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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ... ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Dagmar Hovestädt: Willkommen zu einer neuen Folge. Ich bin Dagmar Hovestädt und leite die Abteilung Vermittlung und Forschung im Stasi-Unterlagen-Archiv im Bundesarchiv. Ich begleite Sie zusammen mit meinem Co-Host, dem Rundfunkjournalisten Maximilian Schönherr, durch diesen Podcast.
Maximilian Schönherr: Wir besprechen heute Computerspiele. Genauer: die Computerspieleszene in der DDR. Historisch haben Computerspiele drei Phasen durchlaufen. In den 1970er-Jahren kamen die ersten Konsolen auf den Markt und im Westen in die Spielhallen. Das waren menschenhohe Geräte mit einem Bildschirm und fest eingebauter Software. Zum Beispiel "Pac-Man". Die konnten nur "Pac-Man" abspielen. Wie die DDR darauf reagierte, hören wir im heutigen Podcast-Gespräch. Die zweite Phase kam mit den für viele erschwinglichen Heimcomputern in den 1980er-Jahren, das war dann eigentlich fast schon die PC-Revolution.
Dagmar Hovestädt: Im Westen trat also in diesen 1980er-Jahren, genau 1982, der Commodore 64 seinen Siegeszug durch die Kinder- und Jugendzimmer an. Der Computer ist nach der Herstellerfirma Commodore benannt und wurde auch abgekürzt C64 genannt.
Maximilian Schönherr: Weißt du, wie er aussieht?
Dagmar Hovestädt: Ja.
Maximilian Schönherr: Hast du schon mal drauf gespielt?
Dagmar Hovestädt: Nee. Ich glaube nicht.
Maximilian Schönherr: Auch auf diese Technologie, also C64, Atari ST, Amiga und dergleichen, reagierte die DDR mit Eigenproduktionen, auf die wir im Gespräch eingehen. Der C64 war übrigens ein beliebtes Geschenk der Verwandten im Westen an die Kids im Osten.
Dagmar Hovestädt: Die DDR-Führung war natürlich auch an dieser Technik interessiert, die im Übrigen nicht dem Verbot der Einfuhr von Technologie in den Ostblock unterlag. Man ließ die Geräte auseinanderschrauben und analysieren. Allerdings waren diese Heimcomputer – anders als die frühen Konsolen 10 Jahre zuvor – frei programmierbar. Sie konnten mit immer neuen Spielen gefüttert werden und man konnte sich ganz eigene Dinge ausdenken. Und das war ja immer eine Gefahrenquelle aus Sicht der Stasi. Wo könnte das alles hinführen, wenn sich DDR-Jugendliche mit ganz eigenen Gedanken, womöglich kritischer Natur, mit dem eigenen Leben spielerisch beschäftigen? Du hast von drei Phasen der Computerspielegeschichte gesprochen. Wenn das die zweite war, was war die dritte?
Maximilian Schönherr: Die dritte Phase dominiert heute alles. Das sind die Online-Spiele. Man spielt nicht mehr für sich allein, sondern übers Internet mit vielen Gleichgesinnten zusammen weitgehend in Echtzeit, das heißt, wenn ich meinen Avatar auf einen Berg begebe und mit einer Gruppe unterwegs sein will, dann kommen die anderen in Echtzeit mit. Diese Phase setzte aber erst in den 1990er-Jahren ein, als es die DDR nicht mehr gab.
Dagmar Hovestädt: Dein Gesprächspartner heute ist mein Kollege Daniel Bosch. Dem hast du in der Videokonferenz, also in der ihr zusammen das Gespräch aufgenommen habt, bevor wir die Mikros eingeschaltet haben, einen Computer aus deinem privaten Archiv gezeigt.
Maximilian Schönherr: Und Daniel Bosch erkannte ihn sofort. Es war mein C64 Heimcomputer, den ich - kleine Episode am Rande - Anfang der 1980er-Jahre täglich stundenlang im Einsatz hatte. Ich war süchtig, muss ich sagen. Es gab die Datasette. Man hat die Computerspiele über eine Kassette eingeladen in die Maschine, in diesen C64. C64 konnte man ein- und ausschalten. Er hat das einem nicht übel genommen und es gab keine Viren darauf, weil er einfach alles vergessen hat, wenn man ihn ausgeschaltet hat. Jedenfalls war die C64-Szene im Westen so groß geworden, dass ich im Bayerischen Rundfunk ungefähr 1983/1984 eine Sendung ins Leben rief und viele Jahre moderierte, die sich aus den Themen dieser sehr lebendigen Heimcomputerszene speiste. Die Sendung hieß "Bit, byte, gebissen" und lief im sogenannten Jugendfunk auf Bayern 2, dem Zündfunk. Wir bekamen sehr viel Post aus der DDR.
Dagmar Hovestädt: "Bit, byte, gebissen". [lacht]
Maximilian Schönherr: Ja, voll der Retrotitel. Kann man heute nicht mehr so sagen, aber das waren die 80er-Jahre.
Dagmar Hovestädt: Daniel Bosch ist nicht nur Computerspielefan, sondern hat auch im Jahr 2020 bei uns ganz neu angefangen im Bereich Online-Kommunikation und er ist damit beschäftigt, all die vielen Themen, die im Online-Bereich zu finden sind, zu recherchieren und für die Online-Stellung aufzubereiten. Ich würde dazu noch zwei Dinge kurz ergänzen, weil du ja immer auch daran interessiert bist, wie wir arbeiten, und danach im Gespräch fragst. Unsere eigenen Mitarbeitenden in der Forschung, in der Online-Kommunikation, der Ausstellungs- und Bildungsarbeit haben für die Erledigung ihrer jeweiligen Aufgaben natürlich Zugang zu den Stasi-Unterlagen. Da entfällt der formale Schritt eines Antrags, aber jeder Aktenzugang, auch von internen Stellen, wird durch eine sogenannte Tagebuch-Nummer dokumentiert. Und dann können mit dieser Tagebuch-Nummer, so wie auch bei der externen Antragstellung, Recherchen im Archiv eingeleitet werden. Man kann so auch noch Jahre später übrigens feststellen, anhand der Tagebuch-Nummern, die zu jedem Aktenzugang von jeder Akte in einem Aktenbenutzungsblatt eingetragen wird, wer wann und warum eingesehen hat.
Maximilian Schönherr: Ist es dann ein Privileg, den hoch geschützten Zugang zu bestimmten Stasi-Unterlagen schneller zu bekommen, wenn man bei euch arbeitet?
Dagmar Hovestädt: Na ich würde mal sagen, das ist erst mal nicht automatisch immer schneller, sondern auch unsere Forschenden, also die die Recherche betreiben, müssen manchmal monatelang warten, um Zugänge zu bekommen, weil einfach die gesamte Antragstellung dazu zu beachten ist. Nicht alles, was wir machen, ist besonders eilig und muss sofort erledigt werden. Und das Privileg ist ja vielleicht dadurch gegeben, dass wir weitestgehend erst mal ungeschwärzt lesen können. Aber das Privileg ist auch geteilt worden mit anderen Forschenden von Universitäten, die sich verpflichten, wenn sie in die Akten schauen. Wichtig ist eher, dafür zu garantieren, dass selbst wenn wir für unsere Zwecke, die intern begründet sind - Unterrichtung über das Wirken der Stasi - Zugang zu Stasi-Unterlagen haben, dass auch das in jedem einzelnen Fall dokumentiert ist und nachvollziehbar ist. Das ist wichtig.
Maximilian Schönherr: Im Landesarchiv NRW zum Beispiel - da habe ich einiges gearbeitet - können die MitarbeiterInnen nach Belieben Akten aus den Regalen ziehen und studieren. Also, die gehen in den nächsten Raum, ziehen eine Akte raus, lesen drin und stellen sie wieder rein. Das geht beim Stasi-Unterlagen-Archiv, auch für Leute wie dich oder Daniel Bosch, nicht. Ihr könnt nicht einfach in die 111 km Akten rübergehen und was rausziehen. Jeder dieser Schritte ist dokumentiert und das nennt ihr Tagebuch-Nummer. Magst du noch etwas zur Stasi-Mediathek sagen? Die spielt in meinem Gespräch mit Daniel Bosch eine wichtige Rolle und du hast ja auch viel damit zu tun.
Dagmar Hovestädt: Gehabt, genau, jetzt nicht mehr. Aber die Stasi-Mediathek ist 2015 vom Stapel gelaufen und sie ist quasi gedacht als ein Schaufenster in das Stasi-Unterlagen-Archiv, das Interessierten die Möglichkeit gibt, selber einmal Akten, Fotos, Videos und Audios sich anzusehen. In der Stasi-Mediathek finden sich aber keine gesamten Bestände oder Informationen zu Einzelpersonen, also man kann nicht eben mal schauen, ob wir etwas zum Vater oder zur Tante im Archiv haben. Es sind kuratierte Beispiele historisch wichtiger Ereignisse der DDR-Geschichte oder aber auch repräsentative Beispiele für das Wirken der Stasi in den vier Jahrzehnten DDR, gedacht als Ressource für Schule, Bildungsarbeit, Journalisten und alle sonstig Interessierten. Die Produktion ist aufwendiger, weil wir in der Mediathek eine semantische Suche anbieten, daher ist jede Unterlage transkribiert und lässt sich nach verschiedenen Facetten, also Schlagworten, durchsuchen. Und das Ganze basiert auf dem Auftrag des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, über das Wirken, die Strukturen und Methoden des MfS zu unterrichten. Jetzt aber zum Gespräch über die Gamerszene in der DDR:
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Maximilian Schönherr: Ich spreche mit Daniel Bosch und ich sehe auf der Webseite des Stasi-Unterlagen-Archivs unter "Informationen zur Stasi" Themen, dann sehe ich "Spielefans unter Beobachtung" und es beginnt mit einem so tollen Bild. Und dieses Bild sagt uns in Nadeldruckerschrift - falls jemand noch weiß, was das ist: ein Nadeldrucker - "Chaotic Crew Member". Ich bin also Mitglied der chaotischen Crew, und zwar im Computer, Soft- und Hardware Club von Karl-Marx-Stadt. Steht alles auf Englisch da. Das haben Sie gefunden, oder?
Daniel Bosch: Das Dokument habe ich gefunden. Das ist ein Dokument in einem riesigen Konvolut an Akten, würde ich fast schon sagen, das ich mir angeschaut habe zum Thema Computer, also speziell vor allem Computerclubs und eben die Überwachung der Computerclubs, der Computerfans durch die Staatssicherheit. Und dieses Dokument war ein Dokument aus diesem großen Konvolut, richtig.
Maximilian Schönherr: War das so ein Aha-Erlebnis, dieses Dokument zu finden, weil es ist schon ein bisschen anders als die typische Mielke-Akte?
Daniel Bosch: Das war schon ein Aha-Effekt, der sich bei mir eingestellt hat. Das Dokument war insofern erst mal interessant, weil es eben eine Mitgliedskarte ist. Da habe ich tatsächlich gar nicht unbedingt mit gerechnet. Und zweitens finde ich auch einfach ganz interessant, dass eben alles auf Englisch geschrieben ist auf diesem Dokument, obwohl es eben ein Computerclub in Karl-Marx-Stadt ist. Wir sprechen jetzt nicht von einem Computerclub im englischsprachigen Land. Und der dritte Punkt ist natürlich, dann auf einen Computerclub überhaupt gestoßen zu sein, genau.
Maximilian Schönherr: Jetzt muss ich mal ganz von außen fragen: Ich muss, um so was eventuell dann zu sehen, einen Medienrechercheantrag stellen. Und Sie?
Daniel Bosch: Ich muss auch einen Antrag stellen, also Antrag nicht im klassischen Sinne, so wie es eben Antragsteller außerhalb der Behörde machen müssen. Aber ja, ich mache einen Rechercheauftrag. Ich stelle einen Rechercheauftrag, das heißt, ich kann in unserem System recherchieren, ich kann nach Akten recherchieren, ich kann nach Themen recherchieren und dann kann ich bei uns eben im Archiv die Akten anfragen mehr oder weniger. Und die bekomme ich dann auch zugesandt und kann mir die anschauen.
Maximilian Schönherr: Weil Sie eben intern sind? Sie sind ein festangestellter Mitarbeiter, als Historiker eigentlich oder als wer?
Daniel Bosch: Genau. Ich bin festangestellter Mitarbeiter hier in der digitalen Vermittlung des Stasi-Unterlagen-Archivs. Ich habe Public History studiert, das ist erst mal so mein Hintergrund. Ich bin hier als Online-Redakteur eingestellt. Ich kümmere mich um die Themenbeiträge auf der Website, um die Inhalte der Stasi-Mediathek, aber auch um die Social-Media-Kanäle.
Maximilian Schönherr: Wir sprechen heute vor allem über die Computerszene der DDR, womit dieses Bild, was wir gerade besprochen haben, das Einleitungsbild ist. Aber lassen Sie uns kurz über die Mediathek sprechen. Heißt die bei Ihnen intern Mediathek?
Daniel Bosch: Genau, das ist die Stasi-Mediathek.
Maximilian Schönherr: Ja, weil hier nennt es sich "Informationen zur Stasi", das ist quasi dasselbe?
Daniel Bosch: Ja, da muss man vielleicht noch ein bisschen unterscheiden. Diese "Information zur Stasi", das ist sozusagen unsere Unterseite auf der Website, wo wir die Themenbeiträge reinstellen. Also, wir haben ein bestimmtes Thema, zu dem wir dann eben was schreiben. Und die Stasi-Mediathek ist noch mal eine extra Plattform, auf der wir wirklich nur Dokumente reinstellen. Das heißt Audio-Dokumente, Video-Dokumente, Schrift-Dokumente der Staatssicherheit, die wir dann mit einem einleitenden oder einordnenden Text versehen, noch mit ein paar Zusatzinformationen. Genau. Und diese Dokumente, die wir in der Stasi-Mediathek eingestellt haben, die tauchen aber auch in den Themenbeiträgen auf. Also, diese zwei Plattformen sind miteinander verknüpft, wenn man so will.
Maximilian Schönherr: Ich stelle mir gerade vor, die meiste Arbeit haben Sie als jemand, der die Themen von anderen Kollegen und Kolleginnen hier in die Mediathek bringt. Und die Computerwelt ist Ihr eigenes, das ist ein Unikum eigentlich. Sie haben nicht viele selber geschrieben und das ist wirklich sehr ausführlich. Also, das hat auch Mühe gemacht, natürlich. Aber Ihr Arbeitsalltag besteht darin, Inhalte zu bekommen von Kollegen und Kolleginnen und die dann in die Mediathek einzupflegen, richtig?
Daniel Bosch: Ja, das ist relativ ausgeglichen, würde ich sogar sagen. Wir haben Themen, die wir uns eben für das Jahr vornehmen. Es sind, ja, zwei, drei Themen oder so, die wir uns vornehmen für das Jahr, die wir uns selbst ausgesucht haben. Und dann haben wir natürlich Themen, die wir von unseren Außenstellen zugespielt bekommen. Wir haben Themen, die irgendwie gerade, ja, recht aktuell sind und deswegen auch schnell in die Mediathek müssen. Genau. Aber der Computerspiele und -szene Beitrag, das ist ein Thema, was ich mir persönlich ausgesucht habe, weil ich einfach auch eine gewisse Affinität zu dem Thema habe.
Maximilian Schönherr: Wenn jetzt ein Kollege, sagen wir mal aus Rostock, vom Archiv dort, Ihnen was schickt, geht es durch einen redaktionellen Prozess, ob das dann auch online kommt? Oder sind die Sachen auch schon gut von ihm oder ihr vorbereitet, damit Sie sie ins System einpflegen können?
Daniel Bosch: Ganz genau. Im Idealfall bekommen wir zum Beispiel von einem Kollegen aus unserer Außenstelle in Rostock ein Dokument, im besten Falle schon die Digitalisate, zugeschickt und auch Informationen, also inhaltliche Informationen. Wir müssen das dann in der Stasi-Mediathek im TYPO3, also über das Content Management System (CMS), einpflegen. Content Management System ist eben die Software, mit der wir die Seite bespielen, also über die die Seite mit Inhalt bestückt wird. Das heißt, wir haben dann den Text, wir pflegen den Text in das CMS ein und dann folgen aber noch ein paar weitere Schritte. Also die Transkripte müssen erstellt werden, das machen dann unsere Bürosachbearbeiterinnen und Bürosachbearbeiter, die wirklich eine sehr wertvolle Unterstützung bei der Arbeit sind.
Maximilian Schönherr: Transkript von was?
Daniel Bosch: Das Transkript von den Dokumenten, das gilt sowohl für Schriftdokumente als auch für Audio- und Video-Dokumente. Also, das gesprochene Wort beziehungsweise eben auch das, was auf dem Dokument steht, zu dem wird dann ein Transkript angelegt.
Maximilian Schönherr: Echt?
Daniel Bosch: Ja, korrekt. Ich rede jetzt gerade von der Stasi-Mediathek, also stasi-mediathek.de, wo dann eben diese Transkripte angelegt werden. Genau.
Maximilian Schönherr: Ja, ist jetzt bei Ihnen nicht der Fall, glaube ich. Also da sieht man viele Briefe, die zwischen Ministerium für Staatssicherheit und Außenstellen laufen. Sehr sehr spannende Briefe. Die sind nicht transkribiert, die liest man eben so als Bild.
Daniel Bosch: Die sind tatsächlich auch transkribiert. Jetzt überlege ich gerade aus dem Kopf heraus: Sie haben zum Beispiel auch in dem Themenbeitrag einen Bericht an Erich Mielke zum elektronischen Spielautomaten Poly-Play und in dem Themenbeitrag selbst kann man auch auf den Link klicken und wird dann zur Mediathek weitergeleitet. Und in der Mediathek findet man auch das Transkript beziehungsweise auch in dem eingebundenen Dokument kann man auf das Transkript klicken und kann sich dann das durchlesen.
Maximilian Schönherr: Okay, habe ich wahrscheinlich übersehen, weil ich mit den Originaldokumenten sehr zufrieden bin. Ich lese die gerne. Das ist auch todtraurig dann natürlich oft, aber das ist archivalischer als das Transkript. Kommen wir zu den Computern.
Daniel Bosch: Sehr gerne.
Maximilian Schönherr: Der, den ich Ihnen gerade gezeigt habe: Was sagt er Ihnen?
Daniel Bosch: Was sagt er mir? Ja, der C64, Commodore 64, ist natürlich ein total spannendes Stück. Ich selber bin Jahrgang 92, also ich hatte keinen C64. Ich kenne ihn nur so aus Erzählungen und irgendwelchen Retro-Beiträgen und so weiter. Ja, aber ein spannendes Stück auf jeden Fall. Ich denke, auch ein Computer, der die Kindheit und die Jugend vieler geprägt hat, auf jeden Fall.
Maximilian Schönherr: Auch in der DDR?
Daniel Bosch: Tatsächlich auch in der DDR. Ja, es gab den C64 auch in der DDR, der konnte über Westverwandtschaft, der konnte über Intershops erworben werden. Zum Teil stand er auch in Computerclubs, auf die wir sicher auch noch mal zu sprechen kommen, zur Verfügung.
Maximilian Schönherr: Das heißt, die Stasi mit ihren ausgetüftelten Durchsuchungen - Postdurchsuchungsmechanismen - hat die C64 Heimcomputer durchgehen lassen?
Daniel Bosch: Ja, der C64 beziehungsweise Import des C64 war auch nicht verboten, das muss man dazu auch vielleicht noch mal betonen. Der C64 durfte auch erworben werden.
Maximilian Schönherr: War der sogar erwünscht?
Daniel Bosch: Ja, der C64 war teilweise auch erwünscht. Also, wir sprechen hier von der Zeit, in der das ganze Thema Mikroelektronik, in der das Thema Computer und so weiter eine sehr hohe Bedeutung hatte, also auch aus Sicht der Staatsführung eine sehr hohe Bedeutung hatte. Und man hat auch gemerkt, dass die Produktion aus eigener Produktion, also die DDR-Computer, dass die DDR-Computer nicht unbedingt den Standard erfüllen, den man sich gewünscht hat. Und dann hat man auch zugelassen, dass Computer aus dem Westen wie der C64 eingeführt wird, um da eben auch ja was zu haben, mit dem man gut arbeiten kann.
Maximilian Schönherr: Sie schreiben in Ihrem ausführlichen, spannenden Beitrag "Spielefans unter Beobachtung", dass die DDR massiv investiert hat in die Computertechnologie, aber es kam dann nicht zu einem Anschluss an die Westtechnik. Das wundert mich jetzt überhaupt nicht. Aber dieses massive Investieren geht auf den 1977er Beschluss zurück, dass man sagt: Wir müssen diese Schlüsseltechnologie bewirtschaften und erforschen.
Daniel Bosch: Ganz genau. Dieses sogenannte Mikroelektronikplenum 1977 war eigentlich der ausschlaggebende Punkt beziehungsweise war das der Meilenstein eigentlich auch für die weiteren Entwicklungen im Nachhinein, weil dort eben beschlossen wurde, dass die Mikroelektronik Schlüsseltechnologie werden soll. Und das war der Startschuss, unter anderem auch für die Spiele, die dann in der DDR auch im Umlauf waren.
Maximilian Schönherr: War das weitsichtig oder war es eher spät für 1977, diese Entscheidung? Und Anschlussfrage: Konnte die alte Generation der DDR-Gründer, quasi wozu Mielke, der Chef des Ministeriums für Staatssicherheit, gehörte, was damit anfangen oder kam das von der jüngeren Generation?
Daniel Bosch: Was Ihre erste Frage betrifft muss ich in der Geschichte noch ein bisschen zurückgehen. Eine Mikroelektronikforschung in der DDR wurde schon in den 60ern angestoßen. Ein wichtiger Name war hier Werner Hartmann, der eben auf diesem Gebiet tätig war und auch als - man kann sagen - zentraler Wegbereiter der Mikroelektronik in der DDR gilt. In dieser Zeit hat sich dann vor allem die Stadt Dresden zu einem Zentrum der Mikroelektronikforschung entwickelt. 1970/71 hat die SED-Führung die Entwicklung dann ein bisschen ausgebremst. Das hing mit der von Erich Honecker eingeleiteten Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik zusammen, in deren Rahmen einfach andere Prioritäten gesetzt wurden, mehr Themen wie Konsumgüterproduktion oder der Wohnungsbau. Ab 76/77 war die SED-Führung aber auch überzeugt von der Notwendigkeit der Mikroelektronik, weil sie einfach gemerkt hat, dass sie im Vergleich zum Westen hinten ansteht und der Abstand zu den westlichen Staaten immer größer wurde und auch die Mikroelektronik für die DDR-Industrie immer wichtiger wurde. Kurz gesagt, man brauchte Computer. Dann kam es eben 1977 zu diesem besagten Mikroelektronikplenum und von da an forcierte die SED-Führung dann auch ihre Anstrengungen im dem Bereich und hat auch ihre ganze Kraft - vor allem finanzielle Kraft - hineingesteckt. Noch kurz zu ihrer zweiten Frage. Die alte Garde des MfS, zu der auch Mielke gehörte, stand dem Thema Mikroelektronik auf jeden Fall skeptischer gegenüber, als die jüngere Generation. Das hat sich zum Beispiel auch daran gezeigt, dass Mielke bis zuletzt die analoge Datenerfassung der elektronischen Datenerfassung vorzog.
Maximilian Schönherr: Hatte Mielke auf seinem Schreibtisch zu Zeiten des Endes der DDR einen Computer stehen?
Daniel Bosch: Da fragen Sie mich tatsächlich was. Also, nicht dass ich wüsste.
Maximilian Schönherr: Ich kann mich auch an solche Bilder nicht erinnern. Also, wahrscheinlich hat er auch nie einen C64 in der Hand gehabt, auch nicht einen DDR-Computer.
Daniel Bosch: Da gehe ich stark von aus, dass es nicht der Fall ist. Auch die Staatssicherheit war ja da relativ spät dann eigentlich erst dabei mit der Computerisierung.
Maximilian Schönherr: Hat denn diese Tagung über Mikroelektronik 1977 tatsächlich was bewirkt?
Daniel Bosch: Sie hat was bewirkt auf jeden Fall, weil dadurch überhaupt erst die ganze Produktion von Heimcomputern in Gang gekommen ist sowie auch die Produktion von einer Spielkonsole - also, die DDR hatte auch eine Spielkonsole produziert -, aber auch beispielsweise von dem Poly-Play, also dem ersten und einzigen Videospielautomaten überhaupt in der DDR.
Maximilian Schönherr: Obwohl die Spielautomaten eigentlich Teufelszeug aus dem Westen waren, mit viel gewalttätigem Inhalt. Also, das war jedenfalls die Ausdrucksweise der SED. Das war das Hauptproblem, oder?
Daniel Bosch: Das ist richtig, das war das Hauptproblem. Und deswegen hat die SED auch von Anfang an darauf geachtet, das alles zu kontrollieren. Also, grundsätzlich wurde erst mal gefördert, dass es Spielautomaten, dass es Spiele gibt, aber auf der anderen Seite hat man natürlich auch immer darauf geachtet, dass die Spiele irgendwie in einem gewissen Rahmen sich bewegen. Also keine gewalttätigen Spiele, keine Spiele mit "faschistischem" Charakter oder ähnlichen Ausprägungen.
Maximilian Schönherr: Zwei Jahre nach 1977, nämlich 1979, kam dann eine Spielkonsole auf den Markt. Ich muss ein bisschen lachen wegen dem Namen. Den haben Sie natürlich auch gefunden: Bildschirmspiel Nummer Eins oder 01 eigentlich, oder?
Daniel Bosch: Richtig, ja, genau.
Maximilian Schönherr: Und das Gerät hieß BSS 01. Ist es richtig?
Daniel Bosch: Richtig. Ja, genau.
Maximilian Schönherr: Was war das für ein Gerät? Ich sehe es hier vor mir.
Daniel Bosch: Ja, der BSS 01 war eine Spielkonsole, eine klassische Spielkonsole. Die erste und einzige Spielkonsole, die in der DDR produziert wurde, auch im Vergleich tatsächlich zu den Computern früher produziert wurde. 1979 wurde die schon produziert. Die ersten Computer sind Anfang der 80er vom Band gelaufen und BSS 01 war eine relativ einfach gestaltete Konsole. Man guckt natürlich immer aus der heutigen Sicht drauf, aber es war eine relativ einfach gestaltete Konsole mit vier Spielen beziehungsweise sogar fünf Spielen, die sich sehr stark an dem Westklassiker "Pong" orientierten. Also, man hat links und rechts einen Balken auf dem Bildschirm und einen kleinen Ball und den musste man immer auf die andere Seite schießen. Und das BSS 01 hatte dieses Spiel in verschiedensten Varianten. Genau.
Maximilian Schönherr: Was kostete das Gerät?
Daniel Bosch: Das Bildschirmspiel 01 hat meines Wissens 500 bis 600 Mark gekostet.
Maximilian Schönherr: Sehr preiswert, finde ich, weil der C64, Westproduktion, kostete 1983, als er, glaube ich, rauskam, oder '82 über 1.000 DM.
Daniel Bosch: Ja, also im Vergleich dazu auf jeden Fall preiswert, keine Frage.
Maximilian Schönherr: Waren halt ein paar Spiele fest installiert und mehr konnte das Ding nicht. Man konnte es nicht frei programmieren.
Daniel Bosch: Richtig, genau. Man konnte es nicht frei programmieren, sondern man musste sich mit dem zufrieden geben, was man da zur Verfügung hatte auf dem Gerät.
Maximilian Schönherr: War dieses Manko, dass es eben eine reine Spielekonsole war, wo man bei anderen Techniken Module reinsteckt und dann wieder herauszieht, das nächste Modul rein kann und das nächste Spiel spielen, aber weil die nicht programmierbar waren, der Grund, warum er scheiterte und 1981 die Produktion wieder eingestellt wurde?
Daniel Bosch: Genau. Es war sicherlich ein Grund, dass diese Konsole einfach nicht besonders abwechslungsreich war im Vergleich mit anderen Geräten, gerade auch aus dem Westen. Mit Sicherheit.
Maximilian Schönherr: Der wurde im VEB Halbleiterwerk Frankfurt an der Oder produziert. War das auch die Fabrik, wo man PCs, DDR-PCs, herstellte, oder war das woanders?
Daniel Bosch: Die Heimcomputer beziehungsweise Kleincomputer der DDR wurden in den VEB Mikroelektronik "Wilhelm Pieck" Mühlhausen und dem Robotron Meßelektronik "Otto Schön" in Dresden hergestellt. Bis 1989 sind etwa 30.000 Geräte hergestellt worden. Hier bewegen wir uns auch wieder, was die Kosten angeht, auf einem ganz anderen Niveau als bei den Bildschirmspielen.
Maximilian Schönherr: Das Foto von diesem BSS 01-Gerät ist CC BY 4.0. Klingt nach Wikimedia, richtig?
Daniel Bosch: Korrekt, richtig.
Maximilian Schönherr: Also haben Sie das Gerät nicht im Stasi-Unterlagen-Archiv gefunden.
Daniel Bosch: Nein, das habe ich nicht im Stasi-Unterlagen-Archiv gefunden. Das habe ich dann über Wikimedia gefunden. Das ist ein Ausstellungsstück des Computerspielemuseums Berlin, die übrigens neben diesem Bildschirmspiel 01 auch noch einen Poly-Play vor Ort stehen haben.
Maximilian Schönherr: Über den können wir ja jetzt reden. Das ist eine Konsole. Und da finde ich sehr charmant auf der Seite, die Sie gebaut haben, eine Broschüre. Wir sehen eine Broschüre über dieses Ding und das sieht wie eine schlechte Fotokopie aus. Man sieht, dass es eine Spielekonsole ist, man sieht so eine Art "Pac-Man"-Labyrinth drauf. Das ist eine ganz schlechte Reproduktion und die kommt dann eben nicht aus der Wikimedia und aus einem Museum - wo das Ding bestimmt steht, eben wie Sie sagen -, sondern Sie haben dieses Bild aus Ihrem Archiv gewählt und das ist MfS BV Suhl. Warum kommt es aus Suhl?
Daniel Bosch: Ich habe diese Broschüre - oder diese Kopie einer Broschüre - in einer Akte der BV Suhl, wie Sie gesagt haben, gefunden, und zwar war die in einer Akte, in der auch viele Dokumente zu Ferienheimen vorhanden waren, weil, das muss man dazusagen, der Poly-Play wurde an öffentlichen Orten ausgestellt beziehungsweise eingesetzt, im Palast der Republik in Berlin zum Beispiel, aber auch in anderen Ferienheimen - es mussten keine Stasi-Ferienheime gewesen sein - hingestellt, damit die Leute eben damit spielen konnten.
Maximilian Schönherr: Und es gibt eine Kalkulation, wie viele Leute wie viele Stunden wie viele Münzen da reinschmeißen, damit sich das Ding dann rechnet.
Daniel Bosch: Es war auch tatsächlich gar kein geringer Betrag. Also, die Poly-Plays haben sich in gewisser Weise schon gelohnt.
Maximilian Schönherr: Und die Chassis, wo dann dieser Röhrenbildschirm und die Mikroelektronik eingebaut war, war, das lese ich auf Ihrer Seite, aus abgesonderten Holzmöbeln gebaut.
Daniel Bosch: Richtig. Da war man einfach zweckmäßig, würde ich sagen. [lacht]
Maximilian Schönherr: Da ging man gern mal in den Palast der Republik, nur um dieses Ding mal zu spielen.
Daniel Bosch: Genau, richtig. Also, ich glaube schon, dass dieser Poly-Play ein gewisses Highlight war im Palast der Republik und vor allem bei den Jugendlichen doch ganz gut ankam. Ich habe beispielsweise auch Zeitzeugen-Interviews gelesen und so weiter, wo auch hervorging, dass dieser Poly-Play doch etwas ganz Besonderes war und die Kindheit auch in gewisser Weise geprägt hat.
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Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
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Maximilian Schönherr: Ich lese jetzt in einem anderen Dokument. Ich zitiere: "Aus dem bisherigen Erkenntnisstand lassen sich folgende Schwerpunkte für die politisch-operative Sicherungsarbeit ableiten: 1. Durch die private hobbymäßige Nutzung von Heimcomputern sind Voraussetzungen vorhanden, um einen möglichen Informationsabfluss durch die Anwendung neuester wissenschaftlich-technischer Erkenntnisse zu organisieren und unkontrollierbar zu gestalten." Die Stasi war ambivalent und das ist das, was sie befürchtet haben: dass also Informationen abfließen, weil diese jungen Freaks, die Computerfreaks in der DDR, mit welcher Hard- und Software auch immer sie gearbeitet haben in den - ich schätze jetzt mal - Mitte der Achtzigerjahre-- Das konnte gefährlich sein. Die lernten Dinge durch diese Maschinen, die sie in den Westen hätten exportieren können. Das war die eine Befürchtung, richtig?
Daniel Bosch: Richtig. Die Staatssicherheit hatte, glaube ich, erst mal Angst vor dem Ungewissen. Also, da sind Leute, junge Leute, die treffen sich und spielen da mit Computern, machen irgendwas mit Computern, aber es war einfach nicht ganz klar, was sie eigentlich mit diesen Computern machen. Deswegen ist man erst mal davon ausgegangen, dass es gegebenenfalls staatsfeindliche Handlungen sein könnten und hat dann eben in unterschiedliche Richtungen geguckt: Was haben sie mit der Computertechnik gemacht, wo haben sie die her, ist die geschmuggelt, haben sie vielleicht sogar Virenprogramme auf ihren Computern, die letzten Endes auch für die Betriebe gefährlich werden könnten, wenn da Viren laufen, und natürlich auch, welche Software, auch Spiele-Software, nutzen sie eigentlich und welchen Inhalt hat die?
Maximilian Schönherr: Waren denn die Computerclubs, wo sich solche Leute trafen, tatsächlich subversiv, im DDR-Sinn subversiv, ähnlich wie die Treffen in den Kirchen in den späten 1980er-Jahren?
Daniel Bosch: Das kann man absolut nicht behaupten. Jedenfalls aus den Akten geht das absolut nicht hervor. Diese Computerclubs waren wirklich Ansammlungen oder Treffen von jungen Menschen, die sich über ihr Hobby ausgetauscht haben, die gemeinsam programmiert haben, aber ohne irgendwelche politischen Ambitionen.
Maximilian Schönherr: Das heißt, Razzien gab es da nicht?
Daniel Bosch: Ich habe in den Akten keinen Hinweis auf Razzien gefunden, nein. Aber ich würde vielleicht noch einen Punkt ergänzen. Und zwar muss man noch betonen, dass die Computerclubs in der DDR auch häufig staatlich organisiert waren. Die Clubs sind beispielsweise unter dem Dach der FDJ gelaufen, waren also auch bewusst gewollt. Und Clubs in kleinem - ich sage mal - privatem Umfeld gab es auch, auf jeden Fall, aber die waren dann auch in ihrem Umfang sicherlich kleiner und nicht so groß wie zum Beispiel der Computerclub im Haus der jungen Talente in Ost-Berlin.
Maximilian Schönherr: Diese Clubs wurden gefördert und auch offiziell betrieben. Warum?
Daniel Bosch: Weil die SED in den jungen Menschen die Chance gesehen hat, die Fachkräfte der Zukunft zu erziehen, mehr oder weniger. Also, die Leute, die sich mit Technik auseinandergesetzt haben, die brauchte man. Die brauchte man gerade im Zuge der Bemühungen in der Mikroelektronik und diese Clubs waren ja eigentlich der perfekte Ort, um eben mit dieser Technik vertraut zu werden.
Maximilian Schönherr: Wurde da etwas draus? Also, sind solche Leute dann tatsächlich zu Robotron gegangen und haben da wichtige Dinge entwickelt?
Daniel Bosch: Ja, genau. Das war auf jeden Fall der Wunsch.
Maximilian Schönherr: Es gab ein Computerspiel, das hieß "Kreml". Dieses Spiel wurde auf den Index gesetzt. Es gab also einen Index, darauf waren Erster-Weltkrieg-Spiele, Zweiter-Weltkrieg-Spiele, also gewaltverherrlichende Spiele sowieso. Aber "Kreml" war natürlich besonders brisant, weil sich dieses Spiel über die Sowjetunion lustig gemacht hat. Wie funktionierten diese Verbote? Wie konnte man das verbieten? Da musste man doch tatsächlich in die Clubtreffen reingehen und sagen: Hey, du hast hier eine Diskette mit dem "Kreml"-Spiel, die konfisziere ich mal.
Daniel Bosch: Ja, das ist auch eine ganz interessante Sache, die ich aus den Unterlagen lesen konnte: dass tatsächlich die Besitzer der Spiele, die in den Computerclubs im Umlauf waren, nicht wirklich Konsequenzen zu spüren bekommen haben. Jedenfalls konnte ich das nicht aus den Akten herauslesen. Diese Spiele existierten, die waren in den Clubs im Umlauf - ich habe ja in meinen Themenbeitrag diese Liste mit den 200 Titeln eingebaut - und die Stasi hat das auch wahrgenommen, aber sie ist nicht aktiv dagegen vorgegangen. Wogegen sie aber vorgegangen ist, ist die Einfuhr von Spielen. Wenn Spiele aus dem Westen in die DDR importiert wurden, hat man das unterbunden.
Maximilian Schönherr: "Nach vorliegenden Informationen--" Ich zitiere hier ein Schreiben an den Stellvertreter des Leiters - ich denke mal - des MfS, oder? Vom Stellvertreter operativ der Leiter der Bezirksverwaltungen Berlin, Dresden, Erfurt, Frankfurt/Oder, Leipzig, Magdeburg, Potsdam, Rostock-West und -Nord.
Daniel Bosch: Auf den ersten Blick mag man meinen, dass hier das MfS gemeint ist, aber hier geht es tatsächlich um die Zollverwaltung. Das ist der Zoll. Das ist ein Dokument des Zolls, das aber in den Unterlagen der Staatssicherheit gelandet ist. Also, wir sprechen hier auch von den Bezirksverwaltungen des Zolls. Und der Leiter hat hier eben seine Bezirksverwaltungen angewiesen, dass dieses Spiel nicht importiert wird.
Maximilian Schönherr: Ich zitiere mal wörtlich, dann kriegt man so ein bisschen den Ton mit: "Nach vorliegenden Informationen werden von dem Schweizer Kleinverlag "Fata Morgana Spiele" das strategische Brettspiel "Kreml" und vom Hersteller "Spiele MaKroSoft" dessen Umsetzung als Computerspiel "Kreml" für den Computer Atari ST (mit Monochrom-Monitor) hergestellt. Der Inhalt dieser Spiele widerspricht aufgrund der antisowjetischen Aussagen den Interessen der DDR (vergleiche Anlage: Spielbeschreibung in der Zeitschrift "Happy Computer" 7/88). Die Einfuhr dieses Spiels ist im grenzüberschreitenden Reiseverkehr nach den Entscheidungsgrundsätzen der - und so weiter - und als Geschenkpaket- und -päckchen zu verhindern." Also, wie bekommt die Stasi mit und kommuniziert das dann mit dem Zoll, dass es diese Spiele überhaupt gibt? Hat das die Auslandsspionage aufgedeckt oder sind Kopien in der DDR aufgetaucht?
Daniel Bosch: Genau. Das ist tatsächlich im Rahmen des Politisch-operativen Zusammenwirkens, kurz POZW, passiert. Dieses POZW bedeutet einfach: Zusammenarbeit zwischen MfS und anderen Organen, zum Beispiel dem Zoll. Der Zoll hat dann in solchen Fällen das MfS informiert über die Spiele, die importiert werden sollten. Dann sind die entsprechenden Dokumente eben auch in den Akten der Staatssicherheit gelandet, in diesem Fall in den Akten der Abteilung M, die für die Postkontrolle zuständig war.
Maximilian Schönherr: Da passt Ihre Zwischenüberschrift in Ihrem Mediathek-Beitrag dazu: "Einschleusen von Software, die eindeutig feindlich-negativen Charakter trägt oder den Antisemitismus zum Inhalt hat, sollte operativ unterbunden werden." Das ist nicht gelungen.
Daniel Bosch: Ganz genau, es ist nicht gelungen, wie man an der Spieleliste aus dem Club in Ost-Berlin sehen kann.
Maximilian Schönherr: Es gibt die ZAGG mit reichlich Dokumenten zur Nutzung von Computern in der DDR. Was ist die ZAGG?
Daniel Bosch: Die ZAGG ist die Zentrale Arbeitsgruppe Geheimnisschutz, die wiederum dann nachgeordnet in Bezirken noch mal Diensteinheiten hatte, und zwar die AGG, also die Arbeitsgruppen Geheimnisschutz. Die ZAGG hat sich mit der sogenannten politisch-operativen Sicherung von Staats- und Dienstgeheimnissen auseinandergesetzt und war bis 1986 auch Erich Mielke direkt unterstellt. Das ist vielleicht an dieser Stelle auch noch mal zu betonen. Das heißt, sie hat sich eben auch mit dem Geheimnisschutz, unter anderem in staatlichen Stellen, aber auch in Betrieben zum Beispiel, beschäftigt.
Maximilian Schönherr: Und da ging es primär darum, dass DDR-Technik, also in der DDR entwickelte Technik - Hardware und Software -, nicht in den Westen kam?
Daniel Bosch: Ja.
Maximilian Schönherr: Wollen Sie noch was Wichtiges zu den Computern sagen? Sonst kommen wir noch mal auf die Mediatheken zurück.
Daniel Bosch: Ich würde vielleicht noch mal kurz darauf eingehen, warum eigentlich die Computerfans und auch die Spielefans keine schwerwiegenden Folgen ihrer Aktionen oder ihrer Tätigkeit zu befürchten hatten, also warum die Stasi nicht wirklich gegen sie vorgegangen ist. Dazu würde ich vielleicht noch etwas sagen. Einerseits sprechen wir von einem Zeitraum von Mitte bis Ende der Achtzigerjahre, in dem die Opposition immer stärker wurde, in dem die Stasi schlichtweg mit anderen Problemen zu kämpfen und zu tun hatte, sodass das Thema vielleicht einfach ein bisschen aus dem Blickfeld gerückt ist. Der andere Punkt ist, dass die Altersstruktur am MfS zu diesem Zeitpunkt sehr hoch war. Die MfS-Mitarbeiter waren alt [lacht] und sicherlich hatten sie auch einfach nicht so den Zugang zu dem Thema. Sie hatten nicht so den Sachverstand zu dem Thema, vielleicht hat man auch das Thema Spiele gar nicht so ernst genommen. Man sieht auch anhand von IM-Berichten zum Teil, dass die IM, die eingesetzt wurden in den Computerclubs, auch nicht so richtig einen Zugang bekommen haben. Sie sind nicht in die inneren Zirkel reingekommen, weil ihnen einfach das Wissen gefehlt hat, weil sie sich nicht profilieren konnten, um da weiter einzusteigen.
Maximilian Schönherr: Aber nicht, weil sie zu alt waren. Die IM, die man in die Clubs hineinschickte, durften ja nicht zu alt sein, sonst wären sie sofort aufgefallen, oder?
Daniel Bosch: Genau. Die waren auch jung. Es waren junge Männer. In einem Fall war es ein junger Kader des Wachregiments "Feliks Dzierzynski" des MfS. Also, die werden auf jeden Fall - ich schätze mal - so Anfang zwanzig gewesen sein.
Maximilian Schönherr: Wie geht es dem heute?
Daniel Bosch: Das kann ich nicht sagen. Das weiß ich tatsächlich nicht. [lacht]
Maximilian Schönherr: Haben Sie persönlich mit Computerspielen etwas zu tun, also mit heutigen Computerspielen oder früheren?
Daniel Bosch: Ja, ich habe tatsächlich etwas damit zu tun. Zum einen einfach privat hobbymäßig. Ich bin jetzt nicht der klassische Gamer, aber zum Zeitvertreib spiele ich auch gern ab und zu.
Maximilian Schönherr: Was denn?
Daniel Bosch: Oh, das ist tatsächlich total durchmischt. Ich spiele sehr gerne Spiele, die irgendwie einen historischen Hintergrund oder - ich sage mal - ein historisches Thema zum Inhalt haben.
Maximilian Schönherr: Tank Attack?
Daniel Bosch: Habe ich zum Beispiel noch nicht gespielt, aber das würde theoretisch darunterfallen, ja. [lacht] Und der zweite Punkt ist tatsächlich auch so ein gewisses wissenschaftliches Interesse. Ich habe meine Masterarbeit zum Thema Darstellung von NS-Verbrechen in digitalen Spielen geschrieben und auch privat schreibe ich ganz gerne zu dem Thema, gerade zum Thema Geschichte und digitale Spiele.
Maximilian Schönherr: Jetzt würde ich zum Schluss noch zurückkommen auf die Mediathek des Stasi-Unterlagen-Archivs. An welchem Thema sind Sie jetzt gerade dran? Was pflegen Sie gerade ins Content Management System ein oder demnächst?
Daniel Bosch: Ein Thema, das jetzt ganz relevant ist: Da geht es um die MfS-Ferienheime. Ein zweites Thema ist die Jugendweihe in der DDR.
Maximilian Schönherr: Was ist Ihr Job in diesen konkreten Beispielen? Also, wie ist das angelieferte Material und was müssen Sie tun?
Daniel Bosch: Ich habe das Material angeliefert bekommen, in dem Fall aus unserer Außenstelle in Suhl, und meine Aufgabe ist jetzt, dass ich die Texte noch mal redaktionell überprüfe, gegebenenfalls bearbeite, dann die Texte in das Content Management System einpflege und dann entsprechend bearbeite. Bearbeiten heißt, dass ich beispielsweise die Abkürzungen in den Texten auszeichne, dass ich Entitäten anlege. Entitäten sind ja bestimmte Schlagwörter, die in den Texten vorkommen und die später für die Suche in den Suchmaschinen wichtig sind.
Maximilian Schönherr: Und die Bilder?
Daniel Bosch: Für die Bilder werden von unseren Bürosachbearbeitern die Transkripte angelegt, also in dem Falle die Bildbeschreibungen, und meine Aufgabe ist dann, die Fotos gegebenenfalls noch zu anonymisieren. Das gilt natürlich auch für die Dokumente. Das ist auch ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit, dass wir die Dokumente und Fotos entsprechend anonymisieren gemäß Stasi-Unterlagen-Gesetz. Dann werden die Bilder mit eingebunden und letztendlich veröffentlicht.
Maximilian Schönherr: Sind die Bilder gut für diese beiden neuen Schwerpunkte?
Daniel Bosch: Gerade für die MfS-Ferienheime haben wir ganz tolles Bildmaterial aus verschiedenen DDR-Bezirken. Wir haben auch Bilder von Objekten, in denen sich IMs konspirativ getroffen haben. Also, die Treffen sind nicht auf dem Bild überliefert, aber diese Objekte.
Maximilian Schönherr: Ja. Macht Ihnen Ihr Job Spaß?
Daniel Bosch: Mein Job macht mir sehr sehr Spaß, weil ich einerseits mit historischen originalen Dokumenten arbeiten darf und andererseits eben auch die Möglichkeit habe, diese Arbeit, die ich mache, der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
Maximilian Schönherr: Kann ich diese Membership-Grafik vom Atari-Club in Karl-Marx-Stadt in die Wikimedia einpflegen? Kriege ich das Okay von Ihnen?
Daniel Bosch: Das kann ich leider nicht so einfach geben, nein. Da sind auch mir die Hände gebunden und wir haben uns auch nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz zu richten.
Maximilian Schönherr: Und das verbietet es eigentlich?
Daniel Bosch: Ja. Also, Sie müssten auf jeden Fall grundsätzlich erst mal für die Veröffentlichung einen Medienantrag stellen.
Maximilian Schönherr: Okay. Diesen Aufwand mache ich nicht. Das heißt, ich lade jetzt unsere Hörerinnen und Hörer des Podcasts ein, sich diese Seite aufzurufen, die mit dieser tollen Grafik beginnt. Vielen Dank!
Daniel Bosch: Vielen Dank auch!
[Jingle]
Dagmar Hovestädt: Das war ein Gespräch mit Daniel Bosch über die Computerspieleszene der DDR. Daniel Bosch arbeitet im Stasi-Unterlagen-Archiv im Bundesarchiv als Onlineredakteur. Von ihm stammt die umfangreiche Recherche, die auf unserer Webseite unter dem Titel "Spielefans unter Beobachtung" zu lesen ist. Die Spielefans standen eher unter wohlwollender Beobachtung der Stasi, wie wir jetzt wissen, und das hätte ich so eigentlich gar nicht erwartet.
Maximilian Schönherr: Anderen Gruppen von Jugendlichen wie Punks oder langhaarigen Rolling-Stones-Fans ging es oft nicht so gut, wie wir in anderen Folgen unseres Podcasts auch schon gehört haben.
Dagmar Hovestädt: Dieser Podcast endet wie alle mit einer akustischen Begegnung mit dem riesigen Audio-Pool des Stasi-Unterlagen-Archivs, wie immer ohne inhaltlichen Zusammenhang zu dem, was wir vorher besprochen haben.
[Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. 1986 kam es zu einem Erfahrungsaustausch zwischen Vertretern der Hauptabteilung Kader und Schulung, kurz KuSch, und der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe, kurz ZAIG, zum Thema Traditionspflege und hierbei besonders um die Erfassung, Darstellung und Nutzung von Lebens- und Erfahrungsberichten von Veteranen des MfS. Anders gesagt: Es ging 160 Minuten lang um den Umgang mit Zeitzeugen, ihre Präsentation in Bild- und Tonaufnahmen bei der Erarbeitung von Biografien sowie um deren Veröffentlichung und Verwertung. Gesprochen wurde auch über die Vergesslichkeit der Zeitzeugen, abweichende Erinnerungen, die Vermeidung schablonenhafter Gestaltung historischer Hintergründe. Die hier geschilderten Erfahrungen wurden bei der Erarbeitung des Porträts von Heinz Hoske, Oberst a.D. und Mitstreiter Robert Mühlpfortes, dem langjährigen Leiter der Hauptabteilung KuSch, gemacht. Die erwähnten Tonbänder befinden sich im Audio-Bestand der Hauptabteilung Kader und Schulung.
[Archivton Beginn]
[Sprecher:] Die Befragungskonzeption für die Tonbandaufzeichnung wurde von uns so erarbeitet, dass von der eigentlichen Fra-- oder vor der eigentlichen Fragestellung - äh - zu Problemen zunächst jeweils in wenigen Sätzen eine kurze Vorstellung des Lebensabschnittes des Genossen Hoske vorgenommen wurde. Damit - äh - sollten oder wollten wir erreichen, den jeweiligen Fragenkomplex einzuleiten und ihn in der Beantwortung dieser Frage abzugrenzen. Darüber hinaus kam und kommt es uns darauf an, diese Tonbandaufzeichnung als Tonkonserve zu erhalten, um sie unabhängig von Film auch später gesondert im Rahmen der Traditionsarbeit, unter anderem im Traditionszimmer und anderen Gelegenheiten, in ausgewählten Veranstaltungen unserer Partei und FDJ-Kollektiven teilweise oder auch komplett einzubeziehen beziehungsweise einsetzen zu können. Die Erarbeitung selbst des Lebensbildes zu den einzelnen Abschnitten des Genossen Hoske wurde, wie auch hier schon erwähnt wurde, in Etappen durchgeführt. Wenn sie zum Genossen Hoske-- Ich weiß nicht, wer ihn kennt. Mit seinen 79 Jahren ist er noch sehr vital, ja. Wenn sie da hingegangen wären, hätten wir an zwei Tagen von Früh bis Abend das Ding durchgezogen. Aber manchmal hat man's auch gemerkt, dass er sich auch dann überschätzt hatte in der - äh - Konzentration. Da hat man das dann gespürt, also in der Beantwortung der Fragen. Aber wir haben also erst mal ihm das freigestellt, die Länge der Zeit der Aufnahme, und wenn wir gemerkt haben, dass er durchaus weitermachen möchte, und wir der Meinung waren, es ist besser, wir hören auf, dann haben wir dann von uns aus abgebrochen. Das hat sich eigentlich bewährt. Und also auch nicht irgendwie auf-- Na ja, er war auch nicht böse, wenn wir dann gesagt haben: Lieber Heinz Hoske, es hat keinen Zweck, wir hören heute auf, wir machen dann in einigen Tagen weiter. Fakt ist eins und - äh - deshalb möcht' ich sagen, das [unverständlich] etwas entgegengesetzt von den-- der Meinung ist von dem Betreuer und das bestätigt eigentlich auch noch mal seine erste Zusage -äh- zu dieser Aufgabe, ja. Er hat sich sehr engagiert, er hat sich sehr umfangreich - na ja, die Konzeption war auch einige Seiten lang - nach diesem Fragespiegel - äh äh, am Ende vierzig, fuffzig Seiten - schriftlich vorbereitet. Ja, und das wollte der alles nun so schnell als möglich an den Mann bringen und-- Also, es war eigentlich ein gutes Arbeiten bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit dem Genossen Hoske. Wir können heute, nachdem wir die Tonbandaufnahme im Wesentlichen abgeschlossen haben, einschätzen, dass uns dieses Anliegen weitgehend gelungen ist, wenn man von der Tonqualität der Aufnahme, besonders in den ersten Teilen, absieht, wo es einige Probleme mit der zur Verfügung stehenden Technik gab. Das wurde jetzt aber auch schon vom Genossen Hempel hier erwähnt.
[Archivton Ende]
[Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."