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Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ..ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".
Maximilian Schönherr: Ein einzigartiges, für mich oft tieftraurige Archiv, ein Podcast zu dessen 32. Folge Sie, die Sprecherin des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Dagmar Hovestädt und ich begrüßen. Ich bin Maximilian Schönherr und kenne das Archiv seit langem über meine journalistische Recherche, vor allem für den öffentlich rechtlichen Rundfunk.
Dagmar Hovestädt: Da muss ich gleich nochmal einhaken, Maximilian. Traurig ist es nicht für mich das Archiv. Es ist dramatisch, es ist erschreckend. Aber ich finde eben auch sehr Mut machend. Ein Archiv der menschlichen Natur unter den Bedingungen der Diktatur, die jeden Einzelnen bei seiner Schwäche packt, aber auch bei einigen Mut und Menschlichkeit besonders herausfordert. Vor etlichen Jahren hat mich ein Film über den Prager Frühling und seine Niederschlagung nach dem Buch von Milan Kundera schwer begeistert - "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins". In diesen Tagen, Ende April 2021, hat ein Film in der ARD Premiere, der seinen Titel diesem Buch entlehnt und von einer glücklicheren Umwälzung erzählt. "Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution" erzählt die Geschichte einer Gruppe junger Menschen im Jahr 1988 und 1989 und wie sie dafür sorgten, die friedliche Revolution in Leipzig ins Rollen zu bringen.
Maximilian Schönherr: Das Buch zum Film kam schon eine Weile vorher auf den Markt. So ist es nun mal mit Filmen, die auf Literatur basieren, es vergehen paar Jahre. Dieses Buch schrieb Peter Wensierski, der sich in seine langen Journalisten Laufbahn mit der DDR vor dem Mauerfall und dem, was danach passierte, intensiv beschäftigt hat. Dagmar, also auch der Bundesbeauftragte, hat das Buch im Oktober 2017 bei einer eigens dafür eingerichteten Veranstaltung vorgestellt. Genau davon handelt unser heutiger Podcast. Ich meine zu ahnen, dass ihr drei, also Roland Jahn, du und der Autor des Buches euch kanntet.
Dagmar Hovestädt: Das kann man so sagen, richtig beobachtet, dass wir uns gut kennen. Ich habe meine journalistische Karriere Anfang der 1990er Jahre beim damaligen Sender "Freies Berlin" begonnen, der anno 2000 im Rundfunk Berlin-Brandenburg, also RBB, aufgegangen ist. 1992 war ich beim ARD Magazin "Kontraste". Das waren meine allerersten Jahre als Fernsehjournalistin und meine Kollegen damals dort waren Roland Jahn und Peter Wensierski, der allerdings dann recht bald den Sender verließ und fortan beim Spiegel gearbeitet hat. "Kontraste" war ja das Politmagazin der ARD, das sich um die Berichterstattung aus der DDR gekümmert hat. Peter Wensierski war schon seit den frühen 1980er Jahren als Journalist in der DDR unterwegs, und so hat er angefangen, Bücher über die Zeit und eben jetzt auch viele Jahrzehnte später über die Revolution zu schreiben.
Maximilian Schönherr: Da fällt mir gerade ein: "Kontraste" war die eine Sendung und "Kennzeichen D" war eine andere.
Dagmar Hovestädt: Genau. ZDF hatte "Kennzeichen D" und die ARD hatte "Kontraste".
Maximilian Schönherr: Das Buch jedenfalls dreht sich um eine größere lose Gruppe an jungen Frauen und Männern, die im Vorfeld der friedlichen Revolution von 1989 politischen Widerstand gegen den SED-Staat leisteten, und zwar in Leipzig. In der Veranstaltung wird deutlich, was immer wieder vergessen wird: Eine Revolution braucht stille Helfer, mutige Wegbegleiter, Widerspruch und Widerstand an vielen kleinen und großen Stellen der Gesellschaft. Wir hatten hier im Podcast schon Frauen, die Stasi-Dienststellen während der Revolution besetzten. Großartig. Oder eine eigene unabhängige Friedensbewegung formierten und damit die Stasi herausforderten. Heute geht es um Subtiles, das an vielen Stellen der DDR 1988/89 auftauchende, ja, in Anführungszeichen aufmüpfige Verhalten das den Boden für den Umschwung bereitete.
Dagmar Hovestädt: Bei der Veranstaltung wurden viele Fotos und einige Videoaufnahmen aus der Zeit von 88 und 89 in Leipzig gezeigt. So zum Beispiel ein recht bekanntes Motiv von der Montagsdemonstrationen im September 1989. Ein Stoffplakat mit der Aufschrift "Für ein offenes Land mit freien Menschen", getragen von Gesine Oltmans und Kathi Hattenhauer, die auch beide in dem Buch vorkommen.
Maximilian Schönherr: Der Filmausschnitt ist drastisch und rückblickend betrachtet typisch. Stasi-Mitarbeiter springen von links ins Bild, reißen den Demonstrantinnen das Plakat aus der Hand und sind eine Sekunde später im Getümmel verschwunden. So agiert natürlich keine Exekutive in einem demokratischen Staat. Die Kamera schwenkt dann ratlos herum und landet bei Gesine und Kathi, die auch ziemlich ratlos dreinschauen. Sekunden später geht die Demo weiter.
Dagmar Hovestädt: Danach hatten sich nämlich die Frauen und Männer - und einer davon kommt auch gleich in dem Veranstaltungsmitschnitt vor, bei der Lesung, Uwe Schwabe - in einer Kette eingehakt, um sich der Festnahme durch die Stasi zu entziehen. An jenem Tag ging es für die Untergehakten gut aus, eine Woche später nicht mehr für alle. Kathi Hattenhauer beispielsweise landete für sechs Wochen in Stasi-Haft.
Maximilian Schönherr: Die Stasi zog das Transparent also aus dem Verkehr und weg war sie. Das deckt sich mit dem, was ich aus dem Polizeifunk aus der Zeit erfuhr, also aus Mitschnitten im Stasi-Unterlagen Archiv. Der Polizeichef wies in Leipzig seine Leute über Funk an, sich da und dahin aufzumachen, die und die Straße zu beobachten, sich da und dahin zu stellen, aber weiter nichts. Und in der Stimme war so eine Mischung aus: Wir tun unsere Pflicht und hier passiert etwas, womit wir einfach nicht umgehen können. Was danach meist Tage später passierte, zeigte wie trügerisch das Bild war. Da folgte die sogenannte Staatssicherheit, dem klassischen Schema von Unrechtsstaaten: Verhaftungen ohne rechtsstaatlichen Grund, Verhöre, Wochen der U-Haft, Druck auf die Eltern und schließlich ein Strafprozess mit bizarrsten Konstruktionen von Schuld. Viele Teilnehmer der friedlichen Revolution saßen zum Zeitpunkt der Maueröffnung noch in Haft.
Dagmar Hovestädt: Im heutigen Gespräch kommen zwei Zeitzeuginnen und der Autor zu Wort. Zuerst Susanne Krug, die am Anfang mit in Leipzig aktiv war und dann nach Ostberlin umzog und dort eine wichtige Rolle spielte, von der wir im Gespräch mehr erfahren. Und Katrin Mahler-Walther, die bereits 1987 der Arbeitsgruppe Menschenrechte und dem organisierten Widerstand gegen die SED-Diktatur angehörte. Wir beginnen mit einer kurzen Lesung aus dem Buch "Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution". Bei der Veranstaltung selbst war dieser Teil der Buchpräsentation deutlich länger. Wir konzentrieren uns in unserem Podcast auf das Gespräch danach.
Maximilian Schönherr: Welches du moderiert hast. Wie hast du die Stimmung noch in Erinnerung? Viele Leute im Publikum?
Dagmar Hovestädt: Es war ein Abend, an dem doch recht viele Zeitzeugen da waren. Wie immer in Haus 22 in der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin. Vielleicht, ich glaube, so 150 Leute, vielleicht auch mehr. Darunter eben auch etliche jüngere Freunde und Verwandte von denen, die auf der Bühne saßen, ein paar Journalisten. Es hatte, aus der Rückerinnerung, wirklich etwas Familiäres. Und es war alles doch sehr lebendig, weil durch die detailgenaue Schilderung und die Fotos, Videosequenzen und eben auch Musik aus der Zeit man doch sehr gut zurückversetzt war in diese revolutionäre Stimmung. Das war ein sehr inspirierender Abend. Gut, dann können wir mal loslegen.
Maximilian Schönherr: Ja, es lesen zunächst der Autor Peter Wensierski und der Schauspieler Konstantin Buchholz eine Episode aus dem Buch vom Herbst 1988, also einem ganzen Jahr vor der friedlichen Revolution.
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Peter Wensierski: Zur selben Zeit, wie die Runde am Kulkwitzer See, versammelten sich einige ältere Herren in der streng abgeschirmten Geheimdienstzentrale mitten im Zentrum Leipzigs. Im Raum 137 einem Konferenzraum mit blassgrüner Wand, dunkelbraune Holzvertäfelung, brummenden Neonleuchten unter der Decke und einem Scherengitter vor allen Fenstern.Das Gebäude war in Leipzig bekannt als "Die Runde Ecke".Generalleutnant Manfred Hummitzsch hatte die Abteilungsleiter zu dieser Sitzung einbestellt. Er ließ zunächst Oberst Etzold, den Chef der Untersuchungsabteilung, über die neueste statistische Auswertung zugeführter Personen vortragen.Die Zahl der nach dem Friedensgebet in der Nikolaikirche vorübergehend Festgenommenen hatte sich in letzter Zeit stetig nach oben entwickelt.Hummitzsch fragte jeden Einzelnen, wie es um die Anwerbung von Informanten in ihrem Bereich stehe. Er war besorgt, weil sie angesichts der anwachsenden Gruppe mithalten mussten.
Konstantin Buchholz: Wir müssen vor allem in die neu entstandenen Zusammenschlüsse verstärkt mit inoffiziellen Mitarbeitern eindringen. Der IM-Bestand muss erweitert werden. Ich denke da an die sogenannten Arbeitskreise "Gerechtigkeit" und "Menschenrechte", die im Gemeindehaus beim hinreichend bekannten Pfarrer Wonneberger Unterschlupf gefunden haben, sowie an die Initiativgruppe "Leben", die sich als Kraft außerhalb der Kirche etablieren will. Aufklärung und Zersetzung dieser Zusammenschlüsse sind voranzutreiben! Weitere Einschleusung neuer IM und ihr zielgerichtete Einsatz sind notwendig zur vorbeugenden Verhinderung feindlicher-negativer Pläne, Absichten und Handlungen um die feindlichen Kräfte und Erscheinungen zurückzudrängen.
Peter Wensierski: Oberst Schmid meldete sich zu Wort: "Aus den mir vorliegenden Erkenntnissen zur Aufklärung der Person hätte ich da einen Vorschlag zur Diskreditierung eines der Vertreter des politischen Untergrundes in der sogenannten Basisgruppe "Leben" und ein geeigneter Termin dafür steht auch bald an.
Konstantin Buchholz: Der geeignete Termin war ein kurz danach stattfindende Veranstaltung in der Reformierten Kirche unweit des Hauptbahnhofes. Pfarrer Wonneberger und einige Leute aus der Arbeitsgruppe "Menschenrechte" hatten einen Abend unter dem Titel: "Der Friede muss unbewaffnet sein" vorbereitet. Wonneberger traute sich mehr als andere Gemeindepfarrer.Der 44-Jährige sah auf den ersten Blick aus, wie einer von ihnen, wenn er mit Jeans, Hemd und Lederjacke aus seinem alten grauen Diamant-Rad angefahren kam. Er war klein und drahtig, mit kurzen Haaren keine patriarchalische Führungsgestalt, offen im Kontakt mit den jungen Leuten. Einer, der versuchte, ihnen Raum zu geben. Er wollte, dass sie ihre Stärken entdeckten und entwickelten. Wonneberger wirkte auf sie überzeugend, mit einer inneren Kraft, aber ohne unangenehmes Sendungsbewusstsein.Die meisten Jugendlichen nannten ihn nur kurz "Wonni". Für die Veranstaltung suchten sie gemeinsam mit ihnen Bibelstellen über Pazifismus heraus und verfassten einen Vorschlag zur Einrichtung eines zivilen Ersatzdienstes. Die Kirche war gut besucht, viele aus den Basisgruppen waren erschienen. Nach dem Orgelspiel und einem Lied gab es eine kleine Aufführung, bei der Uwe mitmachte. Er spielte einen Bausoldaten, ein anderer den Totalverweigerer, auf denen sicher das Gefängnis wartete und der Nächste einen, der sich für 3 Jahre zur Armee verpflichtet hatte, um studieren zu können. Die ganze Veranstaltung war ein einziges Plädoyer dafür, als Alternative zum Wehrdienst einen echten Zivildienst zu erlauben.
Peter Wensierski: Mitten im Spiel von Uwe erhob sich plötzlich jemand in einer derKirchenbänke und brüllte:
Konstantin Buchholz: "Aufhören! Aufhören! Ey du da vorne, ey komm, wir sind doch zusammen bei der Armee gewesen! Du hattest dich doch für 3 Jahreverpflichtet! Das ist doch alles unglaubwürdig, was du da erzählst! Du hast ein Eid geschworen, gedient und willst für Bausoldaten eintreten.
Peter Wensierski: Dann stand der Mann auf und verließ schnellen Schrittes die Kirche. Rainer vom Arbeitskreis "Gerechtigkeit" sprang von der Kirchenbank auf und rannte hinterher. Unruhe machte sich breit.Uwe hatte sich tatsächlich für 3 Jahre freiwillig zur Armee gemeldet. Sein Traum war es gewesen zur Handelsmarine zu gehen. Erkauft hatte er ihn mit der Verpflichtung. Das hatte er nicht an die große Glocke gehängt und nur wenigen von seinem Kompromiss erzählt. 3 Jahre Armee das war in den Gruppen kein Ruhmesblatt und erweckte eher Misstrauen. Uwe hatte es verdrängt und jetzt schämte er sich. Rainer, der den Zwischenrufer hinterher gelaufen war, hatte ihn vor der Kirche nicht mehr ausfindig machen können und kehrte auf seinen Platz zurück.
Konstantin Buchholz: In die entstandene Unruhe hinein meldete sich von hinten der zweite Pfarrer der Kirche zu Wort. Im Gegensatz zum verantwortlichen Pfarrer Sievers war eher protestantisch konservativ und von Anfang an gegen einen politischen Gottesdienst gewesen.
Peter Wensierski: "Lasst uns die Veranstaltung abbrechen. Sie ist nicht genehmigt die Gemeinde riskiert ein Ordnungsstrafverfahren. Theologie und Meditation fehlen hier und einige andere Sachen stimmen, wie wir gerade gehört haben, offenbar auch nicht."
Konstantin Buchholz: Kathrin, eine 17-Jährige aus Wonnebergers Arbeitsgruppe "Menschenrechte" und selbst Gemeindemitglied, hatte die Veranstaltung mit vorbereitet.Jetzt stellte sie sich in den Mittelgang. Ihr zitterten die Knie. Mehr als 200 Leute saßen in den Bänken. Uwe hatte es die Sprache verschlagen.Sie erhob ihre Stimme: "Wir haben die Genehmigung vom Pfarrer Sievers, der hier Hausherr ist. Er hat unsere Konzeption vorher bekommen und genehmigt."Die junge Frau hatte noch nie vor so vielen Menschen gesprochen und nun widersprach sie dem Pfarrer, der die Veranstaltung abbrechen wollte."Lassen sie uns bitte weitermachen. Diskutieren können wir noch nachher. Ihr seid alle zum Friedenskaffee eingeladen."Es gelang ihr tatsächlich nach kurzem Wortwechsel die Situation zu beruhigen und den Zweikampf mit dem Pfarrer für sich zu entscheiden. Die Veranstaltung ging weiter.Nach dem letzten Lied gegen Wonneberger auf Uwe zu. Er war unzufrieden. "Warst du wirklich...?" Uwe nickte. Er bekam immer noch kein Wort heraus.So bloßgestellt zu werden, war ihm sehr unangenehm. Er erklärte Wonneberger und den anderen, die mit ihm um einen Tisch des improvisierten Cafés in einem Nebenraum der Kirche saßen, seine damalige Situation, aber ihm war selbst klar, dass das viel zu spät kam. Er hätte darüber längst reden müssen. Wonneberger machte ihm keine Vorwürfe, gab ihm nur einen Rat: "Wir müssen immer mit offenem Visier kämpfen".
Peter Wensierski: Uwe teilte 3 Tage danach dem Wehrkreiskommando schriftlich mit, dass er jeden künftigen Reservistendienst verweigere. "Wie sie ja wissen", schrieb er, "habe ich 3 Jahre bei der NVA gedient. In diesen 3 Jahren habe ich mich immer wieder gefragt, ob das wirklich der wahre Weg zum Frieden sein soll, der dort gegangen wird. Mir fällt da ein Satz von Karl Marx ein: "Nichts hat bisher mehr Unheil angerichtet, als die Tatsache, dass um Frieden zu haben, man sich zum Krieg rüsten muss." Deshalb bin ich nicht mehr gewillt jemals wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen.Er schickte den Brief als Einschreiben, um sicherzustellen, dass er ankam. [Applaus] Danke.Ich würde sagen der Beifall gilt vor allen Dingen denen in der Geschichte beschriebenen Leuten. Da sitzen zwei, die bitte ich jetzt nach vorne. Ich danke dem Konstantin Buchholz, dass er mir geholfen hat viel zu lange zu lesen, aber ich hoffe sie bleiben noch da. Jetzt kommt das Gespräch und wenn sie denken sie würden jetzt das Buch kennen, dann haben sie sich getäuscht. Sie haben 29 Seiten gehört von 500. [Applaus]
Dagmar Hovestädt: Bei uns sitzen Susanne Krug und Kathrin, die Kathrin, die in der Szene, die heute Abend vorgestellt worden ist in der Kirche. Nachdem Uwe sozusagen bloßgestellt worden ist, die Versammlung zusammengehalten hat, sich gegen den Priester aufgelehnt hat und gesagt hat wir haben hier von euch die Genehmigung. Wir wollen unsere Veranstaltung zu Ende machen. [Applaus]Wenn sie diese Geschichte heute hier sehen, was geht Ihnen durch den Kopf? Ist sie so erzählt, wie sie sie erinnern? Ist es das, was sie erlebt haben oder erlebt man das in dem Moment selber gar nicht so?
Susanne Krug: Ja, also für mich ist es ein sehr großes Geschenk gewesen, dieses Buch, weil sozusagen Peter durch diese ganze Zusammenschau dieser Geschichte von damals, die ja so vielschichtig und so detailliert war und auch so viel Alltagswirklichkeit transportiert. Als ich das gelesen habe und das wie noch mal so für mich als Bild vor mir sah, konnte ich so tief eintauchen, im Nachhinein, und es war so eine Lebendigkeit. Ich hatte das Gefühl manchmal auch wieder Gerüche wahrzunehmen. Von daher kann ich nur sagen: Es ist für mich wirklich ein großes Glück ein Teil dieser Geschichte, an der wir selber mit dabei waren, das noch mal in den Händen halten zu können, in dieser Form. Also Danke Peter an dich, dass du das so schön gemacht hast und als ich jetzt auch noch mal die Bilder gesehen hab, war ich sehr berührt und mir kam, das was ja schon doch sehr, sehr weit weg ist, so nah heran. Diese Art von Mut und Zivilcourage und die Werte, die dahinter standen und auch unsere Naivität und Lebensfreude. So all das ist für mich wirklich wichtig gewesen.
Dagmar Hovestädt: Kathrin Mahler-Walther?
Kathrin Mahler-Walther: Wenn ich das lese, bin ich sehr berührt, wenn ich die Bilder sehe natürlich sowieso, weil das noch mal auf einer ganz anderen Ebene anspricht, aber mich hat das sehr berührt und gefreut, als Peter Wensierski mit diesem Buchprojekt auf uns alle zu gekommen ist, weil es unsere Geschichte wirklich noch mal auch in der ganz anderen menschlichen Ebene erzählt und viel mehr Fassetten beinhaltet, als wir sie sonst in den Sachbüchern über die Geschichte der Opposition in der DDR lesen können und dadurch denke ich und hoffe ich auch viel mehr Menschen heute, junge Menschen heute anspricht, weil wir als Personen mit dem Leben, das wir geführt haben, sichtbar werden und das deutlich wird, dass wir Ideale und Ideen gehabt haben, für die wir gekämpft haben, für die wir uns mit jeder Faser unseres Selbst eingesetzt haben und das wir aber auch als Jugendliche miteinander gelebt haben, Party gefeiert haben am See saßen und auch ein wirklich gutes intensives Leben miteinander geführt haben in der Mariannenstraße 46, die wir damals besetzt haben. Und ich glaube, das schlägt eine sehr gute Brücke auch zu heute und wird dadurch viel fühlbarer, wie es uns ergangen ist.
Dagmar Hovestädt: Im Raum hier kenn sich viele mit der Revolution gut aus, aber im Nachhinein mit 27 Jahren Abstand beginnt die Revolution irgendwann am 9. Oktober, wo plötzlich aus dem Nichts Zehntausende auf der Straße sind und einen Monat später fällt die Mauer und dann war's auch schon ein vereintes Deutschland und das war die friedliche Revolution.Die Geschichte die Peter Wensierski ausgegraben hat, ist eine die weit, weit davor beginnt, in einer ganz detaillierten Art zu erzählen. Warum Peter war es denn für dich wichtig an dieses Buch, an diese Geschichte nochmal ranzugehen? Eigentlich ist alles erzählt. Wir kennen das alles.
Peter Wensierski: Nein, ich war unzufrieden mit dem, wie bisher der Blickauf das was alles war, was da 1989 geschehen ist. Ich erlebe immer wieder und habe es auch erlebt, dass Leute es total langweilig und komisch finden und nicht genau wissen, was da wirklich los ist. Ich sehe hier Leute aus der Generation, die auch in den 70er-Jahren politisch aktiv waren im Westen. Die Leute in Leipzig waren eigentlich sehr ähnlich und dachten sehr ähnlich. Und ich hab ja die Sachen nach der wahren Geschichte geschrieben und möglichst auch alle Fakten, jedes kleinste Detail recherchiert, dass wenn die Anita da sich unterhakt am 15. Januar 1989 auf dem Leipziger Marktplatz und da steht im Buch, das hat sie bei den 68er Filmen im Fernsehen gesehen, dann hat sie das tatsächlich so gesehen und hat sie mir auch so erzählt. Ich habe ja viel Material gesehen: Briefe, Tagebücher, was weiß ich alles, Fotoalben dieses Bild da oben von Gesine bei Anita. Das ist da bei der Luftballon-Aktion, vielleicht in der Wohnung von Anita entstanden. Das habe ich in einem privaten Fotoalbum gefunden.Ich wollte die Geschichte einfach noch mal neu und wirklich und wahrhaftig erzählen und nicht von oben herab und nicht aus der Sicht der Beteiligten und ich wollte, dass man das endlich mal nachfühlen kann, was da gelaufen ist.Natürlich ist es nicht alles, was gelaufen ist, aber mir ging es auf den Keks, dass es immer nur wieder hieß 1989 Gorbatschow, Helmut Kohl, Deutsche Einheit, Zusammenbruch der SED, Erich Honecker, Erich Mielke, Egon Krenz.Wo waren die Menschen? Was ist interessant für uns? Veränderungen in der Geschichte gehen doch nicht von diesen Namen aus. Das hat mich schon als Schüler immer gestört, aber die Kritik kennen sie ja. Also diese großen Namen, die die Geschichte machen.Es liegt an jedem Einzelnen, wie die Geschichte verläuft, ob er sich mit anderen zusammentut, wie er Probleme überwindet, ob er dabei Fehler macht oder ob er es schafft zu einer politischen Kraft zu werden. Das ist ein immer aktuelles Thema. Ich finde gerade in der heutigen Zeit, wo wir ständig damit zu tun haben, dass junge Menschen sich auch zusammentun demonstrieren in Russland, in der Türkei, in Deutschland, überall eigentlich. Es bleibt immer dasselbe. Es bleibt deshalb total aktuell. Ich war beim schreiben und beim Recherchieren immer überrascht, wie aktuell das alles ist, was man daraus alles lernen kann, was man sehen kann. Und ich wollte diese Geschichte einfach, weil es mein Job seit 40 Jahren schon ist, einfach mal aufschreiben.
Susanne Krug: Da möchte ich gleich anschließen, weil ich werde sehr oft gefragt: "Ja habt ihr denn damals keine Angst gehabt, dass alles so in die Wege zu leiten?"Und da ist mir die Verbindung zum heute deswegen so wichtig darzustellen, weil wir waren mich allein. Wir haben ein Netz geschaffen. Wir waren verschiedene Gruppen. Wir haben uns vernetzt. Wir haben uns in die Sichtbarkeit gebracht und das ist glaube ich, dass warum es funktionieren konnte damals, dass das Gefühl von "OK, es ist gefährlich" schon da sein konnte, aber es war auch klar: Wir sind nicht allein. Wir haben uns so fest nebeneinander gestellt, wie da jetzt die Reihen auch standen, wie im Hintergrund eng zusammen und haben aufeinander geachtet und füreinander eingestanden, dass das sozusagen die Chance war etwas zu verändern und daran glaube ich eigentlich noch heute und bin deswegen froh, dass ich damals zur rechten Zeit am rechten Ort war und mein ein Puzzlestein dazulegen konnte, zu dem dass sich was verändert.
Dagmar Hovestädt: Kathrin Mahler-Walther gibt's ein Moment, den man rückerinnert, wo man wusste: Jetzt musst ich aktiv werden oder jetzt steige ich ein? Ist es einem wirklich so bewusst in Nachhinein erzählt es sich so, dass man bestimmte Sachen wusste, aber sie waren eine der Jüngsten damals, 17 Jahre. Als es 1988 ein bisschen offenkundiger wurde und man da raustrat aus den Schatten der Kirchengruppen und sich in die Öffentlichkeit wagte. Macht man das bewusst oder was ist der Moment der einen antreibt? Der einem sagt, ich muss mich jetzt dazu bekennen, dass was verändert werden muss.
Kathrin Mahler-Walther: Ja, ich denke, wichtig ist sozusagen der eigene Moment irgendwo an Grenzen zu stoßen und zu merken, dass es nicht mehr weiter geht. Wichtig ist aber auch, dass man Unterstützung und Inspiration von außen bekommt. Also irgendwann hat mich mal jemand gefragt: "Sag mal, wie bist du eigentlich darauf gekommen mit 16 so aktiv zu werden? Gab es irgendjemanden in deinem Umfeld, der dich dabei unterstützt hat? Und das hat mich noch mal erinnern lassen, dass es tatsächlich in meinem familiären Umkreis meinen Schwager gab, der als ich zwölf war, angefangen hat mir Musik von der Klaus Renft Combo vorzuspielen und mir Biermann vorgespielt hat und über die Geschichte sozusagen von Widerstands- oder verbotener Musik in der DDR erzählt hat. Und es war glaube ich so eine ganz früher Sozialisation überhaupt rauszudenken aus dem engen System, von dem ich ansonsten umgeben war. Später habe ich dann viele Bücher gelesen die eben über den Westen reingeschmuggelt worden nach Leipzig und und das war, glaube ich, ganz wichtig um das eigene Systemen weiter denken zu können, dass es auch anders sein kann und dafür einzutreten und ansonsten war es in meinem Fall so, dass ich eine sehr frühe politische Sozialisation hatte durch meinen Vater, der allerdings sehr an die SED geglaubt hat und das hab ich zunächst auch getan und war bei den Pionieren und FDJ-Sekretärin und bin gerade eben in diesen Rollen, dann sehr schnell an die Grenzen des Systems gestoßen, hab sehr schnell gemerkt, dass keine wirkliche Diskussion möglich ist, gewünscht ist, dass es überhaupt nicht das Ziel ist, dass Menschen sich einbringen und sich beteiligen und dieses Land verändern und voranbringen. Und bin immer mehr über die Missstände gestolpert und habe dann einen Weg gefunden in der jungen Gemeinde damals der reformierten Kirche, wo ich auf andere Menschen betroffen bin, die ähnlich gedacht haben, wie ich und ich ein Raum gefunden habe, das zu diskutieren und dann ging eigentlich mein Weg Stück für Stück weiter. Als ich irgendwann gemerkt hab, das reicht mir nicht mehr hier in der JG zu diskutieren. Ich brauche einen Rahmen, wo ich wirklich politisch aktiv werden kann. Und dann gab es im Flyer der Arbeitsgruppe "Menschenrechte" von Christoph Wonneberger und dann bin ich zu der Veranstaltung und dann war ich dadabei und so ging es Schritt für Schritt weiter, aber dieses Netzwerk das einen jeder Weise ermächtigt und sichert, das ist extrem wichtig.
Dagmar Hovestädt: Aber die Folgen, die man spürt, wenn man quasi abtrünnig wird? Weil das war ja erst mal so in den geordneten Bahnen die Karriere und FDJ-Angehen. So wie es von einem gewünschten ist. Der Druck den man dann spürt, wenn man sagt: Nee das funktioniert gar nicht so, was ihr mir erzählt. Ich gehe ganz andere Richtung, der war aber auch für sie ganz konkret spürbar durchaus auch durch das familiäre Umfeld. Der Vater ist nicht gerade begeistert, wenn die Tochter jetzt sich zurückzieht aus all dem, was da passiert, zur jungen Gemeinde geht und sogar noch aktiver wird.
Kathrin Mahler-Walther: Ja der Druck war spürbar dann natürlich ab dem Moment, wo ich auch um mich konkret engagiert hab in der Arbeitsgruppe "Menschenrechte" umso mehr. Ich kriegte also in meinem Ausbildungsbetrieb dann regelmäßig Besuch, der Parteisekretär räumte sein Zimmer, weil die Stasi-Offiziere kamen und mich dort vor Ort vornahm und mein Vater hat erheblichen Druck gekriegt in in seinem Betrieb von der Partei-Kontrollkommission. Und musste sich dort rechtfertigen, warum er seine Tochter nicht auf den rechten Weg bringt und so weiter. Es gab auch familiären Druck. Letzteres hat mich mehr belastet, als Ersteres. Also dass ich selber Folgen davon hinnehmen muss, fand ich leichter für mich zu ertragen, weil ich ja die Handelnde war, aber dass mein Vater eben auch dadurch unter Druck gesetzt wurde, fand ich sehr viel bedrückender, weil ich seinen Weg auch gut nachvollziehen und akzeptieren konnte und es mir nicht darum ging ihn da mit reinzuziehen. Das hat dann bei mir auch dazu geführt, dass ich eine Zeit lang bis ich zu Hause ausgezogen bin, mit 17, noch mal ein Stück etwas kürzer getreten habe und dann eben zur Arbeitsgruppe "Umweltschutz" in der Redaktion der Streiflichter, davon war vorhin auch die Rede, gewesen bin. Aber grundsätzlich ist es natürlich schon so, dass wenn man mit 16, 17 Jahren für Ziele brennt und weiß, es geht nicht anders. Es muss sich etwas bewegen in diesem Pappkameraden-Land. Also dass das in vielerlei Hinsicht wirklich nur noch Hülse war und das ist ja eigentlich das Tolle auch am jung sein, dass man weiß, es gibt keinen Ausweg. Es kann sich nur etwas bewegen anders geht es nicht mehr hier zu leben. Und das, denke ich, schafft es dann eben auch ein Stück weit mit dieser Angst zu leben oder diese Angst nicht so stark zu spüren.
Dagmar Hovestädt: Susanne Krug wie ist es bei ihnen los gegangen, wo man das überhaupt mit irgendeinen Moment verknüpfen kann?
Susanne Krug: Ja bei mir waren die Eltern auch ein Auslöser. Meine Eltern sind beide noch Volksbildung tätig gewesen und für mich wurde relativ früh auch klar, ich will nicht in diesem Spagat weiterleben, den meine Eltern täglich hatten. Also nach außen hin etwas anderes zu vertreten als im Innerem. Sie waren sehr staatsfeindlich eingestellt, aber hatten große Ängste und haben das immer sehr versteckt. Und ich habe mich dann relativ früh entschlossen Theologie zu studieren, um einen sehr eindeutigen Weg zu haben und wurde aber auch im Theologie-Studium von der Universität exmatrikuliert, weil ich das ZV-Lager verweigert habe. Und so ganz kurz gefasst diese Geschichte: Ich hatte dann irgendwann nichts mehr zu verlieren und, wollte so ähnlich wie bei dir, ich wollte eigentlich was verändern, weil ich hab mir an diese Werte geglaubt. Ich glaubte, an Solidarität und Frieden und Völkerverständigung und fand es wirklich wichtig und wollte auch ein offenes Land. Also ganz naiv und idealistisch und das war gleichzeitig auch die große Kraft, die da so die Flamme immer am brennen gehalten hat. Von daher hatte ich natürlich auch relativ schnell in meiner Entwicklung die Unterstützungen der Kirche und dieses ja viel gepriesene kirchliche hat mir natürlich wirklich einen sehr, sehr wichtigen Schutz gegeben, wo auch klar war, ich als Theologie-Studentin konnte mir Freiräume schaffen und was ich mir selber anrechne: Ich habe sie dann genutzt. So mit aller Kraft und hab wenig studiert, sondern viel politisch gearbeitet und das war irgendwann auch von mir so gewollt und da bin ich wirklich froh darüber, dass das auch möglich war in diesen Osten, was viele gar nicht gedacht haben. Es gab nämlich sehr viele Nischen und die konnte man durchaus sehr sinnvoll und aktiv mit anderen Leute gestalten. [Applaus]
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Sprecher: Sie hören:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."
Dagmar Hovestädt: Was man in dem Buch auch erfährt ist, das sie ungefähr 1988 nach Berlin gezogen sind und dort aber ganz, ich würde mal sagen, strategisch wichtige Rolle übernommen haben, nämlich sie waren ein Bindeglied zwischen denen die in Leipzig vor Ort versucht haben, was zu verändern und der Öffentlichkeit, die hergestellt werden musste und die eben schwer in der DDR nur selber hergestellt werden konnte und dann eben sozusagen die Verbindung zum Westen und zu West-Medien aufzunehmen und da waren sie quasi ein ganz wichtiges Schanier, wenn man das so nennen möchte.
Susanne Krug: Genau, ich war im Arbeitskreis "Gerechtigkeit" wie auch Kathrin und wir waren ja sozusagen der konspirative strukturelle Arbeitskreis, der sehr effektiv war, deswegen haben wir auch weniger an diesen spektakulären Aktionen teilgenommen. Es gab ja vorhin diese eine Szene, die ich nach wie vor sehr brisant finde: Wie organisiert man einen Widerstand und muss es immer diktatorischer als das ZK sein? Darüber unterhalten wir beide uns auch manchmal und ja ich finde das nach wie vor noch ungelöst und wichtig. Ich bin dann für ein Semester in die kirchliche Hochschule in Berlin gegangen und hab da Theologie studiert und habe mich viel mit dem Journalisten getroffen, hab mich mit Wolfgang Hauptmann getroffen.
Dagmar Hovestädt: Also mit Journalisten aus dem Westen, die man aber auch nicht einfach so getroffen hat in Ostberlin oder?
Susanne Krug: Wir hatten dann strukturierte fertige Wege, wo wir uns heimlich getroffen haben, wo die Koffer Übergabe war, wo auch viele Leute mal ihr Telefon zur Verfügung gestellt haben, weil ich hatte selber kein Telefon, hab manchmal in meiner Stasi-Akte hinterher gefunden, dass in öffentlichen Telefonzellen manchmal alles mitgeschnitten wurde. Die waren dann schon bekannt. Manche Sachen wurden gar nicht bekannt. Also ich hab so die Verbindung gehalten mit vielen Leuten auch Schriftstellern, die versucht haben die Öffentlichkeit in den Westen herzustellen, weil das war sozusagen eine sehr wichtige Strategie von uns, wenn klar war, das wird in den West-Medien veröffentlicht und verbreitet, dann gibt es für bestimmte Sachen eine größere Chance, dass es klappt, dass die Leute aus dem Gefängnis freikommen, dass bestimmte Dinge schnell die Runde machen, dass Leute insgesamt mutiger werden und sich anschließen und dass das dann funktioniert.
Peter Wensierski: Susanne ist eigentlich die wichtigste unbekannteste Person aus der DDR-Opposition. Ich habe ja das Buch deshalb auch geschrieben, weil es einfach ganz viele Geschichten gibt, die überhaupt noch nie erzählt worden sind und Susanne war die wichtigste Person. Nur mal ganz praktisch: Es war ja nicht nur so, dass du den Kontakt zu West-Journalisten hattest, die haben ja wirklich dann auch Sachen mitgebracht. Susanne hatte ein Verteilsystem zusammen mit den Freunden in Leipzig, die sind nach Berlin gekommen. Susanne hatte leerstehende Wohnungen extra für heißes Material organisiert. Und was war im Endeffekt? Man konnte Dienstags in Leipzig bei Wonneberger in der angeblichen Gemeindebibliothek, konnte man Dienstags den Spiegel lesen und Freitags die Zeit und auch die taz und viele andere Zeitungen. Das war organisiert. Da gab es Postfächer, da wurde dann verteilt. Es gab 300 Gruppen in der DDR, die auch Untergrundzeitungen hatten, auch die wurden zentral verteilt. Das Informationsnetz war total wichtig. Für meinen Geschmack ist das alles nie richtig beschrieben worden. Es ist auch nie richtig beschrieben worden, welche Rolle diese Ost-West-Zusammenarbeit hat, das wurde eben nicht irgendwie die Stasi sich das immer ein bisschen gesteuert oder war von Geheimdiensten beeinflusst. Das waren zum Beispiel die ausgereisten Leipziger oder die Rausgeschmissenen, die in Westberlin ihre Freunde weiter unterstützen und Sachen brachten. Und dann stand irgendwann mal eine kleine Druckmaschine bei ihr in der leerstehenden Wohnung in Prenzlauer Berg und die holte dann jemand aus Leipzig ab und Katti stellte dann eine Platte drauf und Tischdeckchen und versteckte die im theologischen Seminar, bis sie dann mal benutzt wurde, damit man nicht ewig diese Sache mit dem, was ich beschrieben hab, Essig und Papier und Wäschemangeln, obwohl Rainer in der Mariannenstraße den ganzen Keller voller Wäschemangel gesammelt hatte.
Susanne Krug: Das sind so schöne Details, die du auch im Buch so schön beschreibst. Zum Beispiel gabs ja auch diesen Wahnsinn, den wir betrieben haben, ganze Bücher, die man sonst nicht bekam, abzutippen mit acht Exemplaren mit Matrizen und all diese Geschichten. Ich hatte auch, wie du, extra so einen Kurs gemacht, Schreibmaschine mit zehn Fingern, damit ich fit war und wir so was machen konnten. Also Wahnsinn, es gab ja keine Technik, kein Handy, kein Internet und wir waren trotzdem extrem gut organisiert oder? Es hat geklappt und ja ich glaube, wenn ich immer so hör "die Wichtigste", würde ich sagen, ich war eine von denen, die ihren Teil somit beigetragen hat. Das finde ich gut. Ich war auch irgendwann schwanger und hatte ein Kind und konnte das gut nutzen, weil für schwangere Frauen in der DDR auch ein gewissen Schutz sozusagen erfahren konnten und da haben sie mich auch ein bisschen in Ruhe gelassen und das konnte ich für meine Verhältnisse wunderbar ausnutzen. Das sind so Sachen, die müssen auch mal erzählt werden.
Peter Wensierski: Ich seh da schwangere Frauen im Publikum, die geschützt sind bei oppositioneller Arbeit. Ich wollte blos sagen, was sie gerade sagte. Ein Satz noch. Ich finde es total wichtig, habs auch im Buch versucht, es muss nicht jeder in der ersten Reihe sein und es muss nicht jeder sich eine blutige Nase holen und an die Öffentlichkeit treten. Im Buch werden auch ganz viele der kleinen in Anführungszeichen Helfer beschrieben, die eben nur irgendwas von A nach B transportieren oder was in ihrer Wohnung verstecken oder mal ein Brief mitnehmen irgendwo in eine andere Stadt. Also das ist ganz wichtig. Es funktioniert nicht. Eine Demonstration nur mit der ersten Reihe funktioniert nicht. Es müssen viele mitmachen und jeder kann einen kleinen Anteil daran leisten, das wird auch sehr deutlich.
Dagmar Hovestädt: Die Rolle der Information, der freien Informationen oder der Verbreitung von Informationen spielt eine große Rolle auch bei der Vernetzung von Kathrin Mahler-Walther, da war auch durch den Sonnabendkreis und durch den Versuch sich mit anderen in der DDR zu verbinden, große Schwierigkeit gegeben. Man konnte eben nicht anrufen, man konnte nicht einfach mit dem Aufruf sich versammeln und sich gegenseitig stärken, Tipps austauschen. Trotzdem ist Ihnen da was gelungen auch im Jahre 1988 sich in anderen Veröffentlichungen von Untergrund-Zeitschriften zu vernetzen.
Kathrin Mahler-Walther: Das kann man sich heute in Zeiten von sozialen Medien überhaupt nicht mehr vorstellen, nicht mehr ranholen eigentlich dieses Gefühl von es gibt keine Telefone, man kann nicht zueinander schnell mal zueinander kommen, schnell mal Informationen austauschen, Briefe gegenseitig werden abgefangen, gelesen etc. Also wie schafft man das in Verbindung zu sein, in regelmäßiger Verbindung zu sein, weil das war eben auch unser einziger Schutz. Es sind ja auch in dieser Zeit 87, 88, 89 immer noch Menschen für lange Zeit in den Knast gekommen oder sie wären zu lange Zeit im Knast gewesen, wenn es nicht 1989 gegeben hätte. Menschen, die eben nicht so vernetzt waren, über die man nicht wusste und diese Vernetzung war für uns alle ein ganz entscheidender und wichtiger Schutz und wir haben in Leipzig damals diesen sogenannten Sonnenabendkreis aufgebaut, wo wir republikweit Arbeitskreise, Menschenrechtsgruppen eingeladen haben sich eben regelmäßig dort zu vernetzen Quedlinburg, Zwickau, Dresden viele Städte, die vielen Gruppen, die da dabei gewesen sind und die einmal im Monat nach Leipzig gekommen sind, dort berichtet haben, was in ihren Gruppen passiert ist, was bei ihnen vor Ort passiert ist und da hat man also wirklich, wie ganz früher mit dem Boten, die Nachrichten einfach noch persönlich überbringen müssen, ja. Damit sie dann wiederum von uns nach Berlin weitergegeben werden konnten und dann irgendwann in den Umweltblättern erschienen. Also das waren sozusagen die Informationswege, die wir hatten, um diese Nachrichten aus der Provinz, also aus der Republik auch zu verbreiten und dafür zu sorgen, dass sie eben auch bis in den Westen wiederum zu den Journalisten kam und genau das war dieser Weg, der dann wiederum auch zu Susanne und zu Peter zum Beispiel führte.
Dagmar Hovestädt: Und da ist der Autor des Buches ein Stück weit auch selber involviert als Akteur der Geschichte. Seit 1983 mit Einreiseverbot belegt als Journalist für die DDR-Reisen quasi am anderen Ende dieser langen Informationskette in Westberlin, Sender Freies Berlin und von dort aus eigentlich fast alle Menschen kennengelernt über Telefone, über Videos, die angekommen sind. Was war das für dich damals für eine Begegnungen mit den Menschen und warum waren sie dir damals schon wichtig?
Peter Wensierski: Weil sich was bewegte, ganz einfach. Als Journalist war es total spannend aus dem Osten Deutschlands zu berichten, das taten leider nur sehr wenige und die Opposition wurde auch nur sehr wenig aus Westdeutschland unterstützt. Eine Diskussion auf die ich seit 25 Jahren übrigens warte und auch eine selbstkritische Diskussion, die mal einige Parteien und politisch engagierte Menschen führen könnten. Ich habe mich jetzt bei der Recherche wirklich nochmal darüber erzürnt, dass man die Druckmaschinen an ein bis zwei Händen abzählen kann, das ist wirklich dürftig, was an Unterstützung der Opposition gekommen ist. Das ist eine andere Sache. Als Journalist aber auch darüber zu berichten, auch da gab es nur relativ wenige, die das gemacht haben. Ich weiß bis heute nicht warum. Es gab da eine unheimliche Hemmung irgendwie die DDR kritisch, ganz normal kritisch, so wie man auch gegenüber der Bundesrepublik und allem im Westen kritisch war, auch kritisch zu machen. Es gab Leute, die es gemacht haben, aber viel zu wenig. Und ich sah, das einfach damals als meine Aufgabe. Ich habe mit Roland Jahn in der Kontraste-Redaktion zusammengearbeitet und wir haben natürlich ständig darüber überlegt, was sind die Themen, was sind die Sachen und wir hatten ja in Ost-Berlin Oppositionelle, die den Mut hatten, auch mit Videokameras, Amateur-Videokameras heimlich in der DDR zu drehen zusätzlich zum ARD-, ZDF-Korrespondenten, die sehr beschränkt waren in dem was sie machen konnten. Die haben sich getraut, was weiß ich, die Uran Bergbaugebiete sogar der DDR zu filmen oder Oppositionelle aufzunehmen. Sie haben sich auch getraut da nach Leipzig zu fahren und in dem Hinterhof der Mariannenstraße die Leute zu filmen und sind sie haben gesehen da, diese Kamerafahrt mit dem Auto an den verfallenen Häusern, da sind die wochenlang durch die ganze DDR gefahren in Halberstadt, in Potsdam, in vielen Städten waren sie und haben den Zerfall der Städte aufgenommen und dokumentiert um die Menschen wachzurütteln. Diese Bilder mussten an die Öffentlichkeit. Der Zustand der DDR... also alle sagen immer hinterher: Huch die Mauer ist weg! Wir sind aber überrascht! Wie kommt denn das und was ist da los? Und alles so wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Ja man hätte vielleicht ein bisschen mehr hingucken sollen auch vorher, aber es gab Leute, die das gemacht haben und ich fand es wichtig so ein Material zu veröffentlichen.Es gab sogar auch riesigen Zoff darum. Also die DDR ist interveniert. Also das Außenministerium hat beim ARD-Fernsehen interveniert, sogar beim Presserat, sogar bei der Bundesregierung, dass wir dieses Material ausstrahlen, dass Roland nicht daraus Filme macht und wir hatten ausnahmsweise mal eine Chefredaktion, die sich hinter uns gestellt hat und gesagt hat: Es ist egal, auch wenn sie drohen, das ARD-Büro zu schließen. Wir senden dieses Material und diese Informationen, die wir aus der DDR bekommen und es gab wahnsinnig viel DDR-Bürger, die uns also auch informiert haben. Ich weiß auch im Jahr 1989 kam sie sogar persönlich bis in die Redaktion, die erzählten uns was über die Realität und wir haben es versucht in ARD-Brennpunkten in den politischen Magazinen auch in Beiträgen zu veröffentlichen.Also da kamen Menschen, die brauchten sogar Fotos mit und Filme mit und so weiter. Ich habe das bei der katholischen Kirche, über die ich auch heute als Spiegelredakteur berichtet hab, nie erlebt, dass irgendjemand mal Internas aus der katholischen Kirche überbringt. Nicht mal bei dem Fall Tebartz-van Elst, wo es wirklich haaresträuben war, hat keiner aus der Kirchenzentrale in Limburg irgendeinen Journalisten Information gegeben, aber junge Leute damals, 17, 25 Jahre alt, sind damit angekommen und haben nicht nur uns, nicht nur die DDR, nicht nur den Westen, sondern auch die Weltöffentlichkeit letzten Endes informiert. Diese Öffentlichkeit war ganz wichtig, war auch ein Schutz immer für euch. Es war natürlich no risk no fun. Also es war immer noch ein Restrisiko da, aber wir haben gemerkt, sie trauen sich nicht zu zuschlagen. Sie haben Angst vor Öffentlichkeit, Angst vor Öffentlichkeit und das, glaube ich, haben Herrschende, die was zu verstecken haben, immer.
Kathrin Mahler-Walther: Genau es war ein Schutz und es war eben natürlich auch unser Sprachrohr. Es war ja die einzige Möglichkeit, dass das, was wir wollten in der DDR, wieder über Bande gespielt zurückkam zu den Menschen in der DDR, dass die Menschen in der DDR überhaupt erfahren haben, da gibt es diese Montagsdemonstration, da gibt es dieses regelmäßige Friedensgebet und die Montagsdemonstrationen und dadurch immer mehr Menschen auch montags in die Leipziger Innenstadt gekommen sind und sich dem angeschlossen haben. Also insofern hatten die West-Medien in mehrfacher Hinsicht eine ganz wichtige Funktion und ich finde, dass das auch ein Verdienst dieses Buches ist, dass es einerseits über Menschen schreibt, über Leben schreibt, dass ich selbst da noch mal ganz viele persönliche Details von Menschen erfahre, die ich noch gar nicht gewusst habe, ja. Das hat es auch für mich noch mal ganz spannend und überraschend gemacht und das es aber eben auch beschreibt, dass die Dinge, die damals passiert sind in Leipzig, nicht zufällig passiert sind. Also es gab Aktionen, die sozusagen aus dem Moment heraus geboren waren und die die dann verfolgt wurden die Kapitolaktion, der Pleiße-Gedenkmarsch etc. und es gab langfristig gedachte Aktionen, wie eben den Sonnabendkreis die Vernetzung aufzubauen überhaupt erst unter DDR-Gruppen, die es zu dem Zeitpunkt noch nicht gegeben hat. Das es wirklich ein regelmäßigen Informationsaustausch gibt und ein festes Netzwerk, das daraus entsteht, wo man auch gemeinsame Aktionen planen kann, wie den Stadtkirchentag zum Beispiel im Sommer 1989 in Leipzig und davon ausgehend dann das Netzwerk nach Berlin zu den West-Journalisten. Also, dass da eine ganz starke gedachte Strategie dahinter stand, wie kann man es schaffen wirklich mit einer, heute reden wir von Nachhaltigkeit ja, mit einer über das heute und morgen hinausgehenden Strategie wirklich einen Widerstand aufzubauen in der DDR, eine wirksame Opposition aufzubauen.
Susanne Krug: Und ich glaube aber auch inzwischen, es brauchte eine Person von außen, die die ganze Geschichte bündelt und darstellt, weil wir in den Gruppen haben uns danach ja schon auch noch mehrmals getroffen und haben geguckt: Was war denn damals? Was wollten wir? Wie waren wir strukturiert und organisiert? Was war eigentlich unsere gemeinsame Vision?Und da sind uns Jahre später doch wirklich sehr viele Widersprüche sehr viele Unklarheiten erstmal sichtbar geworden, die in der Zeit der Aktionen gar keinen Platz fanden und wir konnten uns im Grunde dann auch schwer auf gemeinsame Sichtweisen einigen. Von daher ist es wirklich gut, dass von außen jemand kommt, der in diesen Geschehnissen so nicht verwickelt war wie wir und das darstellen konnte.
Peter Wensierski: Von außen sage ich mal folgendes: Ich hab ja nicht nur ein- oder zweimal mit den Leuten geredet, sondern 5, 6 mal und was die Leute in Leipzig, die damals sehr jung waren, für selbstverständlich und gar nicht erzählenswert fanden. Ich bin bald vom Stuhl gefallen, als sie mir beim fünften oder sechsten Mal folgendes erzählten: Der Micha, damals 24 Jahre alt, hatte ein kleines Baby mit seiner Frau in der Zweinaundorfer Straße und da standen immer, das war auch so ein Treffpunkt, wo junge Leute immer wieder hinkam, vor dem Haus waren immer Stasi-Überwacher. Im Lada saßen die da Tag und Nacht. Die hatten sogar leer stehenden Laden gegenüber angemietet, einen festen Beobachtungspunkt rein gemacht. Er wollte den Spieß mal umdrehen, kauft sich ein 500 Millimeter Teleobjektiv, guckt wann die Stasi da Feierabend hat in dem Objekt, geht mit einem Freund gegenüber in das Haus auf dem Dachboden, legt sich in den Taubendreck, wartet ab, bis die alle rauskommen und macht 120 Fotos von denen, astreine Porträtfotos. Es ist noch nicht zu Ende. Er geht in den Keller, holt mir die Fotos hoch und ich sag: "Boah, haste das noch nie erzählt?" "Nö, ist dann irgendwie untergegangen im Herbst 1989, war so viel los. Ich habe auch noch irgendwo ein Tonband." Ich frage: "Was für ein Tonband?" Es geht nämlich weiter. Die wollten damals mit diesen Bildern irgendwie die Stasi öffentlich machen und den Menschen die Angst vor der Stasi nehmen, denn wenn Geheimdienste nicht mehr geheim sind, haben die auch nicht mehr die Macht über die Menschen. Er kriegt eine Woche später, das war dann am 1. oder 2. August 1989, ein Brief von der MfS-Untersuchungsabteilung. "Kommen Sie bitte zwecks Klärung eines Sachverhaltes am Montag um 8 Uhr morgens in MfS-Untersuchungs-DingsBums.So, er geht da hin, sitzt der Typ da mit ihm alleine in so einem Zimmer und der sagt: "Nun Herr Arnold sie sind uns ja kein Unbekannter mehr. Sie sind ja hier mehrfach am Objekt aufgefallen in letzter Zeit. Was hatten sie da zu suchen? Er antwortet: "Das liegt liegt auf dem Weg in die Stadt, wenn ich durch die Stadt gehe." "Ja aber sie waren immer auffällig oft da, wenn unsere Kollegen unsere Mitarbeiter Feierabend hatten. Interessieren Sie sich etwa für unsere Mitarbeiter?" "Ich interessiere mich für alle Menschen, denen ich auf dem Weg in der Stadt begegne." Und so fragt er dann immer weiter: "Wollen Sie uns etwa ausspionieren?" Er sagt: "Nö!" und hat ein Tonband in der Tasche und schneidet dieses Gespräch mit. Er geht in den Keller und legt mir das Format auf den Tisch. Da musste wirklich mal jemand von außen kommen, weil es war für ihn normal. Irre so eine Geschichte und viele dieser Sachen sind unglaublich. Ich will es jetzt nicht wieder anfangen vorzulesen, aber ich kann nur sagen: Hut ab, vor dem was da 17-25-Jährige gemacht haben.Es gab ein anderes Tonband oder mehrere Tonbänder. Ich habe im Buch auch immer dieses authentische dann in kursiv gesetzt, zum Beispiel bei Verhören. Ich hatte ja erzählt: 10.000 Flugblätter hergestellt, verteilt, verhaftet. Da sitzt der Frank verhaftet einem Untersuchungsführer gegenüber und das ist echt blöd, 10.000 Flugblätter, verhaftet und so weiter. Wir rufen zu einer Demo auf am 15. und dann fragen die so: "Na, wer gehörte denn noch dazu?" Frank schweigt.Ich höre mir dieses Tonband an 5 Minuten rauschen. "In welcher Beziehung stehen sie den beispielsweise zum Rainer?" Da müssen sie jetzt wissen, der Rainer wohnt mit dem Frank in einer Wohngemeinschaft Wand an Wand. Langes Schweigen. Ich dachte wirklich das Tonband ist kaputt oder die Aufnahme aufgehört. Dann kommt eine kurze Antwort von Frank: "Ich weiß nicht, warum ich auf etwas antworten soll, was ihnen eigentlich bekannt sein dürfte." "Es steht doch nicht zur Debatte, was wir wissen, sondern was sie wissen. Also kennen sie den Rainer?" 5 Minuten rauschen. "Die Frage dürfte sich wohl erübrigen." "Ich habe eine Frage gestellt, daraufhin kann es auch eine Antwort geben kennen sie den Rainer? Nach 10 Minuten schweigen antwortet Frank: "Wenn man gemeinsam in einer Wohnung wohnt, dann läuft man sich schon mal über den Weg." "Und wann haben Sie ihn das letzte mal gesehen?" Diesmal kam Franks Antwort direkt: "Vielleicht wissen das die beiden Herren, die ihnen den ganzen Tag hinterher gelaufen sind." und so weiter, ich möchte es aber von ihnen wissen. Jedenfalls philosophiert er noch ein bisschen, dieser Stasi-Vernehmer: "Nichts sagen ist nicht die Wahrheit, damit dokumentieren sie, dass sie nicht wollen, nicht dass sie nicht können, sondern das sie nicht wollen.", und so weiter. Und dann sagt Frank so zum Schluss: "Ich glaube ihre Schlüsse über das Verhalten von Menschen können sie in Zukunft für sich behalten." Da sitzt so ein 22-Jähriger alleine und das ist auf Tonband. In dem Protokoll der Stasi steht es so nicht drin. Also das ist aber authentisch und das finde ich wahnsinnig, dass muss doch erzählt werden. [Applaus]
[Jingle]
Maximilian Schönherr: Das waren Susanne Krug und Katrin Mahler-Walther, zwei von über 40 Bürgerrechtlerin, die in Leipzig die friedliche Revolution von 1989 vorangebracht haben und die in dem Buch "Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution" ausführlich vorkommen. Autor dieses Werks ist der Journalist Peter Wensierski, der der dritte Gesprächspartner in dem Podcast war. Wie die Geschichten aus dem Buch als Film aussehen, kann man in der ARD online ansehen.
Dagmar Hovestädt: Und wie immer zum Ausklang eine akustische Begegnung mit dem Archiv, der ganz zufällig ausgewählte Ton aus den Audio-Beständen des Stasi-Unterlagen-Archives.
[schnelles Tonspulen]
Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. Am 14. Mai 1970 fand eine SED Kreisleitungs-Sitzung statt, auf der unter anderem ein Diskussionsredner über die, Zitat: "politisch-ideologische Diversion durch den RIAS", sprach. Im sogenannten Krieg im Äther war die Jugendsendung "RIAS Treffpunkt" ein besonderer Dorn im Auge des MfS. Musikauswahl und Kommentare verfehlten ihre Wirkung auf die DDR Jugend nicht. Im Tonbestand finden sich mehrere Mitschnitte von "Treffpunkt"-Sendung, bei deren Auswertung nicht nur Machart und Inhalt von Interesse waren, sondern auch die Deckadressen für die Hörer-Post. Aus den insgesamt Drei Dreiviertelstunden hören wir gut drei Minuten.
[Archivton]
[männlicher Sprecher 1:] Die jungen Mitarbeiter sind bei ihrer Einstellung in das Ministerium für Staatssicherheit nicht automatisch den Angriffen des Gegners gefeit. Und manch einer leiht auch noch das Ohr dem Gegner. Genossen, die Einschätzungen unseres Ministeriums besagen: Der massenpsychologische Einfluss, besonders der westlichen Rundfunk und Fernsehstationen hat sich unter einem Teil der Jugend in der Deutschen Demokratischen Republik verstärkt. Das zeigt sich z.B bei der Sendung "RIAS Treffpunkt". Diese Sendung bringt RIAS 2 täglich von 16 bis 18 Uhr. Es handelt sich hierbei um eine Magazin-Sendung, in der Jugendprobleme behandelt werden. Ende des vergangenen Jahres erfolgte bereits die 500. Sendung. Das "Treffpunkt"-Magazin ist den verschiedensten Interessen der Jugendlichen angepasst und hat auch eine nicht zu unterschätzende Schar jugendlicher Zuhörer unserer Republik, das durch Zeitschriften in Form von Musik, Menschen und anderem Zustimmungserklärungen aus den verschiedensten Bereichen der Jugend bis hin zu jungen Angehörigen der NVA bewiesen wird. So werden von Montag bis Sonnabend [unverständlich] auch Hörerwünsche der besonderen Schallplatte mit Beat, aktuellen Diskussionsgesprächen geht es mit gezielter politisch-ideologische Diversion und offener Hetze gegen die Deutsche Demokratische Republik bis hin zur Musikwunschzettelkasten besonders für jugendliche Hörer in der Deutschen Demokratischen Republik, das Programm in den einzelnen Fachwort bringen mit den aktuellen Einblendungen wie Kommentare, Interviews, Diskussionen usw. gestaltet. Es gab z.B. auch Vorträge in den Thesen solcher Revisionisten wie Ernst Fischer besonders mit rechtfertigend Kommentaren und Zwischenberichte publiziert wurden. Genossen, in diesen Beiträgen soll besonders der Eindruck erweckt werden, einen absolut freien, politisch ungebundenen, aber über alles informierenden Charakter diesen Sendungen zu geben. Der "RIAS Treffpunkt" erweist sich eindeutig als Instrument der Meinungsmanipulation im Sinne der Bonner Regierungspolitik. Diese Meinungsmanipulation versucht man besonders auch auf Jugendliche in der DDR auszudehnen. Das zeigt sich unter anderem darin, dass bei einem bestimmten Teil der Jugend ein einseitiges Interesse nach westlicher Beatmusik vorhanden ist, als auch die Sensationsgier nach der Lebensweise über sogenannte Staridole. Das drückt sich weiterhin darin aus, in der Nachahmung dieser Personenkreis in Kleidung, Haarschnitt und so weiter, die als modern hingestellt werden, weiterhin die Verherrlichung der sogenannten freien und schönen Lebensweise im Westen. Diese Probleme müssen vor allem beachtet werden, da noch ein erheblicher Teil der Jugend in unserer Republik sich in der Freizeitgestaltung allein überlassen ist. Wie Einschätzungen auch unseres Ministerium weiterhin aussagen, häuft die Bildung von Freizeitgruppen dieses Teils und es formieren sich die negativen Freizeitinteressen, die hin bis zu staatsfeindlichen Handlungen führen. So z.B. in einem Bezirk, wo auch Kinder von leitenden Funktionären einem asozialen Club angehörten, der zum solchen Herd feindlicher Ideologie wurde und sexuelle Ausschweifungen auf den einzelnen Parties auf der Tagesordnung standen.
[schnelles Tonspulen]
[Jingle]
Sprecher: Sie hörten:
Sprecherin: "111 Kilometer Akten -
Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."