wir haben dieses Ausreiseantragsproblem und wir müssen damit jetzt irgendwie umgehen, ohne die Leute wirklich sofort klein zu kriegen. Wir müssen die immer wieder antanzen lassen und so weiter, das ist die Strategie quasi. Aber auch er sagt dann, die Homosexuellen und die Punks sind echt ein Problem bei uns. Also wirklich so ein DDR-Problem in den 80er Jahren offenbar. Er sagt dann: Ihr tut mir leid, Genossen. Dann kommt jemand rein, der hat eine Fahrradkette als Umhängeding, der hat so eine hochgezuckerte Frisur, so hat er den Irokesen-Schnitt genannt. Jetzt will man diesem Antragsteller erst mal sagen: Geh wieder nach Hause und dusch dich erst mal! Sagt der Wendel, in dem O-Ton. Und dann sagt er: Genossen, wir haben uns getäuscht! Weil die stinken gar nicht! Wir müssen die als Menschen ernst nehmen! Finde ich wirklich für dieses System eine ganz bemerkenswerte Stelle.Aber immer sind es die Punks und die Homosexuellen.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ja. Aber ich meine dies mit dem "die stinken gar nicht, wir müssen die ernst nehmen" das hat wieder damit zu tun, dass man es nicht aufgegeben hat, die – was ich vorhin schon sagte – zurückzugewinnen. Ne? Das man versucht, eben auch [betont: da] anzusetzen und die von dem vermeintlich falschen Weg, egal wie und sei es mit starker Repression, abzubringen. Und da hat man ja oft dies changierende, das hatten wir ja auch in den O-Tönen, zwischen Zuckerbrot und Peitsche sozusagen.
Maximilian Schönherr: Jetzt hören wir als letzten O-Ton ein ganz bemerkenswertes Ding. Das habe ich durch Zufall gefunden. Ich war mit Elke Steinbach im Archiv und wir stießen auf irgendein Dokument und da wurde was anderes erwähnt – wie Recherche nun mal oft so ist.Und dann haben wir uns ein Band besorgt und das ist ein Mitschnitt, offenbar ganz offiziell, es war ein Mikrofon am Tisch. In Halberstadt in der – hieß es Rat des Kreises? Oder Rat der Stadt? Wie hießen diese- -
Prof. Dr. Daniela Münkel: Rat des Kreises gab es und einen Rat der Stadt. Aber Rat des Kreises müsste es sein.
Maximilian Schönherr: Da ging man hin, um seinen Antrag zu stellen.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ja.
Maximilian Schönherr: Und diese Frau - deren Namen ich kenne, aber nicht sagen darf, ist geschwärzt quasi, weil sie noch lebt – stellt einen Reiseantrag und ist jetzt vielleicht zum 20. Mal da. Immer wieder hat man versucht, sie wieder kommen zu lassen, um natürlich ihr Umfeld zu studieren. Sie hat ihren Job verloren als Sekretärin bei der FDJ. Sie arbeitet als Putzhilfe. Das nimmt sie alles in Kauf, um ihre kranke Mutter im Westen zu besuchen und dahin auszureisen. Am Anfang wird sie in einem etwas kühlen Raum empfangen, mit zwei Stasi-Mitarbeitern und jetzt ist sie schon sehr vertraut mit einem.Dieser O-Ton ist so bemerkenswert, weil sie in diesem O-Ton quasi angeworben wird. Hören wir rein.
[Archivton][Antragstellerin:] Was das finanzielle angeht, also da is' wohl der Weg so, dass man da erstmal Arbeitslosenunterstützung kriegt 'n Jahr.
[Stasi-Mitarbeiter:] Mhmh.
[Antragstellerin:] Ich weiß das- -
[Stasi-Mitarbeiter:] Mhmh.
[Antragstellerin:] …ich musste ihr das erstmal glauben. Und, sagt sie, dann ein weitres Jahr würde man noch Arbeitslosenhilfe kriegen. Sagt sie, also finanziell- -
[Stasi-Mitarbeiter:] Mhmh.
[Antragstellerin:] …wärs das erstmal. Nich', dass de [du] denkst, weil ich – sie kennt mich da auch genau und ihr geht's genauso, der eine will dem andern nich' auf der Tasche liegen.
[Stasi-Mitarbeiter:] Mhmh, mhmh, mh.
[Antragstellerin:] Ja, also wir nutzen eigentlich nich' gern andre jetz' so aus. Ja. Da sagte sie: Es, es besteht die Möglichkeit, dass de dann vielleicht irgendwo nochmal – äh – 'n Studium machen musst, mit – also- -
[Stasi-Mitarbeiter:] Mmhm.
[Antragstellerin:] … dass de deine Sprachen abschließt jetzt. Dass de ein oder zwei Jahre – pff, er hat auch jesasgt [gesagt] nach Stuttgart oder Göttingen, dass weiß ich nich', aber das sin- -
[Stasi-Mitarbeiter:] Mhmh, Göttingen vielleicht, ne.
[Antragstellerin:] Alles - - ach, das is' ja da in der Näh- - alles erstmal- -
[Stasi-Mitarbeiter:] Ja, ja.
[Antragstellerin:] …so von ihrer Seite so jetzt Vermutungen, was eventuell wäre.
[Stasi-Mitarbeiter:] Mhmh. Mhmh.
[Antragstellerin:] Ja. Was andres is' da eigentlich erst ma' gar noch nich'. Und ob dis [das] klappt is' 'ne zweite Sache.
[Stasi-Mitarbeiter:] Das is' klar.
[Antragstellerin:] Ja.
[Stasi-Mitarbeiter:] Klar ja, ja.
[Antragstellerin:] Sie sagte auch, dass da jetz' irgendwo- - aber das is' weit weg von ihr und das kommt ja für mich dann gar nich' in Betracht. Denn dann braucht'sch [brauchte ich] keen'n [keinen]- - [schleifendes Geräusch] Könnt'sch ooch [könnte ich auch] hier bleiben.
[Stasi-Mitarbeiter:] Mhmh.
[Antragstellerin:] Ja. [vermutliches Öffnen eines Flaschenverschlusses] Wie sagt s'e [sie], dass einzigste is natürlich, sagt s'e, bloß das wer'n [werden] wa [wir] sicherlich nich' machen könn'n – äh – die fang'n wohl in Hamburg oder wo das is', weiß ich aber jetz' nicht genau- -
[Stasi-Mitarbeiter:] Mhmh. [geräuschwolles eingießen in ein Glas]
[Antragstellerin:] … ob ich das jetz' richtig [vermutlich: überliefert] hab. Da – äh – fangen die jetz' langsam an die Schul'n einzurichten. Die bilden so – äh – 15, 16-Jährige junge Menschen aus un-und also, die erwerben dort die russisch Kenntnisse.
[Stasi-Mitarbeiter:] Mh.
[Antragstellerin:] Russische Sprache lernen die. Und die dann später mal in den Firm'n und Betrieben als Korrespondenten einjesetzt [eingesetzt] werden oder Dollmetscher oder ähnliches.[eine Person im Hintgrund trinkt, stellt das Glas wieder ab] Dass ich vielleicht mal als Ausbilder oder so- -
[Stasi-Mitarbeiter:] Mh.
[Antragstellerin:]Bloß, ich weiß nich', inwie weit das in der Ecke möglich is'.
[Stasi-Mitarbeiter:] Wie schätzen Sie selber ein? Mit'm Russisch und Französisch – sind Sie da firm?
[Antragstellerin:] Na ich würde- - Also, im Moment wüsst ich nich'. Ich hab jetzt jahrelang kaum noch.
[Stasi-Mitarbeiter:] Mhmh.
[Antragstellerin:] Meine, wenn ich mich da jetz' reinknien würde, würde Vokabeln wieder lern'n und- -
[Stasi-Mitarbeiter:] Mhmh.
[Antragstellerin:] … das - würde das wiederkomm'n.
[Stasi-Mitarbeiter:] Okay. Is' klaa [klar]. [atmet tief, seufzend] Fü-bi-ff- - Bin der Meinung, dass wir die Grundlagen für d'e weitren Verlauf unsres Sch-sch- - Gesprächs gelegt ha'm [haben].Ich möchte vielleicht mal den Ausgang- - Auskunftspunkt so wählen, dass wir ja – äh – durch- - also, wir ha'm Ihn'n en-en-entgegen – äh – Ver-Vertrauen entgegen jebracht [gebracht]. Si- - Ich, ich schätze ein Sie haben uns ooch [auch] Ihr Vertrau'n entgegengebracht und wir ha'm e'n [ein] recht ordetliches Vertrauensverhältnis in der Frage bis jetz'. Seh'n Sie das auch so? [leise brummelnd, unverständlich]?
[Antragstellerin:] Ja eigentich schon. Wenn ich Vertrauen hab, denn hierzu jetz'. Also das.
[Stasi-Mitarbeiter:] Mhmh. Äh – und zwar, dass wir Ihn'n – wir ha'm die Absicht und den Wunsch, viellei't [vielleicht] für die nächste Zeit – nächsten Jahre. [Antragstellerin seufzt resignierend] Die nächsten Jahre. Was, wie lange das – 'n Stück zusamm'n zu gehen noch.
[Antragstellerin:] Wie?
[Stasi-Mitarbeiter:] 'n Stück zusamm'n zu gehen, das wer' [wird] ich denn noch kla-klarer formulier'n. E'n Stück zusamm'n zu geh'n insbesondre, wenn Sie in der BR- - in, in der BRD sind.
[Antragstellerin:] Mh.
[Stasi-Mitarbeiter:] Dass Sie- - ich schätze das so ein, dass Sie – und das ha'm Sie mir auch glaubhaft dokumentiert, I-Ihr'n Standpunkt. Ihr'n politischen Standpunkt insbesondere, der mich [Sprechpause] oder, wo ich angeregt wurde, mit Ihn'n darüber zu sprechen. Über das Problem. [räuspert] Weil wir, so gesagt, u-uns für bestimmte Dinge int'ressier'n.Und wir fang'n von dem Ablauf im – äh – Aufnahmelager, wie das da langläuft und so weiter und so fort, das in- das i-interessiert uns ja. Ja.
Maximilian Schönherr: Beeindruckend, oder?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Beeindruckend, aber auch typisch. Ein stückweit. Man hat ja diese Frau erst mal mit "Zersetzungsmaßnahmen" destabilisiert, wenn man so will. Sie hat ihre Arbeit verloren, sie ist wahrscheinlich auch sozial isoliert worden, das sind ja typische Merkmale dieser "Zersetzungstechnik". Und jetzt macht man folgendes: Man versucht, nachdem man sie klein gekriegt hat, wenn man so möchte, Vertrauen aufzubauen.Der Gesprächspartner, also der MfS-Mitarbeiter in dem Fall, gibt sich ja so ein bisschen väterlich und unterstützend, um dann aber zu sagen: Du kannst uns vertrauen! Wir vertrauen dir – aber wir möchten was dafür, wenn wir dich gehen lassen. Und das ist dann die Anwerbung als inoffizielle Mitarbeiterin, die dann, wenn sie übergesiedelt ist, für die DDR spionieren soll.Und es wird ins Auge gefasst, dass sie studieren soll. Die Universitäten waren ein beliebtes Ziel des Ministeriums für Staatssicherheit in der Bundesrepublik, weil man dort auch Leute ansprechen konnte, die mal Karriere machten und dann für die DDR weiter tätig waren und wichtige Informationen liefern können. Also passt das sehr ins Schema, dieser Fall. Und es ist natürlich auch sehr tragisch für die Person.
Maximilian Schönherr: Haben wir denn bei dem MfS-Mitarbeiter, den wir gerade gehört haben, jemanden, der an solchen Schulungen vermutlich teilgenommen hatte? Oder hat der zumindest sowas gelesen?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Davon ist auszugehen, dass Leute, die solche Gespräche geführt haben, auch geschult waren. Sie wollten ja Erfolg haben und Erfolg konnte man ja nur haben, wenn man gewisse Techniken und Praktiken anwenden konnte. Und Sie haben ja gesehen, die O-Töne aus den Schulungen, das ist ja relativ breit passiert. Es ist durchaus vorstellbar, dass er vielleicht an so einer Schulung teilgenommen hat. Vielleicht hat er auch an der Hochschule studiert. Oder sich einfach so in diesen Fragen weitergebildet – da gibt es vielfältige Möglichkeiten, aber in den 80er Jahren ist davon auszugehen, dass von dieser Thematik jedenfalls von den etwas höheren Mitarbeitern und Ermittlern keiner von dem Thema unberührt war.
Maximilian Schönherr: Die Juristische Hochschule war ja im Hochschulverzeichnis der DDR nicht aufgeführt. Das heißt die war sozusagen unterm Deckmäntlchen der Geheimhaltung?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Also, das sollte natürlich nicht bekannt sein, dass es die Hochschule des MfS ist. Deswegen heißt sie ja auch mit neutralem Namen Juristische Hochschule. Es ist aber vorstellbar, dass gerade vor Ort die Leute das irgendwann mitgekriegt haben, was das für eine Institution war. Aber es sollte eben nicht – und deswegen auch nicht die Auflistung in dem Verzeichnis – öffentlich sein, dass das Ministerium für Staatssicherheit eine eigene Hochschule betreibt.Aber Sie wissen ja, mit der Geheimhaltung vor Ort ist das immer so eine Sache und die Leute kriegen das ja dann doch irgendwann mit.
Maximilian Schönherr: Als die Stasi-Unterlagen-Archive geöffnet wurden im Rahmen der Friedlichen Revolution, hat man danach Neues gelernt? Also wir haben quasi unheimlich viele Akten, allein die O-Töne sind schon so viel. Aber ist wissenschaftlich was dazu gekommen?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ja wie das genau funktionierte, wusste man natürlich nicht. Dass es sowas gab wie "operative Psychologie" sicherlich. Aber Sie dürfen sich auch nicht vorstellen, dass die westlichen Geheimdienste sehr gut über die Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit in der DDR informiert waren. Die haben sich da zwar versucht Informationen zu sammeln, auch der Verfassungsschutz ist ja in der Bundesrepublik eigentlich für die DDR zuständig gewesen, weil ja die DDR aus dem Blick der Bundesrepublik kein Ausland war. Und da hat man Informationen gesammelt und hatte auch Informationen, aber en détail nicht.Es ist zum Beispiel nie gelungen, weder dem BND noch dem Verfassungsschutz, auf höherer Ebene des Ministeriums für Staatssicherheit einen eigenen Informanten oder Spion zu installieren. Aber man sammelte.Ich weiß es vom Bundesamt für Verfassungsschutz. Die haben, wenn sie Leute hatten, die angesprochen waren und sozusagen als Doppelagenten agierten, haben sie alles zentral in Köln gesammelt, auch aus den einzelnen Bundesländern, und da ergab sich dann ein Bild. Was aber mit Nichten vollständig war.
Maximilian Schönherr: Letzte Frage Frau Münkel: Was machen Sie heute noch?
Prof. Dr. Daniela Münkel: Ich muss eine Rezension schreiben. [lacht] Über die Geschichte des Bundesinnenministeriums und dann muss ich mich noch mit der Geschichte des Bundeslandwirtschaftsministeriums befassen, weil gerade ein neues Buch gekommen ist, wo ich in der Kommission mitgearbeitet habe und den Teil zur DDR-Landwirtschaft geschrieben habe. Da haben wir nächste Woche die Buchvorstellung.
Maximilian Schönherr: Sie sind wieder bei den Bauern angekommen.
Prof. Dr. Daniela Münkel: Bauern lassen einen nie los. Die verfolgen einen sogar in die DDR. [lacht]
Maximilian Schönherr: Wir hören jetzt noch einen O-Ton, den Elke Steinbach aus dem Audio-Archiv des BStU gefischt hat und vielen Dank für's Zuhören – und bis zum nächsten Mal!
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach. Ich kümmere mich mit meinen Kollegen um die Audio-Überlieferung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Wir hören heute einen Ausschnitt aus einem Ton aus Dresden. Das ist ein Protokollmitschnitt des Telefonverkehrs beim Offizier des Hauses der Bezirksverwaltung Dresden vom Mai 1989. Ich finde den relativ atmosphärisch, man merkt wie die Mitarbeiter miteinander umgehen. [lacht] Und wie sie auch mit unererhörten Ereignissen umgehen. Der Ausschnitt ist etwa dreieinhalb Minuten lang.
[Archivton][Im Hintergrund ist immer wieder eine leise, schlecht verständliche Frauenstimme überlagert von den Gesprächen zu vernehmen, die die genaue Uhrzeit angibt.][MfS-Mitarbeiter 1:] Guten Morgen.
[MfS-Mitarbeiter 2:] Moin. Ha'm wa [haben wir] Manfred no' in der Nähe?
[MfS-Mitarbeiter 1:] Ja, der is' aber unterwegs grade. [unverständlich]
[MfS-Mitarbeiter 2:] Frag'n [Frag ihn] mal wenn er kommt: Warum er das Blatt drei der zwanzsch [zwanzig] gibt. Der nimmt bestimmt an, dass de' Feriendienst vom FDGB über Linie zwanzsch läuft, wa?
[MfS-Mitarbeiter 1:] Das is' möglich. [lacht]
[MfS-Mitarbeiter 2:] [lachend] Das is' aba [aber] d'e achtzehn.
[MfS-Mitarbeiter 1:] Werd ihn ma' vorsichtig fragen.
[MfS-Mitarbeiter 2:] [lacht] [vermutlich: Geht los. Tach.]
[leichtes Tonspulen]
[MfS-Mitarbeiter 3:] Hallo, Herr [phonetisch: Liente]?
[MfS-Mitarbeiter 4:] Ja? Guten Morgen, Gerd! [phonetisch: Richter], AKG. Du Gerd, ich bin der Spätdienst heute.
[MfS-Mitarbeiter 3:] Nuhu?
[MfS-Mitarbeiter 4:] Nu!
[MfS-Mitarbeiter 3:] Wieso? Hast du denn mit jemandem getauscht?
[MfS-Mitarbeiter 4:] Nö.
[MfS-Mitarbeiter 3:] Nee?
[MfS-Mitarbeiter 4:] Dis [das] is' hier planmäßig.
[MfS-Mitarbeiter 3:] Die ha'm das [vermutlich: wie gesagt noch] schön gemacht.
[MfS-Mitarbeiter 4:] Nu.
[MfS-Mitarbeiter 3:] Ich sach [sag] den'n bescheid.
[MfS-Mitarbeiter 4:] Jaha.
[MfS-Mitarbeiter 3:] [vermutlich: Okay.]
[MfS-Mitarbeiter 4:] Nu? Mach's gut!
[leichtes Tonspulen]
[MfS-Mitarbeiter 5:] Du, samma [sag mal]: Das Vorkommnis Nummer siemme [sieben]. Is' das Ding mit den [vermutlich: Städtern].
[MfS-Mitarbeiter 6:] Ja?
[MfS-Mitarbeiter 5:] Äh - is' das nachweisbar an dieTU gegangen? An die Objektdienststelle?
[MfS-Mitarbeiter 6:] Joa!
[MfS-Mitarbeiter 5:] [vermutlich: Die Papier]?
[MfS-Mitarbeiter 6:] Joa! Isch weeß [ich weiß] ooch, dass der Stützpunkt die angeschrieben hat.
[MfS-Mitarbeiter 5:] Das is' 'ne andre Frage. Es geht darum, ob unsre Meldung, die Kopie d'e TU gekricht [gekriegt] hat.
[MfS-Mitarbeiter 6:] Is' im Fach der TU 'neigelegt word'n [hineingelegt worden].
[MfS-Mitarbeiter 5:] Ah! Denn der, der Cheffe hat- -
[MfS-Mitarbeiter 6:] Post - is' ooch abgeholt!
[MfS-Mitarbeiter 5:] Der Cheffe hat nämlich erklärt, über- - gegenüber beiden, er hätte es nich' gekricht. Und da will ich mit dann jetz' Krieg spiel'n.
[MfS-Mitarbeiter 6:] Ist im Fach drinne gewesen, mit einem Fernschreiben und gloob [glaube] – isch gloob, die haben sogar 's Originalfernschreiben.
[MfS-Mitarbeiter 5:] Ja, geht- -
[MfS-Mitarbeiter 6:] DVP hat ooch geschickt.
[MfS-Mitarbeiter 5:] Geht klaa [klar], bis nachher.
[MfS-Mitarbeiter 6:] [vermutlich: Und wer] übernommen hat, das ha'm die ooch drinne, is' aber raus!
[MfS-Mitarbeiter 5:] Gut, danke.
[MfS-Mitarbeiter 6:] Bitte.
[leichtes Tonspulen]
[MfS-Mitarbeiter 7:] Herr [phonetisch:] Ninke?
[MfS-Mitarbeiter 8:] [phonetisch: Jänisch].
[MfS-Mitarbeiter 7:] Was?
[MfS-Mitarbeiter 8:] Ich grüße dich. Hab mal 'ne Bitte! Isch bin grade durch's Tor vorne gegangen. Äh – da sitzt e' [ein] Soldat, in der – äh – Postenhütte.
[MfS-Mitarbeiter 7:] Ja?
[MfS-Mitarbeiter 8:] Und pennt.
[MfS-Mitarbeiter 7:] Aso!?
[MfS-Mitarbeiter 8:] Ja. Ich hab dem Posten gesagt, der noch daneb'n draußen steht, der die Kontrolle macht, Ausweiskontrolle. Hab gesacht: Wenn der, wenn der müde is', soll er sich auswechseln lassen!
[MfS-Mitarbeiter 7:] Joa.
[MfS-Mitarbeiter 8:] Denn bin'sch [bin ich] denn hinten rein, hab den Genossen angegummst. Ich hab gesacht: Pass auf, wenn du müde bist, Genosse, dann lass dich auswechseln! Tun wir dem, dem Postenführer vorne Bescheid sachen, der soll den auswechseln. Das's ja unmöglisch [unmöglich]! Wenn dort die Besucher reinkommen und der Posten schläft!
[MfS-Mitarbeiter 7:] [vermutlich: Jut, machen wa sofort!]
[MfS-Mitarbeiter 8:] Nu? Ich wollte nämlich 'n [unverständlich] anrufen, aber der, der is' dauernd besetzt!
[MfS-Mitarbeiter 7:] Mhmh.
[MfS-Mitarbeiter 8:] Hä?
[MfS-Mitarbeiter 7:] Geht klaa, [unverständlich, überlagert]
[MfS-Mitarbeiter 8:] Macht das ma', hä? Gut, danke. Tschüss.
[MfS-Mitarbeiter 7:] Tschüss.
[trötendes, langes Rufzeichen]
[MfS-Mitarbeiter 9:]Wachhabender Feldwebel [phonetisch: Baumann]?
[MfS-Mitarbeiter 7:] OdH [phonetisch: Ninke].
[MfS-Mitarbeiter 9:] Schön'n guten Morgen!
[MfS-Mitarbeiter 7:] Guten Morgen! Äh – ich hab mitjekricht [mitgekriegt], bei dir schläft de' Posten oder hat geschlafen!?
[MfS-Mitarbeiter 9:] Oi!?
[MfS-Mitarbeiter 7:] Vorne im, im Postenhaus.
[MfS-Mitarbeiter 9:] Postentor? Isch- -
[MfS-Mitarbeiter 7:] Na hier vorne beim Eingangsposten.
[MfS-Mitarbeiter 9:] Beim Eingangsposten schläft der Posten?
[MfS-Mitarbeiter 7:] In der Hütte! E'ner macht ja Ausweiskontrolle! Und e'ner sitzt in der Hütte drinne!
[MfS-Mitarbeiter 9:] Na, na!
[MfS-Mitarbeiter 7:] Im Glashaus. Der muss munter gemacht werden, klär das ma'!
[MfS-Mitarbeiter 9:] Ja. Den wird'sch [werde ich] erstma' anne [an die] frische Luft stell'n!
[MfS-Mitarbeiter 7:] Nu, dass der ausgewechselt wird!
[MfS-Mitarbeiter 9:] Ja.
[MfS-Mitarbeiter 7:] Na, wenn der müde is'.
[MfS-Mitarbeiter 9:] Das kann [unverständlich] sein, stimmt. Schön'n dank!
[MfS-Mitarbeiter 7:] Ja, bitte.
[MfS-Mitarbeiter 9:] Nu klaa.
[Jingle]Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten –
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."