[Jingle]
Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ... ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Willkommen zur 58 Folge. Ich bin Dagmar Hovestädt und leite die Abteilung Kommunikation und Wissen im Stasi-Unterlagen-Archiv im Bundesarchiv. Mein Co-Host dieses Podcasts ist der Rundfunkjournalist Maximilian Schönherr.
Maximilian Schönherr: Ich kenne das Archiv und vor allem den Audio-Bereich seit dem Jahr 2007. Da habe ich begonnen, Anträge auf Zugang zu Stasi-Unterlagen, also spezifisch für Originaltöne zu stellen. Manchmal war das mit einem großen Aufwand verbunden. Es war weniger der Aufwand, etwas zu einem bestimmten Stasi-Thema überhaupt zu finden, als vielmehr der Aufwand aus vielen, vielen Stunden Audio das heraus zu destillieren, was fürs Archiv Radio im SWR oder für ein Hörfunk Feature im WDR tragfähig war. Mein aktueller Rechercheantrag übrigens, also der von 2022, um den es hier nicht geht, war viel einfacher, weil das Material mit einigen Stunden recht überschaubar ist. Ich kann es über einen temporären Downloadlink auf meinem Büro PC in Köln anhören. Außerdem ist der Workflow inzwischen eingespielter als in den Jahren nach 2007. Bei komplexen O-Tönen mit zig Stunden kam ich damals eigens nach Berlin und hörte typischerweise zwei, drei Tage zusammen mit zwei Archivarinnen, die den Antrag bearbeitet hatten, Original-Töne ab. Das waren zum Beispiel Polizeisprechfunk Mitschnitte während der Montagsdemonstrationen 1989 in Leipzig, damals frisch digitalisiert, Stasi-Mitarbeiter, die in Wohnungen einbrachen, Wanzen in den Wänden oder in Telefonen installierten und Übertragungstests durchführten und sich dabei selber mitschnitten, Strafprozesse, die das Ministerium für Staatssicherheit auf Band aufnehmen ließ und viele Tonband-Kassetten, meist beschriftet auf den IMs, also Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi, ihr Gedächtnisprotokoll des vergangenen Tages aufsprachen. Im Fall meiner Recherche ging es da um die Medizin, also Spitzel in Kliniken der DDR.
Dagmar Hovestädt: Das ist eine ziemlich beeindruckende Hörgeschichte aus dem Archiv, das muss man sagen. Du sprichst von Tonbändern und Kassetten, aber ich denke mal, dass ihr vielleicht, wenn überhaupt nur kurz am Anfang noch dabei vor Tonband- und Kassettengeräten gesessen habt. Denn wir haben ja spätestens 2009 begonnen, die Tonträger im großem Umfang zu digitalisieren und dann war auch das Abhören dieser Töne schon am PC möglich.
Maximilian Schönherr: Also ich erinnere mich nur ans Abhören am PC. Ich habe mir, um das für die Webseiten des Archivradios zu dokumentieren, zwar auch die Bänder oder Kassetten kommen lassen, aber dann nur um sie zu fotografieren. Ich durfte sie nicht mal aus den Hüllen rausnehmen, weil es einfach Archivgut ist. Aber abgehört haben wir immer digital auf einer sogenannten Audio Workstation, auf der eine Tonbearbeitungssoftware lief. Und da konnte man eben mal vor und zurückspulen und sich das dann noch mal anhören. Und so weiter.
Dagmar Hovestädt: Wobei man vielleicht noch ergänzen sollte, dass der Begriff Tonbearbeitungssoftware vielleicht zu ganz falschen Assoziationen führt. Denn der Ansatz bei diesem Großprojekt der Digitalisierung ist es ja, die Töne zu bewahren. Also die analogen Tonträger zersetzen sich und damit verschwindet die Information und so muss sie auf ein neues digitales Speichersystem übertragen werden. Und in diesem Prozess sollen die Töne so exakt wie sie im Original sind, bewahrt bleiben, also im Archivwesen werden die dann gewonnenen Digitalisate gerade nicht bearbeitet, also zum Beispiel gekürzt oder so Störgeräusche bereinigt. Es bleibt alles exakt so, wie es auf dem analogen Band war, nur eben übertragen ins digitale und abgespeichert auf einer Festplatte.
Maximilian Schönherr: Die Software dient dem Abspielen der O-Töne, aber auch dem Eintrag von Metadaten, also Texten, Stichwörtern und Jahreszahlen. Das kann auch schon mal geschehen, während wir abhören. Da hat die Archivarin Elke Steinbach die Gelegenheit genutzt und die Erschließung der Bänder weiter präzisiert. Ich habe da noch Wikipedia Einträge dazu geschrieben, die dann wieder zurück referenziert werden konnten, das heißt auch in den Metadaten auftauchen. Es gibt einen Wikipedia Artikel über den oder die. Ich erinnere mich auch noch daran, als der Name Clemens Laby in einem Prozess-Mitschnitt der 1950er Jahre vorkam. Da hat dann Frau Steinbach im Audio Take eine virtuelle Markierung gesetzt und Laby dazu geschrieben. Wir wussten damals den Vornamen noch gar nicht erst später. Der Originalton selbst wird durch die Metadaten in keiner Weise verändert.
Dagmar Hovestädt: Metadaten sind ja eigentlich nicht wirklich nur die Domäne der Archivarin und Archivare, sondern in der digitalen Welt sind sie einem jedem vertraut, der schon mal vor einem Computer gesessen hat, also zum Beispiel die Endung jpeg oder .jpg. Da kann man ja relativ schnell das Erschaffungsdatum sehen, wann eine Datei verändert wurde, wer sie erstellt hat. Das kennt man wirklich aus dem eigenen Computeralltag. Wenn man so einen Folder aufmacht, sieht man das ja in der Regel rechts und der Rechtsklick auf so eine Datei gibt schnell grundlegende Metadaten frei. Im Archiv gab es auch schon zu analogen Zeiten diese Metadaten, weil genau das ja die Arbeit des Archivars ist, zu benennen, wann ein Dokument entstanden ist, wo und von wem. Und früher wurden zusätzliche Informationen beispielsweise auf Karteikarten notiert, die dann bei der Recherche in einem Bestand für Nutzende hilfreiche Informationen lieferten. Oder sie sind bis heute in sogenannten Findbüchern verzeichnet. Wenn man in analogen Zeiten mehr Informationen über Ton- und Bildträger bewahren wollte, als Platz auf diesem kleinen Etikett eines Tonbandes oder einer Videokassette war, da war die Karteikarte das wichtigste Hilfsmittel, um die Informationen rund um eine Aufnahme zu dokumentieren.
Maximilian Schönherr: Ist beim MfS, also dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR, allerdings in der Regel nicht passiert. Das heißt, oft weiß man nicht, wer da spricht, auch nicht wo und wann und warum. Das erschließt sich vielleicht und in Teilen beim Hören, ein Puzzle.
Dagmar Hovestädt: Es ist eben auch eine Erinnerung daran, dass das von der Stasi hinterlassene Archiv in dem Sinne kein lupenreines Archiv ist. Es war die Dokumentation einer aktiven Geheimpolizei, in weiten Teilen mehr eine Registratur und viele der Tonträger waren im Einsatz und wurden nicht als Archivalien gesehen. Oft wurden sie mehrfach genutzt und waren nur kurz im Zusammenhang mit einer Stasi-Aktivität oder wie die Stasi das nannte Operation im Einsatz. Das ist auch bei diesen vielen unkontextualisierten Fotos der Fall, die wir im Archiv haben. Die Stasi hat offenkundig nicht alle Unterlagen, die sie hinterlassen hat, wie ein Archivar behandelt, also alle Fotos oder alle Töne bis ins Letzte dokumentiert, um eine Zuordnung zu ermöglichen. Dennoch gibt es auch etliche Hinweise zu Fotos und Tönen im Archiv. Es ist also nicht nur ein Puzzle oder ein Kombinationsspiel, sondern bisweilen haben wir durchaus auch hilfreiche Dokumentationen.
Maximilian Schönherr: Jedenfalls habe ich bei meinen Aufenthalten im Ton-Archiv in Lichtenberg auch Dirk Ullrich kennengelernt, der mit Messgeräten, Lötkolben und Schraubendrehern, Tonbandmaschinen und Videorecorder reparierte. Seine Werkstatt umfasst eine stattliche Zahl an Bild- und Tonapparaten und Ersatzteilen, manche in doppelter und dreifacher Ausführung. Und wenn ich das mal so sagen darf: Mich ziehen diese Maschinen aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts fast magisch an, also bat ich Dirk Ullrich um Audienz, um einen Rundgang.
Dagmar Hovestädt: Dirk Ullrich gehört zu den unverzichtbaren Menschen im Archiv, obwohl er kein Archivar, sondern Rundfunk- und Fernsehtechniker ist. Seine Kernaufgabe besteht darin, all die vielen vorgefundenen Ton- oder Videoaufnahmen abzuspielen und sie dabei zu digitalisieren, also von einem analogen Speichermedium auf ein digitales zu übertragen, damit sie auch in Zukunft abgehört werden können. Und abspielen hört sich eigentlich leichter an als gedacht, denn die Töne kommen in einer wirklich abgefahrenen Vielzahl daher. Es ist quasi lebendige Mediengeschichte. Es gibt Töne auf Drähten oder mehr oder weniger breiten Bändern, auf Kassetten mit unbekannter Aufnahmegeschwindigkeit auf Videobändern in längst untergegangenen Formaten und so weiter.
Maximilian Schönherr: So ist es. Denn was soll man tun, wenn in einem Stasi-Schrank Kassetten zu finden sind, die in kein klassischen Kassettenrecorder reinpassen? Sind zu schmal oder zu dick oder haben einen Wickelkern zu wenig. Es gibt also wirklich Bänder mit nur einem Wickelkern, wo wir eigentlich von der Philips Kassette, das ist ein Philips Patent, zwei Wickelkerne gewohnt sind. Dirk Ullrich hat ein Netzwerk von Kolleginnen und Kollegen aus seiner Laufbahn als Tontechniker. Und er nutzt darüber hinaus alle möglichen Einkaufskanäle um ein Gerät aufzutreiben, das eben diesen Kassetten-Typ abspielen kann. Dazu muss er das oft defekt angelieferte Gerät dann erst mal in Gang setzen, eventuell dafür Ersatzteile beschaffen oder Audioausgänge zum digitalisieren einlöten.
Dagmar Hovestädt: Heute also mal ein echt spannender Einblick in die Audio-Werkstatt des Stasi-Unterlagen-Archivs. Und weil ich spannend gesagt habe, oute ich mich damit auch als Technik-Geek.
[Jingle]
Dirk Ullrich: Herzlich Willkommen, Herr Schönherr. Wir befinden uns hier im Bundesarchiv, ehemals BStU, im Tonstudio, in einem der Tonstudios, die wir haben, in der Magdalenenstraße. Mein Name ist Dirk Ullrich. Ich bin Radio- und Fernsehtechniker seit 1984 und arbeite hier seit 2008 und betreue bzw. repariere und digitalisiere im Bereich Ton und Video.
Maximilian Schönherr: Und wenn wir hier zum Fenster rausgucken, was sehen wir da für ein komisches Gebäude mit so einem komischen Eingang?
Dirk Ullrich: [lacht] Ja, wir haben einen wunderbaren Blick auf das ehemalige Hauptgebäude mit dem Mielke-Zimmer, also sprich auf dem Stasi-Gelände.
Maximilian Schönherr: Sie haben einen Arbeitsstuhl mit dem Sie hin und her rollen und zwar von rechts, da wird digitalisiert gerade und links, das ist das Tonband. AEG steht drauf, keine DDR-Marke.
Dirk Ullrich: Nein, das ist Studiotechnik und die Geräte heißen AEG M20 und sind Studiobandmaschinen und die haben wir seit 2008/ 2009. Im Zuge der Digitalisierungsoffensive konnten wir die Geräte damals anschaffen. Die standen bis dato in den Sendeanstalten des Rundfunks. Als dort digitalisiert wurde und kein Platz mehr war für analoge Geräte, konnten wir diese quasi modifiziert erwerben. Modifiziert, weil wir andere Geschwindigkeiten nicht nur die üblichen Studiobandgeschwindigkeiten brauchten, sondern auch 4,7 und 2,4 als Geschwindigkeit und dadurch mussten die modifiziert werden.
Maximilian Schönherr: Das sieht gerade, weil sich die Bänder, die Spulen so langsam bewegen, nach 2,4 aus.
Dirk Ullrich: Das täuscht. Das ist 4,7. [lacht]
Maximilian Schönherr: 4,7. Und was ist da drauf? Es ist geheim? Wir dürfen da nicht reinhören? Oder doch?
Dirk Ullrich: Also wir könnten kurz mal einschalten.
Maximilian Schönherr: Ja.
[Ausschnitt aus dem Tonband]
[männlicher Sprecher:] -unter meinen Augen. Zweimal rannte ich zum Jugendamt für meine Freundin, einmal wollte ich der kranken Mutter an die Gurgel. Ich bin 18, im Sozialismus aufgewachsen, habe keinen Krieg erlebt.
[Ende des Ausschnitts]
Maximilian Schönherr: Okay, was steht auf der Spule drauf?
Dirk Ullrich: Ja, da sind ZAIG Tonbänder, wo eben halt mitgeschnitten wurde, ja, Rundfunksendungen aus dem Westen quasi.
Maximilian Schönherr: Das war eine Westsendung, die wir gerade gehört haben?
Dirk Ullrich: Das war eine Westsendung. Genau.
Maximilian Schönherr: Also das ist jetzt ein leichter Fall, weil es ist ein Tonband, das hat seine Standard Geschwindigkeit, die ist schnell rauszufinden. Also Sie merken es an der "Micky Maus Stimme", wenn es zu schnell läuft. Aber das ist nicht der Normalfall, oder? Wir haben hier einen Kassettenrekorder zum Beispiel mit Plus und Minus Geschwindigkeit, ist drauf geschrieben. Kann man da die Geschwindigkeit frei regeln?
Dirk Ullrich: Ja, das ist so ein Spezialgerät Typ Geracord aus der DDR-Zeit oder wurde in der DDR hergestellt und war ein Tape Deck für eine HiFi Anlage und das MfS hat scheinbar die Aufnahmesteuerung verändert, sodass mit der Aufnahmesteuerung eine Geschwindigkeitsregelung des Motors geändert werden konnte, sodass die Dauer der Audio-Kassette verlängert werden konnte.
Maximilian Schönherr: Um aufzunehmen?
Dirk Ullrich: Um aufzunehmen.
Maximilian Schönherr: Nicht zur Wiedergabe.
Dirk Ullrich: Nein, um aufzunehmen. Genau.
Maximilian Schönherr: Und dann schrieben die auf die Kassetten nicht drauf, haben super langsam aufgenommen, damit ich es auch richtig abhören kann. Man braucht ja dann wieder so ein Gerät um es abzuhören.
Dirk Ullrich: Also die Beschriftung und das, was überliefert wurde, ist eher, ja, ich sage mal, rar. Hier ist wirklich technischer Detektiv Sinn gefragt. Man muss dann halt improvisieren und schauen, welche Geschwindigkeit wurde da verwandt.
Maximilian Schönherr: Wir haben hier schon exotische Dinge, wie zum Beispiel dieses Grundig EN3. Ich habe keine Ahnung, was das soll, aber es passen drei Batterien rein.
Dirk Ullrich: Das ist eine frühe Form der Diktiergeräte und das MfS hat natürlich gewusst, dass die Westtechnik, ich sag mal, stabiler läuft, qualitativ hochwertiger ist und hat sich halt gerade auf dem westeuropäischen Markt sehr stark bedient, unter anderem hier mit dem Grundig Diktiergerät. Und darauf konnte man quasi aufnehmen und wiedergeben und dann die Sachen verschriftlichen.
Maximilian Schönherr: Warum ist es geöffnet?
Dirk Ullrich: Dieses Gerät stammt aus den Fünfzigerjahren, ich sage mal vielleicht 1955 bis 1960. Und wie es damals so üblich war, war natürlich nicht einfach ein Audioausgang dafür vorgesehen, weil es ein reines Diktiergerät war. Und wir brauchen natürlich eine Möglichkeit um die Audiosignale-
Maximilian Schönherr: Auszuführen.
Dirk Ullrich: -ins Mischpult zu führen. Da kommt dann der Radio- und Fernsehtechniker ins Spiel.
Maximilian Schönherr: Eben Sie.
Dirk Ullrich: Genau, in dem Falle und wir suchen dann messtechnisch nach dem richtigen Audiosignal auf der Leiterplatte. Und dann wurde eben halt der Audioausgang improvisiert, sodass wir das Signal im Mischpult verarbeiten können.
Maximilian Schönherr: Also es geht erst mal mit dem roten und dem schwarzen Kabel in ein Voltmeter.
Dirk Ullrich: Das ist ein Labornetzgerät, das ist so die Standardausstattung für jeden Radio- und Fernsehtechniker. Damit kann man verhindern, dass man immer Batterien en masse verbraucht. Es ist einfach ein Spannungsteil.
Maximilian Schönherr: Es ist exotisch für mich, weil ich kenne Diktiergerät später erst und da ist eine Kassette dann drin. So eine, vielleicht hießen die Mikrokassetten, weiß ich jetzt nicht, aber hier sieht man andeutungsweise Spulen.
Dirk Ullrich: Genau. Also das ist, wenn Sie so wollen, der Vorläufer von der Audiokassette. Die wird dann hier so raufgelegt und wenn sich dann das Band da befindet und so weiter, dann kann man da was hören, da ist der Tonkopf, da ist die Anruckrolle, die die ganze Sache bewegt.
Maximilian Schönherr: Aber im Moment ist kein Band drin?
Dirk Ullrich: Da ist kein Band drin. Das ist ein reiner Dummy.
Maximilian Schönherr: Haben Sie ein Band?
Dirk Ullrich: Nein, leider nicht. Das wären dann jetzt die Geräusche, wie gesagt, uraltes Gerät. Im Archiv gibt es mit Sicherheit Kassetten mit Signatur, wo eben halt Material vorhanden ist.
Maximilian Schönherr: Aber Sie haben sich das Gerät besorgt, weil Sie was abhören wollten, weil Sie so ein Band bekamen, oder? Oder warum haben Sie das?
Dirk Ullrich: Also es gibt im Bestand Kassetten mit diesem EN3 Format und deswegen braucht man auch eine Abspielmöglichkeit, richtig.
Maximilian Schönherr: Was steht denn neben unserem Netzteil? Links daneben: "Memo Cord Secretary W 2100"
Dirk Ullrich: Genau, das ist denn der Nachfolger der Diktiergeräte.
Maximilian Schönherr: Riesengroß.
Dirk Ullrich: Ja, relativ groß, kompakt und dann kam das Gerät vorne. Das entspricht schon eher der Audiokassette, das Gerät. Das Tape kam dann hier vorne rein und wurde abgespielt.
Maximilian Schönherr: Und das Tape? Wie sieht das Tape aus.
Dirk Ullrich: Das haben wir auf der anderen Seite.
Maximilian Schönherr: Okay.
Dirk Ullrich: Da gehe ich mal zu unserem Rollwagen, da haben wir jede Menge Audiomaterial. Hier sehen Sie auch die verschiedenen Diktierkassetten im Laufe der, ich sag mal, Jahre und Jahrzehnte. Und ein Memo Cord wäre da, da haben wir sogar noch die Verpackung-
Maximilian Schönherr: Okay.
Dirk Ullrich: -ja und so sieht ein Memo Cord aus.
Maximilian Schönherr: Ich beschreibe es mal. Es sieht ungefähr aus wie eine klassische Kompaktkassette, ist ein bisschen dünner und ein bisschen kleiner vielleicht. Ein Exot, schätze ich, das war wahrscheinlich nur ein paar Jahre in Betrieb.
Dirk Ullrich: Richtig.
Maximilian Schönherr: Und sauteuer?
Dirk Ullrich: Ja, natürlich. Wie Bürotechnik seinerzeit natürlich mit einem anständigen Preis versehen war und war ein paar Jahre auf dem Markt und auch das wurde eben eingesetzt.
Maximilian Schönherr: Westproduktion?
Dirk Ullrich: Ja, natürlich, weil es besser lief.
Maximilian Schönherr: Also Frau Steinbach, die wir von den O-Tönen am Schluss des Podcasts kennen, steht hier und guckt uns zu bei diesen spannenden Sachen. Worum geht es da bei dem Gerät?
Elke Steinbach: Na, bei dem Memo Cord handelt sich um ein Diktiergerät und es war eine gemeinsame Entwicklung zwischen Österreich und der Bundesrepublik. Meiner Ansicht nach in den 50er und 60er Jahren und die Bänder laufen mit 3,5 Zentimeter pro Sekunde.
Maximilian Schönherr: Exotische Geschwindigkeit?
Elke Steinbach: Na, die Kassetten laufen sonst ja mit 2,4, die Bänder mit 4,75. Also ist es schon eine Geschwindigkeit, die exotisch ist in dem Fall.
Dirk Ullrich: Wir haben auch die Audiokassetten, die es natürlich auch schon von ORWO in der DDR gab und die wurden natürlich auch eingesetzt.
Maximilian Schönherr: Und das ist ein klassisches Tonband. Dann müsste man wissen, mit welcher Geschwindigkeit es aufgenommen wurde, um es dann mit der richtigen zu digitalisieren?
Dirk Ullrich: Vollkommen richtig.
Maximilian Schönherr: Und wenn wir es öffnen, sehen wir Lenin?
Dirk Ullrich: Ja, in dem Fall rein zufällig. Also ja, manchmal waren die Bänder beschriftet wie hier, sodass jemand der der russischen Sprache mächtig ist, das lesen kann. Mein Russisch reicht dafür leider nicht.
Maximilian Schönherr: Für gar nichts? Ich kann ja gar nichts lesen hier. Können Sie ein bisschen was lesen?
Dirk Ullrich: Nee, nicht wirklich. Da bin ich in Englisch besser aufgestellt. Ja, aber wie gesagt, das könnte man dann verwenden.
Maximilian Schönherr: Ja, würde ich gerne mitnehmen.
Dirk Ullrich: Nee.
Maximilian Schönherr: Ich weiß schon.
Dirk Ullrich: Das geht leider nicht.
Maximilian Schönherr: Was ist das für ein Gerät? Lassen Sie uns das mal gerade beschreiben, weil es schon wirklich ein außergewöhnlich schönes Gerät ist.
Dirk Ullrich: Das ist ein Drahttonbandgerät. Darüber haben Sie mit Herrn Vreisleben in der September Sendung gesprochen. Und ja, das wurde halt nicht nur für Spionagezwecke überall eingesetzt von allen Geheimdiensten der Welt, sondern eben auch in der Militärtechnik. Es hat einfach den Vorteil, die Information wird auf Draht aufgenommen. Ich schaue hier gerade mal.
Maximilian Schönherr: Ich sehe ihn nicht. Ach, da liegt er.
Dirk Ullrich: Ich schon. Der ist so dünn wie ein super dünnes Haar.
Maximilian Schönherr: Ja. Wie kann man das einfädeln überhaupt? Das ist schon schwierig oder?
Dirk Ullrich: Das ist auf dieser Spule mit drauf. Ich sage mal, es funktioniert genau wie ein Magnetband über die elektromagnetische Induktion, sodass dieser Draht magnetisiert wird. Und der Vorteil ist, der ist natürlich deutlich hitzebeständiger und anspruchsloser gegenüber mechanischer Verformung.
Maximilian Schönherr: Und hat kein Säurefraß.
Dirk Ullrich: Das kommt noch hinzu als dritte Komponente.
Maximilian Schönherr: Da haben wir vorne Tasten, nämlich stop, rewind, play, back und record. Aber die Bedienungsanleitung im Deckel ist deutsch. Zehn Einfache Tipps für die richtige Handhabung von Miniphon P-55. Was gibt es in diesem Raum noch bevor wir dann ins Eigentliche, zu den Regalen kommen? Was gibt es hier noch Spannendes? Ja, hier, das sind Microfiche, also Filme.
Dirk Ullrich: Ja, das sind ja Schaltunterlagen, service manuals, in dem Falle vom Grundig Video 2000 System.
Maximilian Schönherr: Haben wir eins hier stehen?
Dirk Ullrich: In dem Raum- Doch, doch, da oben steht eins.
Maximilian Schönherr: Also, es ist ein Videoformat, was sich nicht langfristig gegen VHS durchgesetzt hat?
Dirk Ullrich: Richtig. Also es gab drei Videosysteme auf dem Markt VCR, da haben wir drüben in der Werkstatt eins vorbereitet, das können wir mal anschalten. Das kam 1970, als Konsumergerät auf dem westeuropäischen Markt, hergestellt von Grundig und Philips. Der Nachfolger war dann Video 2000 auch in dem Falle ein Grundig-Gerät, auch wieder eine Kooperation zwischen Grundig und Philips, die die Geräte vertrieben und danach kam die VHS Serie bzw. das VHS Format auf dem Markt, was sich eigentlich bis vor ein paar Jahren immer noch in den Haushalten fand.
Maximilian Schönherr: Und das ist die Bedienungsanleitung. Wir müssen mal beschreiben, wie die aussieht.
Dirk Ullrich: Nein, nicht Bedienungsanleitung. Das "service manual", also jeder Reparaturtechniker braucht halt um sich in die Geräte rein zu arbeiten-
Maximilian Schönherr: Der braucht keine Information, wo der Play-Knopf ist, sondern was innen drin passiert.
Dirk Ullrich: Genau. Also wir brauchen die Information: Wie ist die Blockschaltung? Wie hat der Entwickler sich das gedacht? Wie ist die elektronische Schaltung? Wo haben wir unsere Messpunkte? Wo können wir messen? Welche Spannungen kommen aus dem Netzteil raus und wie funktioniert das? Gab es technische Änderungen im Laufe der Entwicklung der Geräte, was bei jedem Hersteller immer wieder auftrat? Und hier haben wir den Sonderfall. Aufgrund meiner langjährigen Berufserfahrung, die ich habe und immer Kontakt und ein gutes Netzwerk zu Kollegen, ist es mir gelungen, diese Mikrofiche von diesem Grundig-Gerät zu sichern.
Maximilian Schönherr: Sind die von Grundig?
Dirk Ullrich: Die sind von Grundig, ja. Die sind von Grundig und-
Maximilian Schönherr: Das war also Standard, dass man den Technikern solche Mikrofiche-Blätter in die Hand drückte und nicht in ein Heft reingedruckt hat?
Dirk Ullrich: Die Servicetechniker haben es natürlich in Papierform bekommen. Das ist dann immer so ein dickes Handbuch pro Gerät, hab ich drüben zu liegen, können wir uns dann anschauen. Und das ist quasi im Lagerbereich, so war es bei Grundig, bei uns angesiedelt. Da wird das abgelegt, gespeichert und wenn Bedarf ist nach all den Jahren, so wie jetzt: Wir gucken auf das Datum, da steht eben halt: von 12/1979 bis 1981. Das sind die Kundendienstinformationen und wir überlegen mal: Das ist schon ewig her. Und wenn denn Bedarf bestand, hätte man es wieder in Papierform ausdrucken können.
Maximilian Schönherr: Aber weil wir im Audio-Bereich sind: Haben Sie kein Lesegerät, um diese winzigen Mikrofiche-Bilder groß zu sehen?
Dirk Ullrich: Hier in den Bereichen nicht, aber im Archivbereich haben wir das natürlich. Bei Bedarf könnte man es dann eben ausdrucken.
Maximilian Schönherr: Gut. Was ist das da? Bestimmt so 20 Kilo gefühlt. Ist das auch Video?
Dirk Ullrich: Das ist Video. Das sind Spezialformate, sodass wir sagen: Ja, das ist in dem Falle von Sony. Das sind diese MAZen, diese sogenannten U-matic.
Maximilian Schönherr: Das ist U-matic?
Dirk Ullrich: Das ist U-matic, ja, da steht auch U-matic drauf.
Maximilian Schönherr: Und da unten haben wir eine Tüte mit Bändern. Das ist klar. Und jetzt können wir, glaube ich, rübergehen, oder?
Dirk Ullrich: Die Schallplatten könnten wir vielleicht erwähnen. Das ist vielleicht eine Besonderheit. Das MfS hatte zur Eigendarstellung natürlich immer eigene Schallplatten. Das sind so Kuriositäten. Am "Tag der offenen Tür", wenn man dann mal so eine Platte auflegt: Jeder der DDR-sozialisiert ist, der wird das eine oder andere davon kennen. Also, in dem Falle steht hier drauf: "Waffenfarbe Rot - dem Feind keine Chance." Das ist ein Druck direkt für das Wachregiment Berlin.
Maximilian Schönherr: Und man sieht einen Soldaten mit einem Gewehr vorne drauf.
Dirk Ullrich: Vorne. Und hinten natürlich mehrere in vielfältiger Form.
Maximilian Schönherr: Und die andere LP, die Sie hier haben: "Überlegungen zu Feliks D.", Porträtskizze von Claus Hammel, gesprochen von Hans-Peter Minetti, im Litera Schallplatten Verlag herausgekommen.
Dirk Ullrich: Ja, das sind dann so Sachen, die sich natürlich im Archiv dann auch anfinden, wo man sagt: Ja, auch so etwas gab es eben. Also nicht nur Bandmaterial oder Kassetten, sondern eben auch Schallplatten.
Elke Steinbach: Man kann sagen, Schallplatten dienten der Traditionspflege. Und die "Überlegungen zu Feliks D." bezogen sich auf Feliks Edmundowitsch Dzierżyński, den Gründer des sowjetischen Geheimdienstes, der "Tscheka". Das MfS verstand sich ja sozusagen auch als eine Abteilung des KGB und damit sind auch diese Platten im Bestand zu erklären.
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Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
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Maximilian Schönherr: Wir schreiten jetzt einen ganz kurzen Weg, nämlich nach direkt gegenüber.
Dirk Ullrich: Wir stehen hier auf dem Flur vor der Werkstatt und auf der linken Seite sehen wir einen AEG M20. Da ist das Mainboard defekt, Ersatzteil ist bestellt. Auch das passiert mal bei den Studio-Bandgeräten, dass die einen Defekt haben. Aber wir sind zum Glück gut ausgestattet, haben immer Reservegeräte, können dann nahtlos ein anderes Gerät anschließen und der Kollege, die Kollegin kann dann weiter digitalisieren.
Maximilian Schönherr: Okay. Das ist im Prinzip das Gerät, wenn das andere, das gerade digitalisiert, jetzt ausfallen würde, dann würden wir das hier nehmen, wenn es repariert wäre?
Dirk Ullrich: Wenn es repariert ist, genau.
Maximilian Schönherr: Wie haben Sie den Fehler gefunden? Typische Messtechnik? Also, da unten im Schaltplan?.
Dirk Ullrich: Also, ich sage mal: Schaltplan ausdrucken. Früher war Standard: Man hatte die Schaltpläne natürlich alle in Form von Büchern vorliegen. Heute ist ja vieles auf CD-ROM oder als Datei. Das heißt, man geht den Umweg. Man arbeitet entweder am Monitor und sucht dann innerhalb der Schaltung den Fehler. Das ist so ein bisschen, ich sage mal, Routine, Standard, dass man sagt: Okay, man misst die Betriebsspannung, man guckt, ob die Form der Signale stimmt: Eingangs-, Ausgangssignale. Klingt manchmal profan, ist aber manchmal sehr, sehr zeitaufwendig. Da muss man sich einfach die Zeit nehmen und dann kommt man in die richtige Richtung.
Maximilian Schönherr: Und ist das andere Gerät kleiner?
Dirk Ullrich: Das ist kleiner. Das ist eine Revox-Maschine. Das ist so ein semiprofessionelles Tonbandgerät. Auch gut, sage ich mal. Wurde bis Anfang der 90er-Jahre hergestellt und davon haben wir auch einige Geräte, wie Sie hier sehen, mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Je nachdem, wie Sie vorhin schon andeuteten, in welcher Form es aufgenommen wurde und mit welcher Spurlage, kann man da umschalten.
Maximilian Schönherr: Die sind brutal schwer, diese Geräte.
Dirk Ullrich: Ja, da ist noch richtig Material drin. Nichts mit viel Plastik, sondern noch Vollguss. Chassi, so haben wir es früher genannt und, ja, die sind in Ordnung.
Maximilian Schönherr: AT3 - Lagertechnik. Wir schreiten hinein.
Dirk Ullrich: Ja, gerne.
Maximilian Schönherr: Durfte ich das sagen?
Dirk Ullrich: Ach, ich denke schon. [lacht]
Maximilian Schönherr: Sagt keinem was, nicht? Da haben wir hier noch mal eine Revox, ne?
Dirk Ullrich: Ja, genau. Das sind jetzt halt Maschinen, wo man dann teilweise auch mal ein Modul tauschen kann. Die Problematik bei den alten Geräten ist natürlich immer: Wo bekomme ich die Ersatzteile her, wenn so ein Gerät kaputtgeht? Fehlersuche ist das eine, die Ersatzteile sind das andere. Dann muss man eben manchmal auch aus zwei oder drei Geräten ein Gerät machen, was perfekt läuft. Deswegen haben wir hier eben auch so viele verschiedene Geräte stehen, weil man nie weiß, welche Teile man braucht man und was man gebrauchen kann.
Maximilian Schönherr: Ist Ebay da eine wichtige Quelle gewesen?
Dirk Ullrich: Ja, auf jeden Fall. Nach wie vor. Ich sage mal, da hat man immer ein Auge drauf bei Ebay, weil über die normalen Ersatzteil-Lieferanten sind viele Sachen nicht mehr lieferbar. Die sind manchmal nur die Infoquelle, dass man weiß: Das Teil gab es mal. Wir haben hier drüben auch einen Katalog, damit Sie mal sehen, wie es 1994 mal gedacht war. Das wäre so ein Ersatzteil-Katalog für Audio- und Videotechnik. Da gibt es auch Bestellnummern und Messbänder und solche Sachen. Das ist natürlich heute alles, ich sage mal, wenn überhaupt über Ebay zu bekommen. Da muss man dann ein bisschen Recherche betreiben.
Maximilian Schönherr: Ich habe mal in den USA Porsche-Restaurateure, zwei Brüder, kennengelernt. Die haben alles über Ebay gekauft, weil die müssen die Originale natürlich verwenden. Man kann nicht eine schöne neue Tür da in den Porsche von 1956 reintun. Und hier am Boden sehen wir acht gleich aussehende Maschinen, auch Bandmaschinen. Auch Redundanz, weil die eine kaputt ist und man dann ein Ersatzteil in die andere hineinschieben muss?
Dirk Ullrich: Teilweise ja, aber bei den Geräten handelt es sich um Geräte aus der Zeit, als analog vorgehört wurde beziehungsweise vertieft erschlossen wurde von den Archivaren und Archiv-Assistenten. Die haben teilweise auch unterschiedliche Geschwindigkeiten. Und jeder Kollege, jede Kollegin hat da ihr Gerät gehabt und konnte darauf die Sachen abspielen und hören.
Maximilian Schönherr: Ich beschreibe mal die Größe des Raumes: Ich würde sagen, zwei Meter auf fünf Meter.
Dirk Ullrich: Ja, das kommt hin.
Maximilian Schönherr: Er ist vollgestellt mit, ich schätze mal so ab, vielleicht 200 Geräten. Oder 100?
Dirk Ullrich: Ja. Also, wir haben bei der VDE-Überprüfung, die ja gemacht wird für die Geräte, ich meine, 250, 300 Geräte sind das schon, gezählt. Auf der einen Seite sind die Geräte, die sofort einsatzfähig sind. Das sind die hier, wenn in irgendwelchen Tonstudios oder, ich sage mal, wenn ein Archivar irgendwas zum Hören braucht, wo wir sofort drauf zugreifen können. Und auf der anderen Seite sind Geräte, die, ich sage mal, teilweise Ersatzteil-Spender sind. Die Problematik sprach ich gerade schon an oder irgendwelche Exoten, die noch zu überprüfen sind.
Maximilian Schönherr: Wozu braucht man diese Videokamera noch? Um Bänder abzuspielen?
Dirk Ullrich: Das ist ein interessantes Thema. Video 8, 8-Millimeter-Camcorder wurden auch beim MfS eingesetzt, sodass wir einen kleinen Bestand davon haben. Aber wir haben da Bänder und demzufolge brauchen wir auch Abspielgeräte. Sony, 8 Millimeter ist ja auch eine Besonderheit. Wenn man so will, ist die Erfindung 8 Millimeter eine Weiterentwicklung der Erfindung von Grundig und Philips. Das heißt also, hier wird kein Synchron-Signal zur Synchronisierung von Bild und Ton aufgezeichnet, sondern man arbeitet hier mit dem ATF, Automatic Track Finding. Das sind vier Frequenzen, die nachgeregelt werden. Und dieses System hat interessanterweise Grundig und Philips erfunden in ihrem Video-2000-Videorecorder. Da heißt es DTF. Gleiches Prinzip: vier Frequenzen, wo nachgeregelt wird. Tolles System.
Maximilian Schönherr: Und warum haben Sie kein Deck wie das da, um Video 8 abzuspielen? Haben Sie wahrscheinlich auch noch irgendwo.
Dirk Ullrich: Ich sage mal, das ist jetzt rein zufällig. Der Camcorder tut es auch.
Maximilian Schönherr: Weil aufnehmen müssen Sie ja nichts mehr damit.
Dirk Ullrich: Aufnehmen sowieso nicht. Und zum Abspielen, also ich sage mal, das ist genormt und das ist einfach. Wenn uns mal eins über den Weg läuft, dann werden wir da sicherlich auch mal zuschlagen, aber im Moment reicht der Camcorder vollkommen aus.
Maximilian Schönherr: Wenn ich jetzt mit einem Tonband ankäme, in einer Plastikhülle drin und ich wüsste nicht, wo ich das abhören könnte: Würden Sie in diesen Raum gehen und hier ins Regal greifen, weil sie eigentlich alle Systeme kennen und sagen: "Ja, nehmen Sie doch das. Damit können wir es abhören."? Rein fiktiv.
Dirk Ullrich: Ich denke schon. Ich sage mal: Dadurch, dass ich im Osten gelernt habe, ich bin Berliner, hab im Ostteil der Stadt gelernt und hab dann nach der Wende bei Grundig in Tegel gearbeitet, hab dort die West-Geräte kennen und reparieren gelernt und denke ich schon, dass derjenige sich hier gut aufgehoben fühlen würde und wir fänden eine Lösung, ja.
Maximilian Schönherr: Aber der Draht da drüben zum Beispiel. Das haben Sie natürlich in Ihrer Ausbildung wahrscheinlich nicht gelernt, sondern erst später kennengelernt?
Dirk Ullrich: [lacht] Ja, das ist reine Militärtechnik. Damit hatte ich nichts zu tun. Das habe ich hier erst kennengelernt.
Maximilian Schönherr: Ist die noch im Einsatz irgendwo?
Dirk Ullrich: Ich meine, die war noch bis vor ein paar Jahren in Flugschreibern von Flugzeugen im Einsatz. Deswegen hatten wir auch immer nach einem Flugschreiber gesucht, wenn dann doch mal ein Flugzeugabsturz war. Ich meine, mittlerweile sind die komplett auf digital umgestellt.
Maximilian Schönherr: Gibt es noch ein Herzstück für Sie?
Dirk Ullrich: Wir können mal schauen. Wir haben hier zum Beispiel den bewussten VCR-Videorecorder, Baujahr 1970. Ich schaue mal, ob ich da sogar noch den Aufkleber finde. Nein, entdecke ich nicht. Aber es ist ungefähr 1970. Hier wäre eine Kassette davon.
Maximilian Schönherr: Ein riesiges Ding!
Dirk Ullrich: Ja. Im Gegensatz zu den VHS-Kassetten ist natürlich der Unterschied: Wir haben hier beide Spulen. Das war das erste Videorecorder-Heimformat, was in Westeuropa auf den Markt kam. Die beiden Spulen sind übereinander, im Gegensatz zu VHS, wo damals die Spulen nebeneinander waren.
Maximilian Schönherr: Deswegen hat es auch nur ein Antriebsritzel hinten, während VHS ja zwei hat?
Dirk Ullrich: Ja. Und die Kassette sieht natürlich, ich sage mal, sehr bauchig, dickwandig aus. Wir schalten jetzt mal ein. Wir gucken mal, ob wir dem Gerät hier auch einen Ton entlocken können. [technisches Surren]
Maximilian Schönherr: Da geht gleich der Monitor mit an!
Dirk Ullrich: Ja, das ist gesteuert. Das ist jetzt gekoppelt. In dem Falle habe ich ein kleines bisschen was vorbereitet und dann schauen wir mal. [Stimmen einer Filmsequenz] Das ist jetzt ein schönes Beispiel dafür, dass man im Archivbereich, wenn man etwas repariert, natürlich hinterher erst Testkassetten einsetzen muss. Das fragen ja auch viele Hörer oder Besucher: "Werden dann gleich die Archivalien eingelegt? Wie verhindert man, dass die beschädigt werden?" Das heißt also, wir haben immer jede Menge Testkassetten nach der Reparatur und während der Reparatur, damit keine Archivalien beschädigt werden.
Maximilian Schönherr: Ist das eine Testkassette?
Dirk Ullrich: Das ist eine Testkassette, genau. Da war in dem Falle ein Western-Film drauf. Also, diese Geräte, die wir hier haben, sind meistens zur Vorsichtung für die Archivare, um entscheiden zu können: digitalisierungswürdig ja/ nein, woher kommt das Material und so weiter. Die Entscheidung muss ja getroffen werden. Und diese Geräte sind dafür da, dass man sich überhaupt mal angucken kann, was auf den Bändern drauf ist.
Maximilian Schönherr: Gut. Kann ich das Geräusch von dem Videorecorder mal aufnehmen, ohne dass wir es über den Monitor-Ton hören?
Dirk Ullrich: Ja, klar. Dann machen wir den mal aus. [technisches Klacken, Surren, erneutes Klacken]
Maximilian Schönherr: Auswurf. Kassettenauswurf.
Dirk Ullrich: Ja. Eben noch richtig mechanisch.
Maximilian Schönherr: Können wir abschließend noch in eines dieser Fächer hier reingreifen? Was ist denn da drin? Das ist ja quasi ein Regal mit lauter kleinen Schublädchen mit Schrauben.
Dirk Ullrich: Nee, nee. Schrauben täuscht. Das ist so der Standard-Klassiker einer jeden Werkstatt. Ich ziehe mal einfach hier auf. Hier wären halt spezielle Adapter, um Geräte anzuschließen, damit man wieder alles so ein bisschen gesammelt hat.
Maximilian Schönherr: Kleine Klinke auf große Klinke, Stereo.
Dirk Ullrich: Ja, diese Sachen eben. Dann haben wir verschiedene Andruckrollen, die werden für das B77
Maximilian Schönherr: Woher wissen Sie das, dass das für das B77 ist?
Dirk Ullrich: Na gut, das ist jetzt meine Erfahrung und so weiter. Das sind so Sachen, die man dann weiß. Dann haben wir hier verschiedene Tonköpfe, die wir schon vorrätig haben.
Maximilian Schönherr: Kann ich mal einen sehen?
Dirk Ullrich: Natürlich.
Maximilian Schönherr: Tonköpfe.
Dirk Ullrich: Ja, gerade auch für die AEG M20. Die hier sind noch originalverpackt.
Maximilian Schönherr: Auch irgendwo ersteigert oder irgendwo geschenkt bekommen?
Dirk Ullrich: Nee, nee. Es gibt natürlich schon noch Studio-Firmen in Deutschland, die diese Bestände, die Restbestände haben, und mit denen stehen wir natürlich in Kontakt.
Maximilian Schönherr: Die es aber nicht mehr neu herstellen?
Dirk Ullrich: Nein, das sind keine neuen. Also, die sind originalverpackt und waren damals neu, aber die werden neu nicht mehr hergestellt.
Maximilian Schönherr: Sieht blitzeblank aus, ist ungefähr so groß wie ein etwas größerer Spielwürfel.
Dirk Ullrich: Ja. Genauso ist es. Und es ist eben original.
Maximilian Schönherr: Und Sie wüssten natürlich, wo man das anschließt und wie man es einschraubt?
Dirk Ullrich: Ja, genauso ist es. Dann wird der Azimut eingestellt, also Höhenlage. Dafür haben wir eben auch verschiedene Testbänder und dann wird das wieder eingestellt. Weil wir gerade bei den Tonköpfen sind und der AEG M20: Bei der Modifizierung wurde natürlich sofort die Löschfunktion ausgebaut, denn wir sind ja hier ein Archiv und machen ja keine Aufnahmen.
Maximilian Schönherr: Damit man nicht aus Versehen löscht?
Dirk Ullrich: Das Versehen wäre kaum möglich, aber ich sage mal, um alle Eventualitäten auf null zu fahren. Genauso ist es.
Maximilian Schönherr: Das heißt, alle Geräte hier im Raum haben keine Löschfunktion mehr?
Dirk Ullrich: Also, alle Geräte, die aus diesem Raum in ein Tonstudio kommen, werden vorher dahingehend gecheckt und überprüft, dass keine Löschfunktion mehr funktioniert. Genau.
Maximilian Schönherr: Wenn Sie Geräte einmessen, kann es doch sein, dass Sie vor zehn Jahren ein Band, Video oder Ton, digitalisiert haben und sich noch nicht so gut mit dem Gerät auskannten und sich nun zehn Jahre später denken: Das könnte ich heute in besserer Qualität digitalisieren?
Dirk Ullrich: Also, ich glaube eher nicht. Um sicherzustellen, dass keine Veränderungen an den Audio-Dateien, die abgelegt werden, auftreten können, werden beim Einspielen Metadaten mit erfasst, sodass eben nachvollziehbar ist, dass das von Anfang bis Ende die gleichen sind und zugeordnet werden können.
Maximilian Schönherr: Also, Maschinen jetzt?
Dirk Ullrich: Maschinen, genau. Metadaten der Maschinen.
Maximilian Schönherr: Und das ist nicht der Maschinentyp, sondern es ist wirklich der dritte von hier unten?
Dirk Ullrich: Ja, natürlich. Beim, ich sage mal, Ablegen in der Audio-Datenbank wird halt die Gerätenummer oder die Seriennummer mit erfasst und insofern ist absolut nachvollziehbar: Auf welchem Gerät wurde welches Band digitalisiert. Genau.
Maximilian Schönherr: Ist Ihr Beruf spannend?
Dirk Ullrich: Ja! Also, ich sage mal, ich habe mir den vor fast 40 Jahren ausgesucht, habe es nie bereut, hab jetzt durch die ganze Archivtätigkeit noch mal einen ganz anderen Blick darauf bekommen, weil ich natürlich jetzt mit Geräten zu tun habe, die ja schon deutlich länger am Markt sind als ich überhaupt jemals repariert hatte. Und das ist immer wieder spannend, Probleme zu lösen, die sich anderen gar nicht mehr so stellen.
Maximilian Schönherr: Vielen Dank! Jetzt machen wir noch ein Foto.
Dirk Ullrich: Gerne! Gut.
[Jingle]
Dagmar Hovestädt: Das war mein Kollege Dirk Ullrich, der in unserer Audio-Werkstatt im Stasi-Unterlagen-Archiv in Berlin-Lichtenberg arbeitet. Wer bei einem "Tag der offenen Tür" in Berlin ist, könnte ihn eventuell bei der Führung durch die Audio-Werkstatt erleben. Im Gespräch ging es um die vielen Geräte, die im Audio- und Videobereich notwendig sind, um Stasi-Töne und -Filme zu digitalisieren, damit sie auch in Zukunft zugänglich sind.
Maximilian Schönherr: Unser Podcast endet immer mit einem akustischen Einblick in den riesigen Audio-Pool des Stasi-Unterlagen-Archivs, wie immer ohne inhaltlichen Zusammenhang zu dem, was wir vorher besprochen haben, obwohl auch dieser O-Ton bereits längst digitalisiert ist.
[Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. In Zeiten des Umbruchs und der damit verbundenen Unsicherheit Ende 1989 versuchte so mancher Inoffizieller Mitarbeiter, dem Amt für Nationale Sicherheit, kurz AfNS, als Nachfolger des MfS seine Dienste anzubieten. Einige taten dies schriftlich, andere nutzten die Gelegenheit eines Diktats. Nachdem der IM mit Decknamen "Jürgen Biermann" unter anderem über die Ausbildung sehr junger Frauen als Fotomodelle für die westliche Werbeindustrie berichtet und moralische Bedenken geäußert hatte, schließt er seinen IM-Bericht mit einer Empfehlung in eigener Sache. Von den 26 Minuten, die diese Kassette aus Dresden lang ist, hören wir gut drei.
[Archivton]
[IM "Jürgen Biermann":] Betrifft die weitere oder erneute Zusammenarbeit mit dem Amt für Nationale Sicherheit. Unter Betrachtung der gegenwärtigen politischen Veränderungen sehe ich eine zwar zu spät kommende, aber begrüßenswerte Entwicklung, die es mir möglich macht, viel freier, viel offener vom Gewissen her eine Arbeit zu machen, die tatsächlich einer nationalen Sicherheit, einer inneren und äußeren Sicherheit, dient. Aus den Berichten meiner bisherigen Arbeit, [Husten im Hintergrund] aus der Beurteilung der Mitarbeiter, die mich kennen, müsste automatisch hervorgehen, dass ich bisher immer mit einer kritischen Meinung den notwendigen Entwicklungen gegenüber offengestanden habe und meine Berichte auch zur realen Einschätzung der Lage geführt haben, somit also ein wesentlicher Beitrag geleistet worden ist dafür, dass bei Weitergabe dieser Berichte führende Genossen hätten aus der Menge dieser Berichte, denn ich hoffe, dass viele andere ähnliche gekommen sind, erkennen können, dass man hätte eher etwas tun müssen. Ich finde damit, dass meine Arbeit bisher eine gute, wichtige war, sich jetzt als eine gute, wichtige erst noch mehr herausstellt, dass man nicht um irgendwelche Vorteile oder Manipulationen gekämpft hat, sondern um tatsächliche, reale Darstellung, die auf diesem Gebiet der Zusammenarbeit ja geäußert werden konnten und sollten, währenddessen sie auf offiziellem Parteigebiet beschönigt wurden, und finde, dass man die Früchte dieser Arbeit, die sich jetzt auftun, natürlich auch weiter - ähm - ernten und ausbauen sollte, finde, dass es unter der neuen Motivation des Amtes für Nationale Sicherheit viele neue wichtige Aufgaben gibt, die von fähigen Leuten zu lösen sind, viel neue Arbeit sich zum Beispiel durch die Öffnung der Grenzen ergibt, die gute Arbeit, auch in diesem Amt, verlangen und unter den Bedingungen eines momentan allgemeinen Durcheinanders eine gut überlegte, konstruktive Arbeit auf diesem Gebiet wichtiger denn je erscheint.
[Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."